Von Christian Ratz – Mannheim. „Spiegel-Online“ berichtete am 2. Juli mehrseitig über „Selins Lüge“. Im Anschluss erfuhr eine politische Aktivistin globale Medienpräsenz. Die vielseitig engagierte Sprecherin der Linksjugend Solid in Mannheim, der Jugendorganisation der Linken, war Anfang 2016 Opfer einer Vergewaltigung geworden. Unter Schock verschwieg sie zunächst den vollen Umfang der Tat. Einen Tag später korrigierte sie ihre Aussage bei der Polizei. Seither sind ihre Geschichte und Anfeindungen gegen sie immer wieder in den Medien. Wie sieht sie heute das Geschehen?
Im Mai 2016 haben die Behörden die Suche nach den Straftätern eingestellt. In der Folge sendeten zwei TV-Sender-Beiträge im Nachgang zur Spiegel-Reportage. Wir trafen uns mit Selin Gören am 20. Juli in privater Atmosphäre, nachdem ein zuvor geplantes Interview am Rand der Regionalkonferenz „Aufstehen gegen Rassismus“ in Frankfurt am Main nicht möglich war.
Gefühle und Reflektionen nach der Spiegel-Reportage
Selin Gören brachte bereits am Tag der „Spiegel-Online“-Publikation in einem sozialen Netzwerk zum Ausdruck, wie unglücklich sie diese findet. Sie wird erneut Opfer von Beschimpfungen und Häme. Im Gespräch mit uns sagt sie, dass sie etwas naiv an das Interview mit der jungen Spiegelreporterin herangegangen sei.
In der Folge erfährt Selin Gören nicht nur Schmähungen aus Parteikreisen, sondern auch – vor allem von weiblichen Personen – auf Online-Plattformen. Aussagen, die sie kurz nach der Vergewaltigung gemacht hatte, wurden umgedeutet und ihr zum Vorwurf gemacht.
Blogger verwenden nicht freigegebene Fotos

Selin Gören – Foto: © Anna Logue
Zudem erlauben sich Blogger, Informationsinhalte aus dem Internet einschließlich nicht frei gegebener Fotos für ihre nicht legale „Berichterstattung“ zu nutzen. Dagegen juristisch vorzugehen, scheint auch nach anwaltlichen Auskünften unmöglich zu sein. Inzwischen erhält Selim Gören auch Anfragen für Interviews und Filmaufnahmen aus dem Ausland.
Sie erzählt uns, dass sie die beste Unterstützung nach der grauenhaften Tat aus ihrem engsten, privaten Freundeskreis erfahren hat. Ihre Partei, die Linke, habe sie weitestgehend im Stich gelassen. Von ihren Genossen hätte sie sich eine deutliche Solidarisierung mit ihr in der Öffentlichkeit erhofft.
Der Missbrauch und trotzdem keine Angst vor Arabern
Selin Gören leidet bis heute unter dem brutalen und ungewollten sexuellen Übergriff durch eine multi-ethnische Männergruppe. Doch sie erklärt klar und deutlich, dass sie sich im Rahmen ihres politischen Mandats und privat weiter für Flüchtende und Migranten und deren Integration in die Gesellschaft einsetzen wird.
Sie bedauert im Nachhinein, dass sie bei ihrer Anzeige bei der Polizei nicht gleich den vollen Umfang der Tat zu Protokoll gegeben hat und dies erst einen Tag später korrigierte. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass ihr von Kritikern Lüge vorgeworfen wurde.
Die Behauptung von „Spiegel-Online“, dass Selin Gören Angst vor Arabern hätte, sei aber vollkommen aus der Luft gegriffen. Ängste bereiteten ihr Begegnungen mit Männern, die den Tätern ähnlich sehen.
Ungebrochen in der weiteren Arbeit
Selin Gören scheint ihren privaten Weg als alleinerziehende Mutter und ihren politischen Werdegang dank einiger weniger enger Freunde weiter beschreiten zu können.
Welche Hinweise und Ratschläge hat sie für Frauen in vergleichbaren Situationen, wie sie sich nach einer Vergewaltigung, nach sexuellem Missbrauch im Allgemeinen, verhalten sollten? Ihre Antwort: „Es sollte jedem Missbrauchsopfer – ob weiblich oder männlich – möglich sein, Strafanzeige zu stellen. Es ist ein schwieriger und intensiver Prozess, welcher tief in die Privat- und Intimsphäre eingreift.“ Selin Gören hat jedoch absolut Verständnis dafür, dass Opfer vergleichbarer sexueller Straftaten einen anderen Weg wählen als sie – vor allem, wenn die Gewalttat später öffentlich gewollt oder ungewollt publik wird.
Siehe hierzu auch die Meldung der Mannheimer Linkspartei „Solidarität mit Opfern von sexueller Gewalt und rechter Hetze„.
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