Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Mindestens 400 Menschen protestierten am Montag, 3. Oktober, gegen eine AfD-Veranstaltung im Kursaal von Bad Cannstatt. Aufgerufen hatte das Bündnis Stuttgart gegen Rechts. Die Polizei war mit mehreren Hundert Beamten im Einsatz. Sie sicherten den Eingangsbereich mit einer doppelten Reihe Hamburger Gitter und Polizeiketten, lotsten die DemonstrantInnen aber so ungeschickt auf die Schienen, dass die U-Bahn nicht oder nur eingeschränkt fahren konnte.
Wie inzwischen bekannt wurde, nahm die Polizei nahe beim Kursaal einen Demonstranten unter dem Vorwurf fest, er habe einem Beamten die Pfefferspraydose vom Gürtel stehlen wollen. In der „Stuttgarter Zeitung“ ist überdies vom Reservemagazin seiner Pistole die Rede.
Ein Richter ordnete Untersuchungshaft an, obwohl der Staatsanwalt nach Angaben der Roten Hilfe dafür keine Notwendigkeit sah, wenn eine Kaution bezahlt wird. Der Aktivist ist in Stuttgart-Stammheim inhaftiert. Der Termin für eine mögliche Gerichtsverhandlung ist am 17. Oktober. Nach Angaben der Polizei wurde überdies ein Beamter bei den Protesten durch einen Schlag auf die Hand leicht verletzt.
200 AfD-Anhänger im Kursaal
Die rechtspopulistische, zum Teil völkisch-nationale AfD hatte zu ihrer Feier am „Tag der Deutschen Einheit“ die Bundesvorsitzende Frauke Petry, den Europaabgeordneten Marcus Pretzell und den Vorsitzenden der „Jungen Alternativen“ Markus Frohnmaier eingeladen – allesamt Vertreter des rechten Flügels der Partei.
Es kamen etwa 200 Anhänger in den Kursaal. Wer Einlass begehrte, musste eine Einladung vorzeigen oder seine Parteimitgliedschaft nachweisen. Es wurden auch Aufnahmeanträge verteilt. Der Bundes- und Landessprecher Jörg Meuthen, Vorsitzender der gespaltenen AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag, wurde an dem Nachmittag nicht gesichtet.
Offener Rassismus und Antifeminismus
Während die Polizei mit vielen Einsatzfahrzeugen am Kursaal bezog – sogar ein Wasserwerfer wurde gesichtet -, begann der Protest auf dem Cannstatter Marktplatz. Dort kritisierten Sprecher des Aktionsbündnisses, dass die Stadt Stuttgart der AfD zum wiederholten Mal öffentliche Räume zur Verfügung stellte. Das zweite Problem sei die Partei selbst, die mit offenem Rassismus, Antifeminismus, dem Schüren von Ressentiments und dem Bekämpfen sozialer Standards Politik gegen die Mehrheit im Land mache. „Wir wollen inhaltlich dagegenhalten und zeigen, dass es in Stuttgart keinerlei Platz für rechte Hetze gibt“, sagte ein Sprecher.
Ein weiterer thematisierte die von der AfD geladenen Redner. Marcus Pretzell gehöre zusammen mit der Lega Nord, der FPÖ und der französischen Front National der ENF-Fraktion an. Er stehe exemplarisch für die europäische Vernetzung der Rechten. Frohnmaier arbeite eng zusammen mit Identitären. „Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen ganz klar: Wenn wir kommen, wird ausgemistet“, soll er gedroht haben.
Rechtsruck durch Sozialabbau eingeleitet
Ein Sprecher des AABS (Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region) ging näher auf den Rechtsruck in der BRD ein. Rassistische Angriffe und Hetze gegen Muslime zeigten, dass sich das Politische Koordinatensystem verschoben habe. Die AfD sei aber nicht der Ursprung dieser Entwicklung. Das Ende der DDR 1989 habe einen „beispiellosen Abbau von Infrastruktur“ und sozialen Standards eingeleitet. Die Rechten böten einfache Erklärungsmuster an. Ausdrücklich nannte der Redner Thilo Sarrazin (SPD), Horst Seehofer (CSU) und Boris Palmer (Grüne).
„Die AfD bestimmt die Politik und den medialen Diskurs mit“, sagte er. „jede neue Geschmacklosigkeit“ werde in den Medien ausgewalzt. Auch CDU und CSU bedienten sich inzwischen dieser Taktik. Im Schatten von Pegida und der AfD gediehen nun auch offen faschistische Organisationen. Der Redner nannte „Die Rechte“ und den „III. Weg“. „Rassisten, Rechtspopulisten und Nazis dürfen in Stuttgart keinen Platz bekommen“, so die Forderung.
