Von Meide Wolt – Stuttgart. Zu fünf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilte das Amtsgericht Bad Cannstatt am Donnerstag, 6. Oktober einen jungen Antifaschisten, weil er auf einem Polizeivideo erkennbar mit den Armen „herumgefuchtelt“ hatte. Der Verurteilte erklärte den Beobachter News, dass er gegen das Urteil Berufung einlegen werde. Ein zweiter Antifaschist bekam eine Geldstrafe über 900 Euro, weil er einem Polizeibeamten die Brille vom Kopf geschlagen haben soll. Beide hatten an einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD im Januar teilgenommen.
Die Richterin begründete ihr Urteil mit der Abneigung gegen das Verhalten und die Person des zu der Haftstrafe verurteilten Angeklagten. Zu Beginn der Verhandlung hatte die Richterin Elena Sugg-Adolphs vom Amtsgericht Cannstatt zunächst Frau und Kind des Angeklagten aus dem Saal verdrängt, weil sie sich von dem Geplärr des Neugeborenen gestört fühlte.
Angeklagt war der Antifaschist nicht allein wegen schwerer Körperverletzung, sondern auch wegen Beleidigung. Letzteres konnte ihm zwar nicht nachgewiesen werden, aber „ich kann es mir bei ihnen gut vorstellen“ gab Richterin Sugg-Adolphs mit angewiderter Stimme dem Angeklagten zu Beginn ihrer Urteilsbegründung zu verstehen. Immerhin reichte die Vorstellung der Richterin nicht so weit, dass „Herumfuchteln“ vor einer Polizeikette als schwere Körperverletzung zu werten ist, wie es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage zunächst gefordert hatte.
Richterin äußert Unverständnis über Gegenkundgebung
„Herumfuchteln“ gilt in diesem Fall als einfache Körperverletzung. Mit Blick auf die Vorstrafen aufgrund vergangener politischer Tätigkeiten und das Erscheinungsbild des Angeklagten, der sich vor Gericht jedes Kommentars enthielt, verurteilte die Richterin ihn dafür zu fünf Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Dabei stimmte sie der Behauptung der Staatsanwältin zu, dass ihn bisherige Strafen nicht beeindruckt hätten und eine Einsicht in die Rechtsstaatlichkeit nicht zu erwarten sei.
Die Richterin äußerte Unverständnis über die gesamte Kundgebung vor dem Kursaal in Bad Cannstatt im Januar (wir berichteten) gegen eine AfD-Veranstaltung im Innern. In Deutschland sei es ja gerade im Unterschied zu anderen Ländern üblich, dass jedem seine demokratischen Rechte zustünden. „Ich versteh’s einfach nicht, sie fühlen sich überlegen, weil sie ein Transparent mit refugees welcome halten“ schrie die während ihrer Urteilsbegründung immer weiter außer sich geratene Richterin den Angeklagten an.
AfD-Stadtrat drängte sich zwischen Protestierende
Zu der Polizeikette kam es, weil der damalige Stuttgarter Stadtrat und AfD-Funktionär Heinrich Fiechtner sich mitten in die angemeldete Gegenkundgebung stellte und anfing, deren Teilnehmer zu beleidigen, statt auf die AfD-Veranstaltung in den Kursaal zu gehen. Als einige Teilnehmer sich auf Fiechtner zubewegten, schirmten Einsatzkräfte der Polizei diesen ab.
Statt den Stadtrat jedoch in den Kursaal zu begleiten, bildeten die Beamten eine Kette am Rand des Gebäudes, über die hinweg Fiechtner die Teilnehmer der Protestkundgebung weiter beleidigte. In dem sich daraufhin entwickeltem Tumult kam es zu der Situation, derentwegen die beiden Antifaschisten jetzt vor Gericht standen. Einer der Polizeibeamten gab als Zeuge dazu an, er und seine Kollegen seien in der Kette „bedrängt“ worden und haben daraufhin die Demonstranten „mittels Einsatz körperlicher Gewalt zurückgedrängt“ (siehe herzu „AfD kam nicht durch den Haupteingang„).
Verteidigerin: Polizei wirkte nicht deeskalierend
Richterin Sugg-Adolphs kommentierte die Situation mit den Worten: „Es sind die Polizeibeamten, die letztlich einfach nur ihren Dienst tun. Das ist es, was sie nicht verstehen, sie nehmen das persönlich.“ Die Verteidigerin warf den als Zeugen geladenen Polizeibeamten vor, genau gewusst zu haben, wer Fiechtner ist, und ihn nicht im Sinn einer deeskalierenden Einsatztaktik ins Gebäude begleitet zu haben.
Zu Beginn der Sichtung des Videomaterials der Polizei vor Gericht forderte die Richterin die ein Dutzend anwesenden BesucherInnen auf, ihr sofort zu sagen, ob jemand darunter sei, der ebenfalls im Januar an der Gegenkundgebung teilgenommen hatte. Diese Personen kämen als Zeugen in Betracht. Ihre Aussagen wären nicht mehr verwendbar, wenn sie das Beweismaterial gesehen hätten.
Polizeizeugen hatten Videomaterial gesehen
„Sie haben doch gerade auf den Boden geschaut“, bedrängte die Richterin eine Besucherin in der ersten Reihe, nachdem keine/r der Anwesenden ihre Frage beantwortet hatte. Zwei der insgesamt vier PolizeibeamtInnen gaben später während ihrer Zeugenaussagen an, das Videomaterial zuvor gesehen zu haben. Alle vier konnten sich genau an den Wortlaut der Beleidigung und an den Verlust der Brille eines der Beamten erinnern. Im Anblick der Angeklagten war ihnen auch ohne jeden Zweifel klar, dass es sich dabei um die Täter handelte.
An weitere Details konnte sich keiner erinnern. Nach Aussage der Staatsanwältin waren weitere Details auch nicht Gegenstand der vorgeworfenen Straftaten, um die allein es vor Gericht gehe. „Das ist alles, was ich gesehen habe“ schloss eine der Beamtinnen ihre Erzählung, nachdem sie – wie zuvor ihre Kolleginnen – in wenigen Sätzen von der Beleidigung und dem Verlust der Brille gesprochen hatte. Sie war im Januar die Gruppenführerin der BeamtInnen gewesen.
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