Von Christian Ratz – Mannheim. Ist Afghanistan sicher genug, um Flüchtende aus Deutschland auszuweisen? Flüchtende wie ehrenamtliche Helfer sind verunsichert, seit die Bundesregierung zunehmend Herkunftsländer als sicher einstuft, um abgelehnte Asylantragsteller auch in Kriegsgebiete und Krisenregionen schicken zu können – etwa nach Afghanistan oder in Länder auf dem Balkan und in der Maghreb-Region. Wir befragten Experten und Beteiligte zur aktuellen Lage.
Die Unterteilung in sichere und unsichere Herkunftsländer ist höchst umstritten. Dies sowohl unter den Organisationen und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern in Deutschland als auch auf politischer Ebene in der EU. Derzeit sind bevorzugt Menschen aus den Balkan-Staaten Abschiebeversuchen ausgesetzt – unabhängig ihrer Ethnien, etwa Minderheiten wie Sinti und Roma. Oft handelt es sich um Schutzsuchende, die bereits seit Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen im Ex-Jugoslawien in Deutschland ein neues Zuhause fanden.
Die Situation der Geflüchteten aus nordafrikanischen Staaten, dem Maghreb, ist dagegen auf politischer Ebene weiterhin ungeklärt. Wie gehen Behörden mit einem Flüchtenden wie einem Angehörigen der Tuareg (staatenlose Wüstennomaden) um, der sich seit Monaten in Mannheim in einer Aufnahmestelle des Landes befindet? Das Bundesamt für Migration BAMF ist nicht mehr zuständig, die Ausländerbehörde in Mannheim nach Informationen des Landesflüchtlingsrats auch nicht. Ein weiterer Einzelfall, der unbeachtet bleibt?
Flüchtlingen aus Afghanistan droht Abschiebung
Tausende von Kriegsflüchtlingen aus Afghanistan sind derzeit von dem Risiko der Abschiebung in ihr Herkunftsland bedroht. In 31 von 34 Provinzen tobt der Bürgerkrieg. Die alljährliche Herbstoffensive der Taliban hat erneut begonnen – zum Leid der dort lebenden Bevölkerung. Die amtierende, korrupte Regierung kann des fundamentalistisch-islamistischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung trotz ausländischer militärischer und humanitärer Hilfe nicht Herr werden.
Raquel Rempp – Stadträtin in Schwetzingen, Flüchtlingshelferin und Buchautorin gemeinsam mit Said Azami – appelliert an die Bundesregierung. „Ist es gerechtfertigt Menschen nach Afghanistan auszuweisen?“, fragt sie. „Wer kontrolliert die immensen Geldmittelzuweisungen? Das BAMF (Bundesamt für Migration unf Flüchtlinge) kommt seinen Verpflichtungen nicht nach.
Flüchtlingsrat: Rückkehrhilfen nicht grundsätzlich schlecht
Der Viernheimer Historiker Sean McGinley, Sprecher und Geschäftsführer des Landesflüchtlingsrats in Stuttgart, berichtete uns aus dem Alltag. Er sagt: „Vieles läuft falsch. Rückkehrhilfen nach dem Rückkehrprogramm GARP sind nicht grundsätzlich schlecht, solange sie Flüchtenden nicht unter Druck angeboten werden.“
Reeza R. ist anerkannter Asylsuchender aus Afghanistan mit einem Aufenthaltstitel. Er und seine Familie kamen nach wochenlanger Flucht auf dem Landweg im November 2015 in der BEA Hammonds in Mannheim an. Er arbeitet derzeit als Reinigungskraft für eine europaweit tätige Hotelkette im Rhein-Neckar-Raum. Sein Wunsch wäre es, sich als angelernter Koch beruflich weiter entwickeln zu können.
Unterschwellige finanzielle Angebote an Flüchtende zur Ausreise hält er für unethisch: „Kein Geld in der Welt kann ein Menschenleben ersetzen.“ Afghanistan sei eine Todeszone für alle Menschen vor Ort, sagte er uns emotional sichtlich bewegt.
Unser Interview mit Reeza R:
Beobachter News: „Die deutsche Bundesregierung hat Afghanistan als sicher genug erklärt um abgelehnte Asylantragsteller rascher abschieben zu können. Was halten Sie davon?
Reeza R.: „Afghanistan ist seit Jahrzehnten Schauplatz von kriegerischen Auseinandersetzungen und ethnischen Konflikten. Aus diesem Grund fliehen viele Menschen, suchen Schutz und beantragen Asyl in Deutschland und anderen EU-Staaten. Mein Land war immer schon unter der Herrschaft von „Landlords“. Die unschuldige Bevölkerung musste und muss bis heute den Preis dafür bezahlen“
Beobachter News: Was können Sie und andere tun, um die Öffentlichkeit in Deutschland über die reale Situation in Afghanistan und anderen Ländern zu informieren, die bereits als sichere Herkunftsländer deklariert wurden?
Reeza R.: „Wie ich bereits sagte, darüber sprechen. Es muss mehr als offensichtlich sein, dass es tagtäglich zu Explosionen, Attacken und Verfolgungen auf Minderheiten kommt. Die zivile Bevölkerung leidet darunter. Wir waren vor unserer Flucht nach Deutschland nach Pakistan geflohen. Auch dort waren wir nicht willkommen. Mit unseren letzten Ersparnissen haben wir uns auf den gefährlichen und ungewissen Weg in Richtung Europa gemacht. Dies in der Hoffnung, sicher und in Frieden dort leben zu können. Wir wollen unseren gesellschaftlichen Beitrag durch Arbeit und mehr leisten in Deutschland, den wir in unserem Heimatland durch Vertreibung nicht leisten können.
Beobachter News: Welcher politischer Druck könnte auf regionaler oder Bundesebene ausgeübt werden, um getroffene Entscheidungen zu überdenken oder zu revidieren?
Reeza R.: Ich bedauere extrem, dass wir Flüchtlinge oftmals als Spielball politischer Interessen missbraucht werden. Afghanistan ist nicht sicher. Manchmal sollten sich Politiker in verantwortlichen Funktionen in der EU und weltweit hinterfragen.
Beobachter News: Halten Sie es für ethisch und gesellschaftspolitisch akzeptabel, dass abgelehnten Asylantragstellern, zum Beispiel Menschen mit Duldungsstatus, unter anderem finanzielle Anreize angeboten werden, um freiwillig in Krisengebiete zurückzukehren?
Reeza R.: „Es ist nicht zu akzeptieren und menschenfeindlich, sollte so etwas passieren. Für kein Geld auf der Welt kann ein Menschenleben ersetzt werden.
Folge uns!