Von Matthias Jakoby und Pejo Berber – Berlin. Zur zentralen Friedensdemo am Samstag, 8. Oktober, in Berlin kamen den Veranstaltern zufolge 8000 Teilnehmerinnen. Fast 200 Gruppierungen rangen sich durch, jenseits von Meinungsverschiedenheiten dem Krieg und der kapitalistischen Politik, die ihm den Boden bereitet, den Kampf anzusagen. Die Entwicklung kann außer Kontrolle geraten, so die Befürchtung. Es kamen deutlich mehr KriegsgegnerInnen als ursprünglich erwartet, aber weit zu wenig, um zentrale Forderungen durchzusetzen. Die Beteiligten werteten die Demonstration trotzdem als ermutigenden Aufbruch, der Not tat und viele aufwecken dürfte, die diesmal noch im Schneckenhaus verharrten.
Die weltpolitische Lage wurde von vielen RednerInnen und TeilnehmerInnen als explosiv eingeschätzt. Nicht nur der Nahe Osten brennt. Von Syrien bis in die baltischen Staaten schwelen inzwischen zahlreiche Konflikte. NATO und Russland stehen sich spinnefeind gegenüber. Mit China hat sich nun auch die letzte verbliebene Großmacht militärisch in Syrien auf Seiten Russlands eingeklinkt.
Umgekehrt schürt in Asien die Supermacht USA die hegemonialen Konflikte zwischen China und seinen Nachbarn im südchinesischen Meer und bringt sich in einem Halbkreis von den Philippinen über Taiwan bis Südkorea militärisch verstärkt in Stellung.
Krieg ist Terror
Die Aufrüstungswelle im Windschatten der aktuellen Entwicklung wurde einhellig verurteilt. Ebenso der immer hemmungslosere Waffenhandel mit „jedermann“. Ein bombiges Geschäft, das Kriege weiter anfacht, unsägliches Leid und Flüchtlinge produziert und in Form von Terror zurückkommt.
Krieg bekämpfe nicht Terror, sondern sei Terror und bringe Terrorismus hervor, rief Sahra Wagenknecht auf der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor. Flucht und Krieg verstärkten einander. Sie hätten die gleichen Ursachen: neoliberale Handelsverträge, Verteilungskämpfe um Ressourcen und Märkte, Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Immer mehr und aggressiver mische Deutschland an vorderster Stelle mit.
Heuchelei des Westens
Ein Sprecher von ATTAC Deutschland zeigte auf : „Die geplante Verdopplung des deutschen Militäretats von derzeit etwa 35 Milliarden Euro muss zwangsläufig zu Lasten von Bildung und Sozialausgaben gehen“. Die Heuchelei des Westens, hieß es, sei unerträglich.
Die Opfer rücksichtsloser russischer Bombenangriffe würden zu Recht beklagt und die Verbrechen eines Assad verurteilt. Aber die Opfer der eigenen Bomber und Drohnen würden totgeschwiegen. Der Staatsterror und die völkerrechtswidrigen Militärattacken saudischer oder türkischer Despoten und der Aufbau islamistischer faschistischer Terrorgruppen würden gedeckt und sogar unterstützt.
Womöglich Neugeburt einer Friedensbewegung
Auf der Demonstration, die vom Alexanderplatz über die Rosenthaler Vorstadt und am Regierungsviertel vorbei zum Brandenburger Tor zog, kam so etwas wie Neugeburtsstimmung auf. War das noch die alte „ehrwürdige Tante Friedensbewegung“? „Dr. Motte legt für den Frieden auf“. Zeitweise spielte eine erstklassige Jazzband. Zum Abschluss Prinz Chaos II. Und es zeigte sich ein erfrischend starker Jugendblock mit dem Fronttransparent „Eure Kriege führen wir nicht. Fuck Militarism. No War. But Classwar“.
Auffällig stark vertreten waren auch Migrantinnen und andere Frauenverbände. Versammelt war ein breites Spektrum, wenn auch mit zum Teil einseitiger Brandmarkung einzelner Kriegsparteien, Vollblutpazifismus oder eben auch konsequenter Unterstützung von Befreiungskämpfen, die sich nicht instrumentalisieren lassen. Und einig waren sich alle: Front machen gegen die Militarisierung, gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, nicht gegeneinander!
Internationalistischer Block für Solidarität ohne Grenzen
Eine weitere Bereicherung war ein Berliner internationalistischer Block, an dem sich trotz der kurzfristigen Einladung 400 bis 500 Menschen beteiligten. Unter ihnen waren über 250 aus dem Nahen Osten, vor allem Kurden und Türken, etwa 50 Südkoreaner sowie Menschen anderer Nationalitäten und Vertreter unterschiedlichster sozialer und politischer Gruppen. Darunter etliche Gewerkschafter von der IG Metall und Verdi.
In den Forderungen der Südkoreaner zum Beispiel nach Freilassung verhafteter Gewerkschaftsführer, Wehrdienstverweigerer, nach Stopp auf Kommunistenjagd und zur Untersuchung eines durch Wasserwerfer zu Tode gekommenen Bauers erkannten sich die Mitdemonstrierenden, insbesondere Kurden und Türken, voll wieder. Nur: Neben der Hetzjagd auf Oppositionelle werden in der Südtürkei inzwischen ganze Städte dem Erdboden gleich gemacht. „Stoppen wir den Krieg in Kurdistan und die Kumpanei von Bundesregierung und EU mit dieser Politik“, wurde gefordert.
Beteiligte Organisationen wollen sich weiter vernetzen
Der Block setzte ein praktisches Zeichen gegen Nationalismus, für Völkerverständigung, gegenseitige Unterstützung und für Respekt gegenüber dem jeweils anderen. Wer Nationalismus fördert, der bekomme alles andere gleich mit: Rassismus, Homophobie, Menschenfeindlichkeit jeglicher Art, geschlossene Grenzen. Am Ende eine nicht mehr beherrschbare Gewaltspirale mit Krieg in jeder Form.
Die Menschen und die sie vertretenden Organisationen müssten sich weltweit und in ihrer Vielfalt gemeinsam gegen die Folgen eines globalen Neoliberalismus, einer auf die Spitze getriebenen kapitalistischen Konkurrenz und die Spaltung aller Gesellschaften und der damit einhergehenden Gewalt entgegenstemmen.
Viele Mitglieder und Vertreter von Berliner Organisationen und Gruppen – etwa der Arbeitskreis Internationalismus, die IG Metall , HDP/HDK, NavDem, der KoreaVerband, Pressenza, Diem25 oder SAV wollen sich nun weiter vernetzen und zusammenarbeiten – über den Demo-Samstag hinaus.
Auf der Homepage der Demo-Organisatoren „Die Waffen nieder“ sind die Redebeiträge im Original nachzuhören oder nachzulesen.
Fotos: Matthias Jakoby und Pejo Berber
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