Von unseren ReporterInnen – Ulm. Immer wieder verhängt die Stadt Ulm einschränkende Versammlungsauflagen bei Solidaritätskundgebungen. Betroffen sind überwiegend kurdische Vereine und Organisationen. So wurde beispielsweise das Skandieren von „Erdogan Terrorist“ untersagt. Nun scheiterte die Stadt mit einem Eilantrag beim Oberverwaltungsgericht in Mannheim.
Bei einer Kundgebung am 20. Juli gegen Erdogan am Ulmer Einstein-Denkmal waren knapp 50 TeilnehmerInnen beteiligt. Die Polizei war mit 12 Streifenwagen vor Ort. Im Gegensatz zu einer vorausgegangenen, nicht angemeldeten Pro-Erdogan-Demonstration in Ulm (wir berichteten) sah die Absicherung der überwiegend von kurdischen Organisationen unterstützten und angemeldeten Kundgebung etwas skurril aus. Ein Sprecher der Kundgebung sagte uns gegenüber: „Wir sind hier abgeschirmt, wie in einem Gefahrengebiet.“ Die Polizei begründete die Vorsichtsmaßnahmen mit der derzeit angespannten politischen Situation. Als ein Sympathisant der nationalistischen „Grauen Wölfe“ versuchte die Kundgebung kurzzeitig zu stören, blieb die Polizei relativ teilnahmslos. Erst nachdem sich mehrere Kundgebungsteilnehmer ein Wortgefecht mit dem Störer lieferten, schlichtete ein Polizist.
Doch nicht nur das verhältnismäßig große Polizeiaufgebot stieß bei den Veranstaltern auf Unverständnis, sondern auch die einschränkenden Versammlungsauflagen, die die Stadt Ulm regelmäßig bei solchen Kundgebungen verhängt.
Eingeschränkte Meinungsfreiheit
Die Verantwortlichen auf Solidaritätskundgebungen sollen gemäß der Versammlungsauflagen darauf achten, dass aus dem TeilnehmerInnen-Kreis heraus bestimmte Sätze nicht skandiert werden. Für den Ruf „Erdogan Terrorist“ wurde beispielsweise – wie es eine ansässige Lokalzeitung beschrieb – eine Maulkorb-Sperre verhängt. Die Veranstalter sehen bei derartigen Auflagen die Meinungsfreiheit verletzt. Letztendlich müsse laut einem Sprecher gesagt werden dürfen, was Erdogan wirklich sei: „Ein Politiker, an dem das Blut von vielen Menschen klebt.“
Die TeilnehmerInnen der Solidaritätskundgebung für Suruc und Kobane hielten sich dennoch an die Auflagen und unterstützten ihre Solidarität mit Rufen wie „Schluss mit dem Massaker in Kurdistan“, „Solidarität heißt Widerstand, Kampf dem Faschismus in jedem Land“ und „Hoch die internationale Solidarität“. Zum Putschversuch in der Türkei erklärte ein Sprecher, egal ob 1981 oder jetzt, Freiheit und Demokratie sei versprochen, aber nie verwirklicht worden. Für ihn unterstützt die türkische Regierung faschistische Strukturen im Land, die für ein anderes Weltbild stehen.
Am Ende der Versammlung wurde zu einer Kundgebung gegen den „Angriff auf die Meinungsfreiheit von Ulmer Bürgern“ aufgerufen, die am 25. Juli 2016 am Berblinger Brunnen in der Ulmer Fußgängerzone stattfand.
Stadt Ulmer verliert vor dem Oberverwaltungsgericht
Auch für diese Kundgebung hatte die Stadt Ulm erneut hohe Auflagen verhängt. Der Versammlungsleiter legte jedoch beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Widerspruch ein und erwirkte einen Beschluss, in dem das Gericht entschied, dass die DemonstrantInnen Parolen gegen Erdogan rufen dürfen. Die Stadtverwaltung hatte daraufhin gegen diesen Beschluss rechtliche Schritte durch das Oberverwaltungsgericht in Mannheim prüfen lassen. Dieses lehnte jedoch den Einspruch am 25. Juli ab.
