Von unseren ReporterInnen – Heidelberg. MigrantInnen aus verschiedenen Ländern prägten das Bild der Demonstration „Solidarity4all – gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung“ am Samstag, 1. Oktober, in Heidelberg. Rund 800 Menschen waren dem Aufruf eines Bündnisses von 50 Organisationen gefolgt, für die Rechte Geflüchteter einzutreten und gegen die aktuelle Abschiebepolitik zu protestieren. Obwohl es zeitweise stark regnete und trotz weit übertriebener Polizeibegleitung war die Stimmung im Demozug und beim Abschluss am frühen Abend auf dem Universitätsplatz bestens.
Mal Elevé von Irie Revolté, Wonda Prince aus Mannheim, Anarchia Liberta aus Italien und Musiker mit afrikanischen Trommeln begleiteten den Nachmittag. Einen optischen Akzent setzten Feuerwerk, Bengalos, ein Banner und rosa Rauch vom Dach des Bauhauses an der Demo-Strecke.
Entschieden gegen Ausgrenzung und Spaltung
Ein breites Bündnis antirassistischer und linker Gruppen hatte die insgesamt fünfstündige Demo mit TeilnehmerInnen aus dem ganzen Südwesten und Gastrednern aus Frankreich und der Schweiz organisiert. Es wertete die Aktion als vollen Erfolg. Die Beteiligung so vieler Migranten zeige, dass „die perfide Propaganda, die versucht, geflüchtete und hier lebende Menschen gegeneinander auszuspielen, keinen Erfolg haben muss“, erklärte eine Vertreterin des Antira-Netzwerkes Baden Württemberg. Ein Wermutstropfen war, dass eine Gruppe Mannheimer Geflüchteter, die teilnehmen wollte, der Residenzpflicht wegen nicht nach Heidelberg kommen konnte.
„Wir wollen den Rassisten und den Rechten nicht die Straße und die Politik überlassen“, stellte die Sprecherin gleich zum Auftakt am Hauptbahnhof klar. Der Protest richtete sich gegen den massiven Abbau der Rechte Geflüchteter in den vergangenen zwei Jahren. Weitere Verschärfungen liegen auf dem Tisch. In der Kritik der Reden, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden, stand am Samstag besonders das seit September 2015 bestehende „Modellprojekt“ Heidelberg zur Registrierung von Flüchtlingen in der ehemaligen US-Kaserne „Patrick Henry Village“ mit seinen Schnellverfahren.
Kritik an herrschender Aufteilungsideologie
Dieses Projekt stehe für eine Politik der beschleunigten Abschiebeverfahren und der nahezu totalen Überwachung und Entrechtung von Flüchtlingen. Die Unterteilung Geflüchteter in Gute und Böse, Richtige und Falsche, die herrschende Aufteilungsideologie also habe mit Fluchtursachen nichts zu tun. Dieses Aussonderungs- und Ausgrenzungsprogramm werde von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP mitgetragen und damit von nahezu allen Parteien. Es biete Andockmöglichkeiten für Rechte und Populisten.
Zwischenkundgebungen gab es vor dem Landratsamt und auf dem Bismarckplatz. Dort setzte ein kurzer Schauer ein. Es gab Musik von Mal Elevé und Wonda Prince, ebenso Reden der Interventionistischen Linken Karlsruhe, einer iranischen Aktivistin der Organisation Space und einen Beitrag in leichter Sprache ebenfalls von Space.
Gute Stimmung trotz Regen und Wind
Beim Bismarckplatz gab es auch einen Zwischenfall, als ein Mann aus einer kleinen Gruppe Rechter heraus provozierend den Hitlergruß zeigte. Die Polizei schaute zu und griff erst auf ausdrückliche Aufforderung ein. Der Mann erhielt einen Platzverweis.
Durch die Hauptstraße ging es weiter zum Universitätsplatz. Bis zur Ankunft war der mit höchstens 700 DemonstrantInnen gestartete Zug auf 800 angewachsen. Noch während der Vorbereitungen auf die Schlusskundgebung mit Konzert setzten Regen und kalter Wind ein. Den Musikern gelang es, trotzdem für gute Stimmung zu sorgen. Viele im Publikum sangen und tanzten mit.
