Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Weil er von einem Polizeibeamten beschuldigt wurde, dessen Pfefferspray geklaut haben zu wollen, saß der junge Antifaschist Beni 21 Tage in Untersuchungshaft – offensichtlich ohne Grund: Bei der Verhandlung am 24. Oktober vor dem Amtsgericht Stuttgart wurde der junge Mensch gefesselt vorgeführt – und freigesprochen. Bereits um 9 Uhr versammelten sich vor dem Amtsgericht rund 40 AntifaschistInnen zu einer Kundgebung. Sie bekundeten damit ihre Solidarität mit dem inhaftierten Angeklagten. Der Gerichtssaal fasste leider nicht alle potentielleN ProzessbesucherInnen. Etwa ein Dutzend hielten sich im Gang vor dem Gerichtssaal auf.
Bei dem Vorwurf ging es um eine Kundgebung gegen eine AfD Veranstaltung am 3. Oktober 2016 vor dem Kursaal in Bad Cannstatt (wir berichteten). Der Antifaschist stand hinter einem Banner unweit des Polizeibeamten R.. Dieser will während eines Gerangels mit den DemonstrantInnen bemerkt haben, dass die Tasche mit seinem Pfefferspray und die Tasche mit dem Magazin seiner Waffe geöffnet worden seien. „Ich hatte das Gefühl, dass er sie mir entreißen wollte“, gab der Polizeibeamte vor Gericht an. Der Beamte meldete den Vorfall im Anschluss an das Gerangel der Einsatzleitung. Sie veranlasste die Festnahme des Angeklagten. Er kam noch am 3. Oktober in Untersuchungshaft.
Die Hände des Beschuldigten waren fast immer am Banner
Allerdings äußerte der Polizeibeamte vor Gericht nur das Gefühl, der Angeklagte hätte seine Utensilien entwenden wollen. Er gab nicht an, es gesehen zu haben. Daher bestanden für den Richter Zweifel an der Anklage. Auch weil auf dem Videomaterial, dass die Polizeibehörde zur Verfügung gestellt hatte, um die Anklage zu untermauern, kein Griff des Angeklagten nach den Taschen des Beamten zu erkennen war.
Seine Hände seien bis auf wenige Sekunden stets am Banner zu sehen gewesen, machte die Verteidigerin Mona Hammerschmidt geltend. Die Taschen zu öffnen, „hätte großes Geschick bedurft, gerade in dieser Situation“ so der Richter in seiner Urteilsbegründung. Der Richter sagte, dass er anders entschieden hätte, wenn der Polizeibeamte die Hand des Angeklagten gesehen hätte.
Rückendeckung nur von der Staatsanwältin
Der betroffene Polizeibeamte konnte das Videomaterial im Anschluss an die Kundgebung sichten. Er versuchte die Situation so darzustellen, dass der Angeklagte in den kurzen Sequenzen, in denen seine Hände nicht am Banner zu sehen waren, nach seinen Taschen gegriffen haben musste. Bei der gemeinsamen Betrachtung des Videomaterials vor Gericht verlor der Beamte jedoch zusehends den Halt – soweit, dass er nicht mehr ausschließen konnte, dass sich die Tasche auch anders geöffnet haben könnte.
Rückendeckung bekam der Beamte allein von der Staatsanwältin Ehrmann. Zwar hatte niemand den Angeklagten in Richtung des Beamten greifen sehen, aber „wenn jemand in Frage kommt, dann der Angeklagte“, so die Staatsanwältin. So forderte sie wohl weniger aufgrund juristischer Abwägung als eher aus Loyalität gegenüber einem Polizeibeamten fünf Monate Gefängnis ohne Bewährung.
Der Polizist hatte dem Angeklagten mit der Faust ins Gesicht geschlagen
„Ich habe keine Zweifel, dass das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt war“, so Richter Schulz. Dies bezog sich auf den auch auf dem Videomaterial klar erkennbaren Faustschlag des Polizeibeamten ins Gesicht des Angeklagten. Der Polizeibeamte hatte dem Angeklagten vorgeworfen, sein Banner nicht losgelassen zu haben. „Dann muss der Angeklagte es sich auch gefallen lassen“ kommentierte der Richter den Schlag des Polizeibeamten.
