Von unseren ReporterInnen – Berlin. Um tatsächlich die Zugänge zum Sozial- und Arbeitsministerium zu versperren – dazu waren bis zu 1500 DemonstrantInnen am Freitagvormittag, 2. September, zu wenig und die Übermacht der Polizei mit über 2000 BeamtInnen zu groß. Dennoch sprach das Blockupy-Bündnis im Nachhinein von einem Erfolg. Es sei gelungen, den Haupteingang des Sozialministeriums zumindest in Sichtweite zu blockieren und auch direkt vor dem Finanzministerium gegen die Austeritätspolitik der Bundesregierung zu protestieren. Am Nachmittag gab es in einer „zweiten Welle“ weitere Aktionen. An einer Demonstration gegen den „schmutzigen Deal mit Erdogan“ beteiligten sich bis zu 2000 Menschen.
Am Samstag, 3. September, wird das Protestwochenende in Berlin mit einer Demonstration „Aufstehen gegen Rassismus – Berlin braucht keine AfD!“ fortgesetzt. Veranstalter ist ein breites Bündnis. Die Auftaktkundgebung beginnt um 14 Uhr am Adenauerplatz. Der „Grenzenlis-Block“ werde wohl der größte sein, hofft Blockupy-Sprecher Ulrich Wilken. Der Block richte sich „gegen oben und unten, gegen die Grenzen innerhalb Europas und gegen die EU-Außengrenzen“. Die Demo startet um 15 Uhr, um 16.30 Uhr beginnt auf dem Lützowplatz die abschließende Kundgebung mit einem Konzert.
Im Zentrum des ersten Protesttags standen die Aktionen des Blockupy-Bündnisses. Zu den spektakulärsten gehörte, wie Aktivisten an der gläsernen Fassade des Hauptbahnhofs in Richtung Europaplatz emporkletterten und ein Transparent anbrachten. „Gemeinsam kämpfen gegen Rassismus und Ausbeutung“ war die Aufschrift.
Polizei setzt Schlagstock und Pfefferspray ein
Die Bundespolizei beendete die Kletteraktion und ermitteln nun wegen Hausfriedensbruch, heißt es in einer Mitteilung. Ein 25-jähriger Mann und eine 23-jährige Frau aus Berlin hätten das Transparent entrollt. Sie seien von einer weiteren Person am Boden unterstützt worden. Der Aufforderung, die Aktion freiwillig zu beenden, seien die Aktivisten nicht nachgekommen.
Bei verschiedenen Kundgebungen mit dem Ziel, zum Arbeits- und Sozialministerium vorzudringen, gab es Am Vormittag ebenfalls Polizeiübergriffe gegen DemonstrantInnen. Es wurden Schlagstock und Pfefferspray eingesetzt. Immer wieder stießen Gruppen von BeamtInnen in die Menge vor, um gezielt einzelne AktivistInnen festzunehmen – zum Teil unterstützt durch Hinweise von Zivilpolizisten, die sich zuvor scheinbar unauffällig unter die Menge gemischt hatten. Es gab auch einzelne Berichte von Pressebehinderungen.
Blockupy-Bündnis kritisiert Polizei
Die Berliner Polizei selbst zog dennoch eine positive Bilanz des ersten Protesttags. Auseinandersetzungen habe es nur bei den Blockaden in der Wilhelmstraße gegeben. Es habe insgesamt 52 Festnahmen gegeben, meistens mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs. Das Blockupy-Bündnis kritisierte das harte Vorgehen der Polizei. Es habe mehrere Dutzend Verletzte gegeben. Viele mussten sich von Demosanitätern behandeln lassen. Die Festgenommenen wurden am frühen Abend nach Angaben von Blockupy wieder freigelassen. Zunächst hatte es geheißen, sie müssten das ganze Wochenende in „Unterbindungsgewahrsam“ bleiben.
Dem Aufruf von Blockupy waren am frühen Morgen etwa 1000 AktivistInnen gefolgt. Später wuchs die Menge auf etwa 1500 Personen an. Jeweils etwa 500 Menschen versammelten sich am Gendarmenmarkt und am Potsdamer Platz, um sich in Richtung Arbeits- und Sozialministerium auf den Weg zu machen. Die Polizei hatte es weiträumig mit Einsatzfahrzeugen, Hamburger Gittern und Ketten von Beamten abgeriegelt.
Die Schnellsten kamen bis zum Haupteingang
Etwa 30 bis 40 Demonstrantinnen gelang es, bis auf Höhe des Haupteingangs des Arbeits- und Sozialministeriums vorzudringen und an der Ecke Voßstraße/Wilhelmstraße eine Sitzblockade zu beginnen. Eine größere Gruppe kam nur bis zum Finanzministerium und wurde dort von starken Polizeikräften für längere Zeit eingekesselt. „Ebenfalls ein schöner Blockadepunkt“, fand Samuel Decker, Sprecher der Berliner Blockupy-Plattform.
Wer die Polizeiketten passieren wollte, musste sich zumindest einer Gesichtskontrolle unterziehen. Eine Ausnahme gab es offenbar für die Träger von Anzügen. Nach unserer Beobachtung kamen sie stets problemlos durch. Um die Blockadefinger wieder vereinen zu können, wurde die Sitzblockade als spontane Versammlung angemeldet, und es gab Verhandlungen mit der Polizei. „Wir werden Sie jetzt rüberführen zu einer angemeldeten Versammlung“, kündigte die Polizei den Eingekesselten an.