Angriff auf Selbstbestimmungsrecht der Frauen
Ein dritter Redebeitrag, nun wieder des Bündnisses gegen Rechts, beschäftigte sich mit dem Antifeminismus, der neben der Islamfeindlichkeit die AfD auszeichne. Sie wolle die Errungenschaften der Frauenbewegung zurückdrehen und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einschränken. Auch richte sie sich gegen Homosexuelle. Sie bilde das organisatorische und finanzielle Fundament der „Demo für Alle“, die am 30. Oktober in Wiesbaden erneut in Erscheinung treten wolle. „Wir müssen die Kämpfe vereinen. Lasst uns dem Sexismus und dem Rassismus der AfD einen Riegel vorschieben.“
Der Demozug startete um 16.45 Uhr. Die Route führte über die Marktstraße, den Wilhelmsplatz, die Waiblinger Straße, die Daimlerstraße, den gleichnamigen Platz und die König-Karl-Straße. Vor dem Kursaal stoppte die Polizei die Demonstration auf den Schienen und riegelt die weitere Strecke ab. Die Züge der U 2 in Richtung Botnang und Neugereut standen zunächst. Später fuhren sie im Schritttempo eng an den von den Polizisten am Ausweichen gehinderten Demonstrantinnen entlang.
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Immer wieder Gerangel
Bis zu Beginn der AfD-Veranstaltung blieb die Lage weitgehend unverändert. Immer wieder gab es leichtes Gedränge und Gerangel zwischen Polizei und DemonstrantInnen. Die Einsatzleitung ließ auch Polizeireiter mit ihren Pferden aufmarschieren. In mindestens drei Fällen bemächtigten sich Beamte der Transparente von Protestierenden und kickten oder trugen den zerrissenen Stoff weg. „Wie sind friedlich – was seid Ihr?“ wurde skandiert. Die Polizei filmte unentwegt DemonstrationsteilnehmerInnen ab.
Derweil wurden die Besucher der AfD-Veranstaltung zum Eingang geschleust. Kurz nach 18 Uhr forderte eine Durchsage die DemonstrantInnen auf, nicht gegen die Polizeikette zu drücken und Abstand von den Einsatzkräften zu halten. Überdies herrsche „absolutes Vermummungsverbot“. Kurz darauf löste die Polizei die Absperrung auf, und es bildete sich eine von Einsatzkräften eng begleitete Spontandemonstration zum Wilhelmsplatz. Dort löste sich die Versammlung allmählich auf.
Polizei beanstandet Aufschrift „ACAB“
Nach der Demonstration nahm die Polizei am Wilhelmsplatz eine junge Demonstrantin fest, die eine Jacke mit der Aufschrift „ACAB“ trug – eine vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als in der Regel für zulässig befundene Abkürzung für „All Cops are Bastards“. „ACAB“ sei nicht automatisch strafbar, heißt es in mehreren Entscheidungen Entscheidung des Gerichts, die im Juni veröffentlicht wurden. Eine Parole wie diese sei von der Meinungsfreiheit geschützt, wenn sie sich nicht auf eine „hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe“ beziehe (siehe hierzu auch „ACAB ist nicht immer strafbar„).
Die junge Frau musste sich und ihre Tasche durchsuchen und abführen lassen. Ein junger Mann wies die Beamten mehrmals darauf hin, dass „ACAB“ nicht als Beleidigung gilt. „Wenn Sie sich jetzt nicht zurückhalten, zweigen wir Sie auch wegen Beleidigung an, das ist kein Problem“, drohte ihm ein Polizist.
Autos von AfD-Repräsentanten beschädigt
Drei AfD-Mitglieder erstatteten bei der Polizei Anzeige, weil die Autos des Mitglieds des Kreisvorstands Alexander Beresowski und des von der FDP übergetretenen Stadtrats Eberhard Brett beschädigt worden waren – ebenso das Haus des Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner mit roter Farbe. An den Autos sollen Reifen zerstochen, Scheiben zerstört und Parolen auf den Lack gesprüht worden sein.
Zu den Vorfällen gibt es ein Bekennerschreiben auf der Internet-Plattform Indymedia. Sie sind insofern brisant, als die AfD und die von ihr abgespaltene ABW-Fraktion im baden-württembergischen Landtag einen Untersuchungsausschuss zum Linksextremismus beantragt hat.
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