Von František Matouš – Basel. Die „akademische Malerei“ füllt derzeit die oberen Räume der Basler Kunsthalle. Die ernsthaft, teilweise leicht feierlich schauenden Menschen an den Wänden des großen Ausstellungssaals kommen einem sehr vertraut vor, sie scheinen die ganze Tradition der Porträts der klassischen Moderne widerzuspiegeln. Doch halt, alle dargestellten Personen sind schwarz! Bis zum 12. Februar 2017 ist die Ausstellung „Lynette Yiadom-Boakye: A Passion To A Principle“ in der Kunsthalle zu sehen.
Als durchschnittlicher, weißer Europäer hat man die Posen der Dargestellten, ihre Kleidungsstücke und auch die Maltechnik, mit welcher sie zum Leben erweckt wurden, im Hinterkopf. Die Museen und Galerien besitzen unzählige ähnliche Bilder. Doch es sind beinahe immer Weiße auf den Gemälden, von weißen Künstlern und Künstlerinnen dargestellt.
Die sanfte Revolution von Lynette Yiadom-Boakye besteht darin, den Blick auf das eigentlich scheinbar Banale zu lenken, auf das allgemein Menschliche. Es ist für sie selbstverständlich, dass sie, als schwarze Britin, farbige Menschen malt – so wie ein Degas oder ein Picasso ohne nachzudenken weiße Menschen, welchen sie tagtäglich begegnet sind, in ihren Werken verewigt haben.
Ohne zeitliche Zuordnung
Nein, sie will keine Opfer, aber auch nicht Helden malen, sondern einfach nur Menschen. Dies wird auch mit einer gewissen Zeitlosigkeit der Bilder verdeutlicht. Nicht nur der Bildstil, sondern auch die Kleidung und die Posen der Personen lassen keine genaue Zuordnung zu. Es könnten Zeitgenossen der Impressionisten sein, aber auch Menschen aus den zwanziger oder fünfziger Jahren, oder natürlich auch Zeitgenossen. Aus diesem Grund sind auf den sonst detailreichen Gemälden die Schuhe immer nur angedeutet. Diese lassen sich, wie die Künstlerin meint, schnell einer bestimmten Zeitepoche zuordnen, und dies würde das Rätselhafte, die Geschichten, die in den Bildern versteckt sind, zerstören.
Zu diesen Lebensgeschichten tragen nicht unwesentlich auch die Titel der Bilder bei. Lynette Yiadom-Boakye ist auch eine Dichterin und lockt mit den Bildtiteln die Betrachter dazu, sich in das Leben der dargestellten Menschen zu versetzen und ihre Gedanken und Beweggründe herauszulesen.
Zusammengesetzt aus Eindrücken
Was der Zuschauer nicht ohne Hintergrundinformationen weiß: Es handelt sich um keine Porträts von lebenden oder historischen Personen, sondern die Menschen auf dem Bildern sind alle zusammen gesetzt aus Eindrücken, welche die Künstlerin in ihrem Alltag sammelt; bei einem Blick ins Schaufenster eines Kleidergeschäfts, beim Durchblättern einer Zeitschrift oder beim Schlendern durch die Straßen Londons. Die „Fundstücke“, eine Schulter, eine Bewegung oder ein T-Shirt werden dann sofort in die Gemälde eingebaut.
Die Direktorin der Basler Kunsthalle, Elena Filipovic, erinnerte folgerichtig in ihrer Einführung in die Ausstellung an die Thesen aus den Literaturlektionen Vladimir Nabokovs, wonach zum Beispiel „Madame Bovary“ von Flaubert ein richtiges Leben mit allen Details besitzt, obwohl, oder vielleicht gerade deshalb, weil sie eine komplett fiktive Person sei.
Jedem die für ihn bestimmte Geschichte
So gelingt es auch von Lynette Yiadom-Boakye, unsere Blicke auf die fiktiven und doch auch lebendigen Personen auf ihren Bildern zu lenken, die dann – ganz losgelöst von der Hautfarbe und zeitlos einfach nur als Menschen – jedem ihre Geschichten erzählen, jedem Zuschauer die, welche für ihn bestimmt ist. Und es verhilft uns allen, die unbewussten Vorurteile, die auch durch unsere Sehgewohnheiten bei Kunstbetrachtung geprägt sind, zu hinterfragen und neue Sichten und Einsichten auf das Menschenverbindende zu gewinnen.
Die Veränderung der Sichtweise:
Lynette Yiadom – Boakye: A Passion To A Principle in der Kunsthalle Basel, Steinenberg 7. Vom 18.11.2016 bis zum 12.02. 2017
Kunsthalle Basel
Steinenberg 7
CH-4051 Basel
http://www.kunsthallebasel.ch
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