Von Anne Hilger – Ludwigsburg. „Er ist 1916 geboren und hat alle großen Katastrophen des Jahrhunderts erlebt.“ So beschrieb Erhard Korn den hundertjährigen Theo Bergmann, als er ihn zu einem Gesprächsabend in den Ludwigsburger Kronenstuben begrüßte. Der Agrarwissenschaftler, der früher an der Universität Hohenheim lehrte, hatte am 7. März bei Verwandten in Israel seinen runden Geburtstag gefeiert. Das Interview des Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg Korn mit dem hellwachen, bis heute politisch aktiven Kommunisten und die Diskussion mit dem Publikum wurden zu einem beeindruckenden Zeitdokument.
Theo Bergmann beschränkte sich im Gespräch auf Einladung des Ludwigsburger Kreisverbands der Linken keineswegs darauf, von seiner Jugend in der Weimarer Republik, vom Aufstieg der Nazis, seiner Flucht nach Israel oder seine Rückkehr nach Nachkriegsdeutschland zu erzählen. Die politische Botschaft des Gründungsmitglieds der PDS und weiterhin „kritischen Kommunisten“ war hochaktuell.
Den Kapitalismus und die Militarisierung bekämpfen
Die Linke müsse heute für „vier bis fünf Hauptpunkte kämpfen“, so seine Empfehlung – etwa um eine gute Sozialversicherung, Löhne, gegen Krieg und Aufrüstung. Und sie müsse Solidarität mit den Arbeitern in Südeuropa zeigen. „Der deutsche Kapitalismus ist schuld an diesem Elend in Europa“, ist für ihn keine Frage. Daher angesichts von Flucht und Vertreibung auch sein flammender Appell: „Wir müssen als Linke klare Kante zeigen und zeigen, dass wir Internationalisten sind. Wir müssen gemeinsam kämpfen gegen den deutschen Kapitalismus und die Militarisierung.“
Theo Bergmann war Sohn eines Rabbiners. Er hatte sieben Geschwister und wuchs in Berlin auf. Wie seine Brüder schloss er sich der kommunistischen Bewegung an. Er konnte 1933 gerade noch rechtzeitig vor der SA fliehen. Sein Bruder Alfred kam ins KZ, konnte flüchten, wurde aber 1940 von der Schweiz an die Gestapo ausgeliefert und ermordet.
Bis heute immer wieder Reisen nach China
Theo Bergmann wanderte ins damalige Palästina aus und arbeitete in einem Kibbuz – Einrichtungen, die er heute als „sozialistische Inseln in einer bürgerlichen Gesellschaft“ beschreibt. Später führte sein Weg in die Tschechoslowakei, wo er zu studieren begann, und nach Schweden. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück, schloss sein Studium der Agrarwissenschaft ab und promovierte über die Landwirtschaft in Schweden.
Zu Bergmanns 100. Geburtstag erschien eine Neuauflage seiner Autobiographie „Im Jahrhundert der Katastrophen“. Als Professor beschäftigte er sich hauptsächlich mit Genossenschaft und Kibbuz, mit Indien, Afrika und China. In China war er 14 Mal seit 1978 – stets auf eigene Rechnung, wie er in Ludwigsburg betonte. Die Führung dort habe viel erreicht, aber auch Fehler gemacht. „Die Vorstellung von einem Paradies ist falsch. Die Gesellschaft ist ein lebender Organismus“, das ist für Theo Bergmann keine Frage. Dazu, dass sie lebt und sich entwickelt, leistet der Hundertjährige anhaltend seinen Beitrag mit öffentlichen Auftritten, dem Besuch von Schulklassen oder der Teilnahme an Diskussionen. „Ich war kein braver Schüler und musste mehrfach die Schule wechseln“, räumte Bergmann in Ludwigsburg ein. Er erlebte mit, wie die Nazis erstarkten. Dazu trug aus Bergmanns Sicht vor allem die Spaltung der Arbeiterbewegung bei.
Die Spaltung ermöglichte Hitlers Aufstieg
Die SPD hatte die Kriegskredite bewilligt und wurde immer antikommunistischer, die KPD zunehmend abhängiger von der KPdSU. Sie beschloss, dass die Sozialdemokratie der Hauptfeind sei. Vor lauter gegenseitigem Belauern habe man den Faschismus nicht erkannt und geglaubt, er wäre anders als in Italien. „Die Arbeiter wären bereit gewesen zum Widerstand“, ist Bergmann überzeugt.
Die faschistische Gefahr unterschätzt
Er selbst gehörte zur KPO. Von August Thalheimer kam die aus Bergmanns Sicht bis heute beste Faschismus-Analyse: dass der Faschismus dazu diene, die Kapitalherrschaft zu stabilisieren. Er habe früh erkannt, dass zu Adolf Hitlers Zielen gehöre, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, die bürgerliche Demokratie aufzuheben und einen Krieg vorzubereiten. Schon 1929 sagte Thalheimer voraus, dass der Faschismus in Deutschland brutaler sein werde als irgendwo sonst, da man sich nach dem Vertrag von Versailles wieder durchsetzen wolle in der Welt.
„Alle haben mitgemacht und den Faschismus an die Macht gebracht“, ärgert sich Bergmann – nicht zuletzt als Wissenschaftler – auch über die Rolle der Professoren. Sie hätten Theorien geliefert, die nicht wissenschaftlich waren, sondern Schwindel. „Es gibt keine Rassen bei den Menschen. Es gibt Rassen bei den Ziegen und den Schweinen und den Kühen. Bei den Menschen gibt es Hautfarben, aber die Gene sind die gleichen bei uns allen.“
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