Der Beamte gab an, dass sein Zug den Befehl erhalten hatte, den DemonstrantInnen das Banner zu entreißen. Er habe versucht, „einen Überraschungseffekt zu haben und das Banner ruckartig wegzuziehen“. Ob der Polizeibeamte R. vor seinem Schlag in dessen Gesicht den Antifaschisten überhaupt aufgefordert hatte, das Banner herzugeben, konnte vor Gericht nicht nachvollzogen werden. Denn die Polizeibehörde hatte das Videomaterial ohne Ton zur Verfügung gestellt. Unklar blieb auch, warum die Beamten den Befehl bekommen hatten, bei einer friedlichen Kundgebung den Menschen ihr öffentlichkeitswirksames Banner zu entreißen.
„Free Beni – free, free Beni!“
Nach dem Freispruch stellten sich die ProzessbeobachterInnen mit dem freigesprochenen Antifaschisten für ein Gruppenbild vor dem Amtsgericht auf und skandierten „free Beni – free, free Beni!“. Am Abend gab es für Beni eine „Welcome back“-Party im Stuttgarter Linken Zentrum Lilo-Herrmann.
Wir dokumentieren nachstehend die Rede zur Prozessbegleitung des Bündnisses Stuttgart gegen Rechts.
„Hallo und guten Morgen alle miteinander,
schön, dass ihr unserem Aufruf gefolgt und so zahlreich erschienen seid.
Wieder einmal war am 3. Oktober die AfD zu Gast im Kursaal – und heute steht wieder einmal ein Antifaschist aus unseren Reihen deshalb vor Gericht. Dass die Polizei und Repressionsbehörden AntifaschistInnen festnimmt und kriminalisiert, während Rechte scheinbar unbehelligt ihre Hetze verbreiten, Brandstiften und morden ist nichts neues.
Stets schützt die Polizei solche Aufläufe brauner Brut und prügelt lieber auf den Gegenprotest ein, wie nicht nur vor drei Wochen geschehen, sondern bereits in Cannstatt am Kursaal im Januar, beim AfD-Bundesparteitag Ende April oder den zahlreichen Demos für Alle. Diese Beispiele zeigen aber auch, dass wir nicht wenige sind im Kampf gegen Rechts, es durchaus schaffen Leute zu erreichen und unseren Protest selbstbestimmt zu gestalten.
Doch meistens folgt in Stuttgart Repression auf unsere Arbeit; massenhafte Strafbefehle, Vorladungen und Gerichtstermine landen in unseren Briefkästen. Dabei ist nicht ausschlaggebend, ob man in der ersten Reihe am Transpi stand, Kundgebungsanmelder war oder einfach nur laut Parolen gerufen hat; irgendetwas scheinbar rechtswidriges suchen und konstruieren sie zur Not immer, um einzelne von uns anzugehen.
Mit diesem Vorgehen haben die Behörden nicht nur das Ziel, unserem Protest die Legitimität abzusprechen und ihn in ein schlechtes Licht zu rücken, sondern versuchen uns mit solchen Repressionsschlägen abzuschrecken und zu spalten.
Im Bewusstsein darüber stellen wir diesem Vorhaben unsere Solidarität und Entschlossenheit entgegen! Wir sind überzeugt, dass unser vielfältiger Protest auf der Straße richtig und wichtig ist. Es gilt, bereits erkämpfte Fortschritte gegen den Rollback zu verteidigen, denn der Rechtsruck ist in vollem Gange. Gesellschaftliche, politische Entwicklungen und konkrete Ereignisse zum Beispiel in Ungarn, Griechenland, Frankreich oder aus Finnland zeigen, was passieren kann, wenn rechte Kräfte erstarken. Deshalb werden wir weiterhin gemeinsam und entschlossen auf die Straße gehen und den Rechten, Reaktionären, egal ob AfD, Demo für Alle und wie sie sich alle nennen zeigen, dass sie nicht willkommen sind.
Als Bündnis Stuttgart gegen Rechts haben wir vor drei Wochen zum Protest in Cannstatt aufgerufen und deshalb ist für uns klar, dass wir auch heute hier vorm Amtsgericht zusammenstehen.
Einer sitzt im Knast – gemeint aber sind wir alle.
Heute zeigen wir nicht nur unsere Solidarität mit Beni, sondern auch, dass wir uns nicht einschüchtern lassen!
Aktiv gegen Rechts!
Für eine solidarische Perspektive!
Zusammen gegen Repression!“
Folge uns!