Das Leben ist zu kurz für Kapitalismus
Samuel Decker zufolge hatten die Veranstalter am Freitagvormittag mit 2000 AktivistInnen gerechnet. Einige Reisegruppen in Bussen seien wohl von der Polizei aufgehalten worden. Der Blockupy-Sprecher zeigte sich dennoch zufrieden mit der Aktion. Sie sei kein Abklatsch von Blockupy Frankfurt, sondern Auftakt einer neuen Bewegung gegen Rechts. Da in der Türkei die politische Entwicklung eskaliere, sei es schön, wenn Gruppen aus der deutschen Linken zusammen mit Kurden demonstrierten. Das ganze Wochenende bestreite man gemeinsam mit feministischen und antirassistischen Gruppen. Die Polizei stehe nicht im Fokus, stellte Decker klar: „Wir wollen unser Ziel erreichen und zum Arbeitsministerium.“
„Solidarität statt Prekarisierung“ und „Grenzenlose Demokratie statt nationaler Spaltung“ stand auf den Fronttransparenten der von der Polizei in engem Spalier eskortierten Abschlussdemonstration der Blockadeaktion. Sie führte durch die Voßstraße vorbei an der „Mall of Shame“ genannten „Mal of Berlin“. Auch dort war es AktivistInnen gelungen, ein Transparent anzubringen – sehr zur Freude der vorbeiziehenden DemonstrantInnen. „Organisieren, Blockieren, Streiken – Das Leben ist zu kurz für Kapitalismus“, stand darauf. Ein Security-Mann griff unter heftigen Buh-Rufen ein und entfernte das Plakat.
Bundesregierung fördert soziale Spaltung
Dort an der „Mall of Shame“ an der Leipziger Straße gab es auch eine Kundgebung. Es wurde daran erinnert, dass ein Teil der Arbeiter seit zwei Jahren auf ihren Lohn warten. Ulrich Wilken räumte ein, dass zu den Blockadeversuchen am Freitagvormittag weit weniger TeilnehmerInnen kamen als erhofft. Der hessische Landtagsabgeordnete der Linken hatte die Veranstaltung auf Bitten des Bündnisses angemeldet – wie auch schon Blockupy in Frankfurt.
Man habe in Berlin viel erreicht, fand Wilken. Vor dem von der Polizei komplett mit Hamburger Gittern abgesperrten Areal des Sozialministeriums und dem Finanzministerium habe man darauf hinweisen können, dass die Bundesregierung Verursacher der sozialen Spaltung ist und das Modell Hartz IV weiter verbreitet zu werden drohe.
Abschottung löst keine Probleme
„Hartz IV darf nicht zum Exportschlager werden“, forderte auch die Linken-Vorsitzende Katja Kipping. Ihrer Partei sei am Wochenende das Signal wichtig, dass man Probleme nicht durch Abschottung löst und dass der Rassismus durch die Austeritätspolitik, durch Sozialkürzungen genährt werde, sagte sie uns. Kipping war als parlamentarische Beobachterin vor Ort und wunderte sich über den „unglaublichen Personaleinsatz der Polizei bloß für Leute, die sich von einer angemeldeten Demoroute entfernen“.
Am Nachmittag gab es eine Reihe weiterer Veranstaltungen – so etwa eine Bootstour in Rummelsburg. Das Ziel der Klimaaktivisten war das Kohlekraftwerk Klingenberg. Die Polizei wollte sie jedoch zunächst nicht ablegen lassen, und sie durften auch die Bucht nicht verlassen. Weitere Aktionen gab es vor der SPD-Zentrale und vor der sächsischen Landesvertretung.
Protest gegen Verflechtung zwischen EU und Türkei
Die Demonstration gegen die Politik der AKP-Regierung, ihre Übergriffe auf Pressefreiheit und Opposition und ihren Krieg gegen die kurdische Bevölkerung begann am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus. „Kein Deal mit Erdogan, Frieden in Kurdistan“ war eine der meistgehörten Parolen. Besondere Aktualität erhielt das Thema durch den Besuch des Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz (SPD) am Vortag in Ankara und durch die am Freitag publik gewordene indirekte Distanzierung der Bundesregierung von der Armenien-Resolution des Bundestags. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte erklärt, die Resolution habe keine rechtliche Relevanz. „Ein peinlicher Kniefall vor Erdogans Allmachtsansprüchen, nur weil man sich von ihm abhängig gemacht hat“, kommentierte Katja Kipping.
Die Demoroute führte nach der Auftaktkundgebung am Neptunbrunnen durch die Straße unter den Linden zur Europäischen Kommission am Pariser Platz. Dort wurde eine symbolische Menschenrechtsmauer aus Karton aufgestellt. Aufgedruckt waren fotografisch Szenen aus dem Krieg gegen Kurdistan, aber auch auf der anderen Seite die Erinnerung an die Handelsbeziehungen, Waffengeschäfte und anderen Verflechtungen, die zum schmutzigen Deal der EU mit der Türkei führen – schmutzig insofern, als er tausende zusätzliche Tote auf den umso gefährlicheren Fluchtrouten übers Meer in Kauf nimmt.
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