Von Alfred Denzinger – Öhringen. Rund 150 Menschen versammelten sich am Samstag, 19. November, auf dem Öhringer Hafenmarkt, um ihr Entsetzen über einen Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft im benachbarten Pfedelbach zum Ausdruck zu bringen. Sie protestierten lautstark gegen die rassistische Gruppierung „Hohenlohe wacht auf“, die sie für die geistigen Brandstifter hält. Die Rechtsradikalen waren mit rund 20 Leuten nur wenige Meter weiter weg versammelt. Sie hielten wirre Reden und wurden von Polizeikräften beschützt.
Es war kein schöner Samstagnachmittag. Nasskalt und düster. Düster war nicht nur das Wetter. Wahrlich ein Kulturschock nach dem tollen Vorabend in Waiblingen (siehe „Acht Bands, eine Botschaft: klar gegen Rechts„). Unter dem Motto „Kein Platz für geistige Brandstifter“ hatte das Netzwerk gegen Rechts Heilbronn zur Kundgebung aufgerufen. Gleich nach meiner Ankunft sah ich ein paar Leute, die mit dem Aufbau der Technik beschäftigt waren. Der Kundgebungsplatz war eng mit Hamburger Gittern umzingelt. Ein seltsamer Anblick. Ich fragte arglos einen der Aufbauer, warum die Kundgebung denn so eingepfercht wäre. Er hatte keine Erklärung parat. Ich dachte mir noch, irgendwoher kennst Du den Mann. Machte mir aber keine weiteren Gedanken darüber, woher ich ihn kennen könnte.
AntirassistInnen befürchten Übergriffe von der „Antifa“?
Ich fragte eine geschäftige Frau, ob sie eine Erklärung für das „Gehege“ hätte und warum hier so viele Polizisten wären. Ihre Antwort trieb meine Verwunderung voran: „Die erwarten Aktionen von der Gegenseite.“ Aktionen von der „Gegenseite“ auf einer antifaschistischen Kundgebung? Was um alles in der Welt war hier los? In Öhringen? Ich konnte mir das alles irgendwie nicht erklären. Meine nächste Frage machte alles noch mysteriöser: „Wer soll denn die Gegenseite sein?“ Die Frau sah mich verängstigt an und sagte mit leiser Stimme: „Na die Antifa“. Potzblitz, was geht hier ab? Eine Gruppe von AntirassistInnen befürchtet Übergriffe von der „Antifa“? Was für Drogen nehmen die hier auf dem Land?
Wanderzirkus in Aktion?
Wenige Augenblicke später sorgte die besorgte Dame durch das Aufstellen von Infotafeln für Klarheit. Ich war nicht bei den AntifaschistInnen gelandet, sondern bei den „besorgten Bürgern“ von „Hohenlohe wacht auf“. Schlagartig fiel mir nun ein, woher ich den Aufbauer kannte. Den Mann bekommt man bei den Kundgebungen von „Fellbach wehrt sich“ immer wieder zu Gesicht (siehe hierzu „Entsetzen über roten Teppich für Neonazis„). Er gehörte zu der Truppe, die sich verkleidet auf einem Anhänger abtransportieren ließ (siehe Video unten). Übrigens waren ungefähr die Hälfte der anwesenden Rechten bekannte Gesichter aus Fellbach. Offenbar eine Art „Wanderzirkus“.
Ich beschloss, diesen Ort zu verlassen. Zwischenzeitlich war erfreulicherweise auch das andere Lager eingetroffen. Die Nazigegnerinnen positionierten sich in Hör- und Sichtweite zu den „Aufgewachten“. Rund 150 AntifaschistInnen standen nun 20 irgendwie seltsam wirkenden Rechtsradikalen gegenüber. Dazwischen zahlreiche Polizisten, ein paar PressevertreterInnen und ein wichtiger Mann – vermutlich vom Ordnungsamt. Die konservierte Marschmusik der Zwanziger-Bande ummalte das seltsame Ereignis.
In Redebeiträgen – unter anderem vom „Freundeskreis Asyl Pfedelbach“, der Partei „Die Linke Heilbronn-Unterland“, der „Verdi Jugend Heilbronn-Neckar-Franken“, von „Mergentheim gegen Rechts“, dem „Offenen Antifaschistischen Treffen Heilbronn“ – und im Gedicht einer Bürgerin wurde immer wieder die Gefahr, die von geistigen Brandstiftern und deren geschürtem Rassismus ausgeht, thematisiert.
Sind das lauter Irre?
Die Redebeiträge der „verwirrten Bürger“ waren für Außenstehende nicht zu verstehen, da der antifaschistische Lärmpegel – Musik, Trillerpfeifen, Parolen – alles übertönte. Nur im „Niemandsland“ konnte man den zahlreichen Reden lauschen. Ich erspare unserer wehrten Leserschaft an dieser Stelle die vollständigen Inhalte. Aber ein paar Wortfetzen will ich doch preisgeben, da sie einen gewissen Einblick in den Geisteszustand dieser Menschen liefern: „Ich gratuliere dem Präsidenten Bush zum Wahlerfolg“, „Deutschland ist ein islamistischer Staat“ und „diese verkommene Drecksschlampe Angela Merkel“.
- Heidi Förnzler, „Hohenlohe wacht auf“
- Heidi Förnzler
- Michael Stecher, „Fellbach wehrt sich“
Sind das lauter Irre? Oder nur Verwirrte? Oder gefährliche Neonazis? Ich befürchte, dass es sich um eine Mischung handelt. Wären es nur einfach ein paar Irre, dann wäre es wohl nicht wirklich eine politische Gefahr. Hinzu kommt, dass sich eine nicht zu unterschätzende Anzahl unserer Mitmenschen nur all zu gern von solchen Leuten aufstacheln lässt. Daher halte ich es für sehr begrüßenswert, wenn diesen Neonazis von vielen MitbürgerInnen die Stirn geboten wird.