Aufruf vom „Komitee gegen den Ulmer Strafbefehl – Für die Verteidigung der Meinungsfreiheit gegen Erdogan“:
„Wir protestieren gegen die Auflagen der Stadt Ulm, Bürgerdienste: Immer wenn Kundgebungen oder Versammlungen beantragt werden, die irgendwie kritisch zur Politik der Türkei, zur Politik von Erdogan sein könnten, werden Auflagen erlassen, die im krassen Widerspruch zum Recht auf Meinungsfreiheit sind!
Der Kollege Cem T. soll 1.200 Euro Strafe bezahlen, weil aus einer Versammlung heraus, Anfang Februar 2016, Teilnehmer „Erdogan-Terrorist“ und „Türkei-Terrorist“ gerufen haben. Diese Versammlung fand statt nach der Bombardierung der Stadt Cizre im kurdischen Teil der Türkei. Bei dieser Bombardierung sind 60 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. […]
Zu befürchten ist, dass, nach der Niederschlagung des Putschversuches, Erdogan jetzt sämtliche restlichen KritikerInnen ausschaltet und er sich selbst zum offiziellen Alleinherrscher ermächtigt.“
Meinungsfreiheit darf nicht zur Disposition stehen
An der Kundgebung beteiligten sich rund 50 Menschen. Die Polizei war mit sieben Streifenwagen und einer Hundestaffel vor Ort. Unterstützung erhielten die Organisatoren der Kundgebung von der Ulmer Politikerin Eva-Maria Glathe-Braun von der Partei Die Linke. Ihre Worte richteten sich gleich zu Beginn gegen die Stadt Ulm.
„Zunächst gilt mein ausdrücklicher Dank, den Richtern an den Amtsgerichten Sigmaringen und Mannheim, die klargestellt haben, dass Meinungsfreiheit ein nicht zur Disposition stehendes Gut ist. Völlig unverständlich ist es mir, dass die Stadt Ulm in untertäniger Beflissenheit das Wesen eines Musterschülers zeigt. Das ist keinesfalls das Verhalten einer freien Stadt, deren Bild von den selbstbewussten Bürgern geprägt wurde, Bürgern wie Cem T., der hier in dieser Stadt lebt und sich politisch engagiert, sich im besten Sinne des Wortes einmischt. Ulm rühmt sich als Internationale Stadt, von Menschen wie Cem T. wird dieses Bild geprägt.“
Wir dokumentieren nachstehend den weiteren Redeinhalt von Glathe-Braun:
„Einmischen, Aufrütteln, im besten Sinne des Wortes – niemand kann es kalt lassen, wenn wir jetzt in Cems Heimat blicken. In Kurdistan, seiner Heimat leben die Menschen schon lange in einem Ausnahmezustand, sind ihrer Rechte beraubt, Die Regierung Erdogan betreibt einen Bürgerkrieg gegen die eigene Bevölkerung. In den kurdischen Gebieten wird mit Kriegswaffen auf Jugendliche geschossen, werden ganze Städte belagert, sind 17 Städte teilweise bzw. völlig zerstört, es herrscht der Ausnahmezustand, eine halbe Millionen Menschen sind auf der Flucht. In Suruc ließen junge Menschen, die helfen wollten ihr Leben. Hier gelten die Bürgerrechte – Meinungsfreiheit schon lange nicht mehr. Menschen trauen sich nicht auf die Straße.
Niemand glaubte, dass es noch schlimmer geht, doch wir wurden eines Schlimmeren belehrt.
Was bedeutet es, wenn der Präsident eines Landes einen Putsch als Gottesgeschenk bezeichnet?
