Von unseren ReporterInnen – Fellbach. Zwanzig Anhänger von „Fellbach wehrt sich“ auf dem doppelt mit Hamburger Gittern gesicherten Platz vor der Lutherkirche, nach unserer Zählung bis zu 320 Nazi-GegnerInnen aus einem breiten Bündnis an den Zufahrten und starke Einsatzkräfte der Polizei zwischen den Lagern: Das war die Situation am Freitagabend, 9. September, im Zentrum der 45 000-Einwohner-Stadt nahe Stuttgart.
Die gegen Flüchtlinge agierende Gruppe „Fellbach wehrt sich“ hatte zum dritten Mal zu einer Kundgebung aufgerufen. Sie radikalisiert sich offenbar zunehmend – ganz entgegen ihrer Behauptung, gegen Gewalt und friedlich zu sein. Davon zeugten offen volksverhetzende Reden und Drohungen gegen AntifaschistInnen via Facebook am Tag nach der Kundgebung.
Schon im Vorfeld hatte Initiator Michael Stecher aufgerufen, an dem Abend Aufnahmen von Nazi-GegnerInnen zu machen. Sie protestierten an dem Abend in einem breiten Bündnis, zu dem auch der DGB gehörte, gegen die rechte Kundgebung (siehe unten die Rede der Initiative Rems-Murr-nazifrei!). Ihre Parolen und Sirenen waren so laut, dass sie auf dem Versammlungsplatz der Rechten gut zu hören waren. Deren Reden drangen umgekehrt nicht nach außen.
Am Morgen nach der Kundgebung wandte sich Stecher per Facebook an Gegner und Anhänger. Ihn hätten mehrere Nachrichten von Menschen erreicht, die von antifaschistischen Gruppen angegangen worden seien. Die Antifa habe am Vortag „eine Linie überschritten“ – allerdings nicht zum ersten Mal. Sie müsse „als Terrorgruppe eingestuft werden“, forderte er.
„Wir werden gnadenlos zuschlagen“
„Wir werden alles daran setzen, Euch Terroristen zu bekämpfen“, kündigte er an. Und weiter: „Ich gebe jetzt an alle Feuer frei. Wir haben genug Bilder, wir haben Euch identifiziert. Egal wo Ihr seid, traut Euch nicht mehr aus dem Haus – wir werden gnadenlos zuschlagen. Seid gewarnt. Es ist vorbei für Euch. Ich bin stinksauer.“ Das dürfte auch daran gelegen haben, dass sich die AntifaschistInnen nicht auf „Angebote“ eingelassen hatten, eine Querfront gegen „die da oben“ zu bilden. In einem weiteren Facebook-Eintrag hieß es am Samstag: „‚Fellbach wehrt sich‘ erklärt den Krieg.“
Offenbar war es am Vorabend nicht allen Anhängern der Gruppierung gelungen, durch die Reihen der Protestierenden zum Ort der rechten Kundgebung zu gelangen. Die meisten der Versammelten dürften bei der Anreise und beim Abzug von der Polizei durch ein Parkhaus mit Tiefgarage geschleust worden sein. Ester Seitz, prominenteste Gastrednerin aus der rechten Szene, beschwerte sich darüber, von der Polizei nicht zum Versammlungsort geleitet worden zu sein. Stattdessen habe sie über einen Bauzaun klettern müssen und sich voller Angst die Hand aufgerissen, so dass sie nun Blut auf ihrer weißen Hose habe.
Ester Seitz sieht den Zug schon abgefahren
„Das ist wohl der Preis, den man inzwischen für Meinungsfreiheit bezahlen muss“, klagte sie. Nach Fellbach sei sie gekommen, denn „Ihr habt es wirklich hart“. Deutschland sei schon längst nicht mehr Deutschland, klagte Seitz mit Bezug auf Angela Merkel – dieser Zug sei abgefahren.