Der pflichtbewusste Beamte?
Der auffallend eifrige Ordnungsamtmitarbeiter pirschte zwischen den Lagern hin und her. Meistens unterstützt von dem einen oder anderen Uniformierten. Ständige Interventionen bei der antifaschistischen Kundgebung. Natürlich hatte er auch mich erspäht. Das verhieß nichts Gutes.
Zunächst kontrollierte er den Presseausweis eines anderen Pressevertreters. Auf welcher rechtlichen Grundlage ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes einen Journalisten kontrolliert, ist mir ein Rätsel. Dem Herrn vom Ordnungsamt sicher auch. Dieses Prozedere gipfelte schließlich im Abfotografieren des Presseausweises des Kollegen. Ich erlaubte mir, dieses Szenario meinerseits fotografisch zu dokumentieren. Mit dieser „Tat“ zog ich die Aufmerksamkeit dieser augenscheinlich wichtigen Person auf mich. Der Herr, der nach eigenen Angaben vom Ordnungsamt war, wollte nun wissen, wer ich sei und warum ich hier fotografiere. Wie ein Tourist sähe ich nicht aus, denn die hätten nicht solche großen Objektive. Ich dachte mir noch „gut, einer der mitdenkt“ und war gespannt auf den weiteren Gesprächsverlauf.
Zeigst du mir deins, dann zeig ich dir meins
Die Frage, ob ich auch von der Presse sei, bejahte ich. Die Aufforderung mich auszuweisen erwiderte ich mit den Fragen, wer er sei und ob er sich ausweisen könne. Das gefiel ihm offensichtlich überhaupt nicht. Wenn ich von der Presse sei, solle ich ihm umgehend meinen Presseausweis zeigen. Nun ja, daraus wurde nichts, da ich keinerlei Veranlassung sah, einem Unbekannten einen Ausweis zu zeigen. Wer weiß schon, wer er wirklich ist und welchen Blödsinn er womöglich mit meinen persönlichen Daten in der Folge macht. Man hört ja schließlich oft diverse Geschichten.
Er ließ nicht locker – ich auch nicht. Ich bat ihn letztlich, mir wenigstens seine Visitenkarte zu zeigen, verbunden mit der Frage, „oder haben sie gar keine?“ Die Antwort kam postwendend: „Wenn ich eine hätte, ihnen würde ich sie bestimmt nicht geben.“ Okay, dann halt nicht. Müssen wir halt beide damit leben, dass wir gegenseitig nicht allzu viel voneinander wissen. Damit komme ich ja nun wirklich gut klar. Er aber nicht.
Meins wird nicht fotografiert
Er holte sich nun Schützenhilfe von einem uniformierten Polizisten. Das übliche Spiel begann nun auch hier. Letztlich zeigte ich dem Polizeibeamten meinen Presseausweis – natürlich war ich zuvor schon beim Betreten des „Niemandslandes“ von Polizeibeamten kontrolliert worden.
Für den Herrn in Uniform war nun alles erledigt. Alles hatte für ihn seine Richtigkeit. Aber der Herr in Zivil, der vom Ordnungsamt sein will, forderte nun mit Nachdruck, dass er den Ausweis auch sehen und ihn fotografisch aufnehmen wolle. Schließlich wisse man ja nie, was ich in der Folge mit den aufgenommenen Bildern mache. Es könne ja sein, dass ich Porträtaufnahmen ins Internet stellen würde. Das wurde jetzt selbst dem Polizeibeamten zu viel des Guten. Er erklärte dem Wichtigen, dass mein Ausweis von ihm kontrolliert worden sei und es nichts mehr zu beanstanden gebe.
Der unwissende Beamte?
Immer wieder konnte ich beobachten, dass sich Polizeibeamte innerhalb der antifaschistischen Kundgebung befanden. Das ist unzulässig. Kennen diese Beamten das Versammlungsrecht nicht, oder ist es ihnen einfach völlig gleichgültig?
- Finde den Fehler! 😉
Nach der antifaschistischen Kundgebung formierten sich rund vierzig AntifaschistInnen augenscheinlich zu einem Demonstrationszug. Eine junge Frau erklärte dem Einsatzleiter der Polizei, dass sie hiermit eine Eilversammlung anmelde. „Ihre Versammlung wurde offiziell beendet, und sie laufen hier nicht.“ Alle Erklärungsversuche der jungen Frau stießen nicht auf offene Ohren. Der Beamte verweigerte die Anmeldung der Eilversammlung mit der Folge, dass sich eine Spontanversammlung durch die Innenstadt in Richtung Bahnhof aufmachte. Ja, das Versammlungsrecht ist oft nicht zu verstehen. Noch weniger, wenn man es offenbar nicht kennt. Kleiner Tipp: Einfach mal nach Spontan- und Eilversammlung googeln. Das hat schon manchem geholfen.
Deutschland, mir graut vor dir
Alles in allem war das schon ein sehr düsterer, aber auch ein sehr aufschlussreicher Tag. Verwirrte Rechte, wichtige Beamte, unwissende Beamte, geistige Brandstifter, eine angegriffene Flüchtlingsunterkunft. Als Sohn einer Flüchtlingsfamilie kann ich nur sagen: Deutschland, mir graut vor dir.
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