Das Problem heißt Kapitalismus
Es gab Reden des Freiburger Forums und über die Zustände in Afghanistan als angeblich sicherem Herkunftsland. Michael Dandl sprach für die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD). Mit Blick auf die Mauer um die „Festung Europa“ und auf die Ertrunkenen im Mittelmeer sprach er von einem „offenen Krieg der EU gegen Geflüchtete“. Die Abwehr der EU-Staaten gegen Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung Zuflucht suchen, trage inzwischen „offen militärische Züge“.
„Kapitalismus ist das Problem – nicht diejenigen sind es, die vor seinen mörderischen Folgen flüchten müssen!“, stellte der Sprecher der AIHD klar (siehe unten im Wortlaut). Ebenso wandte er sich dagegen, dass Sexisten und Rechtspopulisten den Kampf gegen Sexismus instrumentalisieren.
Die Demonstration soll Auftakt zum Aufbau einer gemeinsamen überregionalen Bewegung sein, die Anfang des Jahres mit einem antirassistischen und migrationspolitischen Kongress am 28. Januar fortgeführt werden.
Die Rede der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD/iL) im Wortlaut:
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Antirassistinnen und Antirassisten,
wir setzen heute hier in Heidelberg ein wichtiges Zeichen: ein Zeichen, dass wir es nicht zulassen, dass Rassismus, Rechtspopulismus und Hetze gegen Geflüchtete hoffähig werden.
In den vergangenen Monaten wurden viele von den rassistischen Übergriffen gegen Unterkünfte und gegen Geflüchtete, von den rechten Aufmärschen der PEGIDA-Ableger und von den Wahlerfolgen der rechtspopulistischen AfD aufgeschreckt. Es ist richtig und wichtig, klar gegen rassistische Veranstaltungen wie den Auftritt des AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen vorzugehen: Sein Versuch, in Mannheim-Feudenheim rechtspopulistische Hetze zu verbreiten, wurde vorgestern nicht unwidersprochen geduldet, sondern von lautstarken antirassistischen Protesten begleitet.
Solche rechten Großveranstaltungen und Aufmärsche sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Sie sind der augenscheinlichste Ausdruck eines Rechtsrucks, der alle Bereiche der Gesellschaft durchzieht. Die staatlicherseits befürwortete Willkommenskultur vom Sommer 2015, das damit verbundene Verständnis für Fluchtursachen und das freundliche Interesse an den Geflüchteten waren nur von kurzer Dauer: Schon im vergangenen Herbst kippte die Stimmung wieder – nicht zuletzt auf Betreiben der so genannten bürgerlichen Parteien. Die Parolen der CSU unterscheiden sich nicht merklich von denen der AfD, wenn etwa der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gegen „ministrierende, Fußball spielende Senegalesen“ hetzt, die wegen dieser Integration nicht mehr „loswerde“.
Auch wenn die Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen keine so unverhohlenen Stammtischparolen äußern, setzen sie doch in ihrer praktischen Arbeit genau diese Punkte um: gerade die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg war eine Vorreiterin bei der Verschärfung der rechtlichen Lage von Geflüchteten und vor allem bei der Erweiterung der so genannten „sicheren Herkunftsländer“. Geringfügige Verbesserungen der Lebensbedingungen – etwa im Bereich der Residenzpflicht – dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die grün-rote Regierung war, die es durch ihre Stimme im Herbst 2014 ermöglichte, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu „sicheren Herkunftsländern“ zu erklären. Ein Jahr später wurden auch Albanien, Montenegro und Kosovo als sicher deklariert. Von dieser Maßnahme waren in erster Linie Roma betroffen, die in diesen Ländern offener Diskriminierung und Ausgrenzung, massiver struktureller Benachteiligung und Armut sowie immer wieder körperlichen Übergriffen und pogromartigen Angriffen ausgesetzt sind. Gerade Roma, die als eine der Hauptopfergruppen der Nazis in diesem Land besonderen Schutz genießen sollten, werden somit erneut vertrieben und in einem offen rassistischen und antiziganistischen Diskurs als so genannte Asylschmarotzer diffamiert.