Verstörend und offen volksverhetzend war der Auftritt eines Redners namens Michael, der sich als promovierten Sozialwissenschaftler vorstellte. Er warnte vor einer „Durchrassung der Gesellschaft“. „Wir Deutschen“ würden durch eine „so genannte negroide Mischrasse“ ersetzt. „Wir müssen unser deutsches Blut reinhalten von solchem Gesockse“, forderte er und fuhr in ähnlichem Stil fort.
Rede war selbst manchen Rechten zu krass
Es sei „ein natürliches Anliegen von uns Blutdeutschen, dass wir diese Menschen und diese fremde Kultur und diese fremde Religion nicht auf unserer heiligen deutschen Erde dulden“, erklärte er. „Wir Deutschen müssen uns auf unser Germanentum, auf unsere Mythen“ besinnen und „Deutschland vollenden“, wozu auch „das Land unserer Vertriebenen“ gehöre. „Wir lieben Deutschland für jetzt und für alle Ewigkeit. Amen“, bemühte er eine religiöse Formel. Er bekam Zuspruch zu seiner wirren Rede, doch es gab auch Widerspruch. „Das war mir zu krass. Man kann auch ein bisschen auf dem Teppich bleiben. Ich kann nicht unterstützen, was gerade gesagt wurde“, sagte einer.
Von all dem war bei den antifaschistischen Kundgebungen nichts zu hören. Die Polizei hatte den Versammlungsort der Rechten weitläufig abgesperrt. Sie trat trotz gelegentlicher Vermummung mit Helm und Gesichtsschutz nicht besonders aggressiv auf – wenn man davon absieht, dass einige Zivilpolizisten unruhig wurden, weil sie offenbar befürchteten, fotografiert und enttarnt zu werden. Die DemosanitäterInnen mussten an diesem Abend nur in einem Fall mit einem Blasenpflaster behilflich sein.
Spontandemo nach Abzug der Rechten
Gegen 20 Uhr waren die rechte Kundgebung beendet und die TeilnehmerInnen abgereist. Vor allem jüngere Nazi-GegnerInnen formierten sich zu einer Spontandemonstration mit Fronttransparent und seitlich getragenen Transparenten. In geschlossenem Block zogen sie von der U-Bahn-Haltestelle durch die Fellbacher Innenstadt zum Bahnhof.
„Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“, „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest“ gehörte zu den Parolen, aber auch „Nazis vertreiben, Flüchtlinge bleiben“ oder „Um Europa keine Mauer, Bleiberecht für alle und auf Dauer“. Außerdem wurden Flyer in Briefkästen und an PassantInnen verteilt, die das Material meist interessiert annahmen.
Nächster rechtsradikaler Aufmarsch und Protest dagegen angekündigt
„Fellbach wehrt sich“ hat angekündigt, am 22. Oktober durch Fellbach zu marschieren. Dann werde auch das Bündnis von Nazi-GegnerInnen wieder vor Ort sein, wurde in einer Ansprache per Megafon an die FellbacherInnen versprochen.
Der Protest wird von den nachstehenden Organisationen unterstützt:
Rems-Murr nazifrei!
Antifaschistische Jugend Rems-Murr (AJRM)
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS)
DGB Ortsverband Fellbach
DGB Schorndorf
DIE LINKE Stuttgart
DKP Rems-Murr
Jusos Rems-Murr
MLPD Kreis Ludwigsburg/Rems-Murr
VVN-BdA Kreisvereinigung Rems-Murr
ÖkoLinX-ARL Ludwigsburg
Die Rede der Initiative „Rems-Murr nazifrei!“ im Wortlaut:
Hallo miteinander,
ich freue mich dass Ihr alle da seid und begrüße Euch herzlich im Namen von „Rems-Murr nazifrei“, entstanden im April 2011 als Initiative aus verschiedenen Organisationen, Parteien und Einzelpersonen. Auslöser war der Brandanschlag von Nazis auf eine Gartenhütte bei Winterbach. Neun Jugendliche, italienische und türkische Migranten, waren vor ihren faschistischen Verfolgern in die Hütte geflüchtet – die wurde ihnen über dem Kopf angezündet, nur mit knapper Mühe konnten sie sich retten. Dieses Verbrechen darf nicht in Vergessenheit geraten! Deshalb veranstaltet
„Rems-Murr nazifrei!“ jedes Jahr eine Demo und das „Rock gegen Rechts“ in der Manufaktur in Schorndorf!