Niemand wird mit einem Wort einen Militärputsch verteidigen, hier standen in der Türkei alle Menschen zusammen, warum wird dieser Prozess nicht endlich genutzt als ein Volk zusammenzustehen, Gräben zu überwinden, die Hand zu reichen. Endlich die aufgehobene Immunität der HDP Abgeordneten wiederherzustellen. Doch was folgte ist der unbeschreibliche Versuch, alle, aber auch jeden noch so kleinen Keim der Opposition zu ersticken. Justiz, Bildung und Medien gleichzuschalten. In den Zeitungen werden ganze Redaktionen abgesetzt heute wieder 42 Journalisten festgenommen. Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte werden ebenfalls abgesetzt, besonders diejenigen, die Korruptionsvorwürfen gegen Regierungsmitgliedern nachgehen. Einfache Menschen, die nur die Frechheit begangen haben über Erdogan zu lachen, finden sich vor Gericht wieder. Wissenschaftler dürfen das Land nicht mehr verlassen. Ein unerträgliches Klima der Denunziation wird geschaffen. Eine wahre Hexenjagd.
Die Europäische Menschenrechtskonvention wird teilweise ausgesetzt und es wird nach der Todesstrafe gerufen. Amnesty International hat Belege, dass gefoltert wird. Die Menschen haben Angst – und wie nennt man einen Präsidenten der eine solche Situation schafft?
Jeder soll die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung haben und da wird uns vielleicht nicht jede Äußerung gefallen, doch damit müssen wir uns im politischen Diskurs auseinandersetzen.
Aber was wir nicht länger zulassen dürfen ist, dass der lange Arm der Erdogan Anhänger bis nach Deutschland reicht, Es gibt eine Telefonnummer des türkischen Sicherheitsapparates, bei dem man anrufen und Menschen hier in Deutschland denunzieren kann.
Das ist ein Skandal.
Die Menschen in der Türkei und besonders die Menschen in den kurdischen Gebieten brauchen dringend die Solidarität der anderen Staaten, doch diese halten sich mit Kritik sehr bedeckt, aus Angst dass der faule Flüchtlingsdeal auf der Kippe stehen könnte. Da wird schon mal weggesehen, wenn Erdogan einen Amoklauf gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte führt. Jährlich gibt die EU 630 Millionen Euro aus als Vorbeitrittshilfe für ein Land, in dem die Menschenrechte mit den Füßen getreten werden.
Hier darf die Staatengemeinschaft nicht einfach wegsehen.
Heute hat sich Erdogan mit „Oppositionspolitikern“ getroffen, Vertreter der HDP waren nicht geladen, das ist empörend.
Was können wir hier in Ulm machen? Wie können wir den Menschen in der Osttürkei helfen? Dort gibt es den Versuch, Freiheit und Demokratie auf kommunalpolitischer Ebene zu verwirklichen. Die Partei Demokratische Partei der Regionen setzt auf die Kommune als Lebensort der Menschen und vertritt die Interessen aller dort lebenden, nicht nur der kurdischen Bevölkerung. Vielmehr versucht sie ein demokratisches, säkulares und pluralistisches Modell, in dem die verschiedenen Ethnien und Religionen gleichberechtigt sind, mit starken, autonomen Kommunalverwaltungen umzusetzen. DIE DBP ist landesweit in der linken Sammelpartei HDP organisiert. Die KommunalpolitikerInnen der DBP organisieren ihre Kommunen in schwierigsten Zeiten und haben dabei auch Erfolge auf verschiedensten Gebieten.
Wir brauchen tätige Solidarität mit den kurdischen KommunalpolitikerInnen, BürgermeisterInnen und GemeinderätInnen, diese muss in einem breiten Bündnis aufgebaut werden. Ihnen droht für ihr Engagement Amtsenthebung, Verfolgung und Gefängnis.
Deshalb ist ein partei- und fraktionsübergreifendes Engagement für eine Patenschaft zwischen Ulm und einer Gemeinde in den kurdischen Gebieten der Türkei beziehungsweise zu einem bedrohten KommunalpolitikerIn notwendig. Dafür werde ich mich einsetzen. Der internationale Ausschuss ist ja hier das geeignete Gremium um hier einen Antrag zu erarbeiten.
Unsere Stadt braucht engagierte Menschen, die sich einmischen und nicht schweigen. Cem ist einer von ihnen, ihm gilt unsere Solidarität, dass dieser Strafbefehl verschwindet muss eine Selbstverständlichkeit im Land der Meinungsfreiheit sein.“
Folge uns!