Von Markus Rolle – Stuttgart. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ging am Montag, 21. November, erneut ein Strafprozess nach Paragraf 129b (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) zu Ende. Angeklagt war ein junger Mann, weil er sich 2015 dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen hatte. Wesentliches Beweismittel vor Gericht war eine Vernehmung der kurdischen Freiheitsbewegung YPG, die den Angeklagten 2015 festgenommen hatte. Weil es sich um eine „jugendtypische Tat“ gehandelt haben soll, verurteilten die RichterInnen den heute 20-Jährigen zu zwei Jahren auf Bewährung.
Zugute kam dem ehemaligen IS-Kämpfer, dass er nach viermonatigem Aufenthalt beim IS in dessen damaliger Hochburg Rakka in Syrien versucht hatte, die Stadt wieder zu verlassen – noch bevor er an Kampfhandlungen teilgenommen hatte.
Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer wertete die Rückkehr des Angeklagten nach Deutschland als Zeichen für die Überlegenheit der Bundesrepublik gegenüber anderen Staaten. Der Angeklagte habe „unser System verlassen“, sei jedoch in „ein System zurückgekehrt, dass anders Denkende“ zulasse. Um die Überlegenheit und den Großmut dieses Systems zu beweisen, zeigten sich die drei RichterInnen entsprechend milde in ihrem Urteil.
Angeblich „Suche nach einem Lebensmittelpunkt“
Doch die Güte der RichterInnen scheint keinen generellen Anspruch zu haben. Richter Anderer und seine Kollegin hatte im Oktober 2016 ebenfalls in einem Strafprozess nach § 129b Ali Özel als Terroristen bezeichnet und für dreieinhalb Jahre wegsperren lassen. Özel soll für die PKK in Deutschland Veranstaltungen organisiert, Spenden gesammelt und an Demonstrationen teilgenommen haben (wir berichteten).
Während der Prozess gegen das PKK-Mitglied davon bestimmt war, über den Demonstrationsteilnehmer das Bild des Terroristen zu zeichnen, drehte sich der Prozess gegen den ehemaligen IS-Kämpfer um dessen typisch jugendliche „Suche nach einem Lebensmittelpunkt“.
Laut BND geht YPG „vergleichsweise rechtsstaatlich“ vor
Die PKK , die in der Türkei aktiv ist, gilt als enge Partnerin der YPG, die in Syrien gegen den IS kämpft und dort als einzige Partei in dem undurchsichtigen Konflikt den Aufbau einer demokratischen Alternative zum Assad-Regime vorantreibt. Die YPG hatte den Angeklagten auf seinem Rückweg aus Rakka aufgegriffen und verhört. Dieses Verhör stellte die YPG nach Aussage eines Mitarbeiters des Bundesnachrichtendienst (BND) in der Verhandlung vom 7.November dem BND zur Verfügung. Nun wurde dieses Verhör im Prozess gegen den Angeklagten verwendet.
Der Vorsitzenden setzte die Bedingungen der Gefangenschaft bei der YPG mit der Gefangenschaft beim IS und der Türkei gleich, bei denen sich der Angeklagte ebenfalls einige Wochen in Haft befand. Der Mitarbeiter des BND hatte in seiner Aussage deutlich gemacht, dass die YPG bei Gefangenen „vergleichsweise rechtsstaatlich“ vorgehe. „Ich wäre lieber in den Händen der YPG als bei den Türken“, so der Mitarbeiter im Zeugenstand. Im Gegensatz zum IS und der Türkei gebe es bei der YPG auch keine Folterungen.
Richter sieht Überlegenheit des deutschen Systems
Das Bild des Vorsitzenden von der YPG verdeutlichte sich, als er über das damalige Handy des Angeklagten sprach. Das Handy des damaligen IS-Kämpfers, das die YPG bei dessen Festnahme konfisziert und bei seiner Freilassung zurückgegeben hatte, sei in dieser Zeit in „Gewahrsam der Diebe“ gewesen so der Vorsitzende.
Wäre es für den Angeklagten zu einer Haft- statt zu einer Bewährungsstrafe gekommen, so wäre nach dem Wunsch des Vorsitzenden seine Haftstrafe aus der Türkei in Deutschland im Verhältnis 2:1 angerechnet worden. Jeder Tag in türkischer Haft zählte also wie zwei Tage in deutschen Gefängnissen. Der Vorsitzende, der je nach Bedarf mal die Selbstverteidigung der YPG in Syrien oder den Widerstand gegen das rassistische Regime in der Türkei oder die Türkei selbst abwertete, ließ nur an einem keinen Zweifel: an der Überlegenheit des deutschen Systems.
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