Heute sind wir hier, um zum dritten Mal einer Facebook-Gruppe mit der anmaßenden Bezeichnung „Fellbach wehrt sich“ entgegenzutreten. Ihr Facebook-Auftritt unter dem demagogischen Motto „Gegen Gewalt und für ein friedliches Miteinander“ verbreitet in Wirklichkeit Angst und Schrecken vor Flüchtlingen, die als überwiegend kriminell dargestellt werden. Viele Kommentare auf dieser Seite sind Rassismus pur und es zeigt sich dort Sympathie mit der „Identitären Bewegung“. Ester Seitz, eine kreischende Giftspritze, ist bereits zweimal als Rednerin in Fellbach aufgetreten. Bei der Partei „DieRechte“ hielt sie einen Vortrag, gestern demonstrierte sie für die in Amsterdam vorübergehend festgenommene Ex-Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling. Diese und andere Verbindungen zu rassistischen und faschistischen Organisationen zeigen:Es ist eine gefährliche Verharmlosung, diese Facebook-Gruppe einfach als „rechtspopulistisch“ zu bezeichnen oder als rechte Spinner abzutun!
Warum gibt es so viele Flüchtlinge? Zur Hauptfluchtursache ist der Terror geworden, der ausgeübt wird von religiös verbrämten faschistischen Organisationen wie den Taliban oder dem „Islamischen Staat“: „Zehn der elf am meisten von Terrorismus betroffenen Länder haben auch die höchsten Raten an Flüchtlingen und Vertriebenen“ (Institut für Wirtschaft und Frieden, London). Schützen wir deshalb die hier angekommenen Flüchtlinge vor erneuten faschistischen Attacken!
Längst vergangen ist die humanitäre Geste der Bundeskanzlerin mit dem vielzitierten Satz „Wir schaffen das!“ Er wurde abgelöst durch einen schmutzigen Deal mit Erdogan, der die Flüchtlinge fern von deutschen Grenzen halten soll. Es ist die Regierung, die einen Rechtsruck vollzogen hat! Der zeigte bereits Wirkung und ist der CSU noch lange nicht weitgehend genug. In der Folge wurden reaktionäre und rassistische Parolen salonfähig – Wasser auf die Mühlen der AfD. Dieser faschistoiden Partei muss die bürgerliche Maske abgerissen werden!
In Fellbach muss uns zu denken geben, dass es im Gemeinderat eine Mehrheit gibt, die nach langen und intensiven Auseinandersetzungen in den letzten Jahren immer noch daran festhält, Hindenburg, den Steigbügelhalter Hitlers und Ernst-Heinkel, einen skrupellosen KZ-Profiteur, mit Straßennamen zu ehren. Auch damit können wir uns nicht abfinden!
Aber es gibt in der gesellschaftlichen Polarisierung eine große Gegenbewegung, die sehe ich auch heute hier auf dem Platz: Viele Menschen aus Fellbach und Umgebung, die sich aktiv für Flüchtlinge einsetzen, viele Menschen, die auf die Straße gehen und dem faschistoiden Pack eindeutig zu verstehen geben, dass hier kein Platz für ihre Hetze ist! Flüchtlinge sind willkommen – Refugees Welcome!
Die Initiative „Rems-Murr nazifrei!“ will dazu beitragen, dass faschistische Aktivitäten in unserem Kreis umgehend aufgedeckt und bekämpft werden. Dabei arbeiten wir gerne mit anderen zusammen und wollen weitere Mitkämpfer gewinnen.
Kein Fußbreit den Faschisten – Wehret den Anfängen!
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!