Ein weiteres Beispiel der rassistischen Politik der damaligen grün-roten Landesregierung war die Einrichtung des Registrierzentrums in Heidelberg, mit dem geflüchtete Menschen weiter entrechtet und ohne genauere Überprüfung „abgefertigt“ und schnellstmöglich abgeschoben werden. Unter der jetzigen grün-schwarzen Regierung beschleunigt sich diese Politik der Ausgrenzung und Abschiebung noch weiter; die Möglichkeiten für Geflüchtete, einen sicheren Aufenthaltsstatus und Grundrechte zu bekommen, werden in Baden-Württemberg ebenso wie im gesamten Bundesgebiet immer geringer.
Die Mauer um die „Festung Europa“ wird immer höher, die Zahl der Menschen, die an den Außengrenzen ums Leben kommen, steigt von Tag zu Tag. Die Abwehr der EU-Staaten gegen Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung Zuflucht suchen, trägt inzwischen offen militärische Züge und ist zu einem offenen Krieg der EU gegen Geflüchtete geworden. Bei der Wahl ihrer Bündnispartner haben die Bundesregierung und die anderen EU-Staaten jegliche Schamgrenzen überschritten: offen paktieren sie mit Diktatoren und Warlords, damit diese fliehende Menschen in Lager internieren. Unwidersprochen liefern sie Waffen an kriegführende Regierungen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, damit diese die Schutzsuchenden schon vor den Außengrenzen Europas abwehren. Um das repressive Erdogan-Regime milde zu stimmen, bezahlt die Bundesregierung der Türkei große Summen und verfolgt als Gefälligkeitsgeste kurdische und türkische Linke in der BRD.
Doch nicht nur auf Regierungsebene verschärft sich der Kurs gegen Geflüchtete: Parallel zur staatlichen rassistischen „Auslese“ und Abschiebepraxis sowie der Abschottung nach außen gehören rassistische Stimmungsmache in den Medien sowie in der Gesamtgesellschaft inzwischen zum Alltag. Die Diskurse über Geflüchtete und Menschen aus anderen Ländern werden geprägt von absurden Debatten wie über Kopfbedeckungen und Badekleidung – die Forderung nach Kleidervorschriften ist ein Rückfall in die Gesetzgebung des Spätmittelalters. Durch skandalisierende Berichterstattung und unwidersprochene Hetze im öffentlichen Raum werden permanent Ängste in der Bevölkerung geschürt und die Ursachen für gesellschaftliche Probleme, für die Folgen von kapitalistische Ausbeutung und Sozialabbau, für alltägliche Ausgrenzung und Diskriminierung denjenigen angelastet, die frisch hierherkommen.
Anstatt den Abbau sozialer Rechte, die Prekarisierung großer Teile der Bevölkerung und die wachsende Zahl der Armen als Folge verschärfter kapitalistischer Ausbeutung zu erkennen, werden Geflüchtete zu wohlfeilen Sündenböcken gemacht.
Wir sagen: Kapitalismus ist das Problem, nicht diejenigen, die vor seinen mörderischen Folgen flüchten müssen!
Anstatt den systemimmanenten und den alltäglichen Sexismus sowie die Gewalt gegen Frauen in allen Teilen dieser Gesellschaft anzuprangern, wird das Problem auf männliche Geflüchtete projiziert und sie als alleinig Schuldige dargestellt. Rechtspopulistische Sexisten entdecken seit den Übergriffen in der Silvesternacht erstmals das Recht von Frauen* auf körperliche Unversehrtheit.
Wir sagen: Sexismus ist das Problem, nicht die Geflüchteten! Wir lassen nicht zu, dass der Kampf gegen Sexismus von Rassisten und Rechtspopulisten instrumentalisiert wird.
Mit der heutigen Demonstration setzen wir eine Zeichen für unseren gemeinsamen Kampf für eine solidarische Gesellschaft, gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft, gegen kapitalistische Ausbeutung und für ein Bleiberecht für alle.
Lasst uns dem alltäglichen Rassismus entschlossen entgegentreten – heute
und im Alltag, hier in Heidelberg und überall!
Streuen wir der rassistischen Abschiebemaschinerie Sand ins Getriebe!
Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall!
Folge uns!