Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. An einer Demonstration gegen die anstehende Verlängerung der Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr im Bundestag beteiligten sich am Samstag, 10. Dezember – dem Internationalen Tag der Menschenrechte – an die 400 Menschen. Unter dem Motto „Krieg beginnt hier“ demonstrierten sie in Stuttgart gegen die deutsche Militärpolitik. Aufgerufen hatte ein Bündnis gegen Kriegsmandate. Parallel zur Abschlusskundgebung auf dem Stauffenbergplatz gab es eine weitere Kundgebung der Gesellschaft Kultur des Friedens. Am Spätnachmittag erhielt Jürgen Grässlin im Theaterhaus Stuttgart den Friedenspreis der Anstifter.
Dem Bündnis gegen die Verlängerung der Kriegsmandate gehören Friedensgruppen, antimilitaristische und gewerkschaftliche Gruppen, Migrantenorganisationen und Parteien an (siehe „Aktionstag gegen die Kriegspolitik„). Bei der Demonstration gab es auch einen breiten antikapitalistischen Block. Bei der Auftaktkundgebung in der Lautenschlager Straße – sie war noch vergleichsweise schwach besucht, doch der Demo-Zug wuchs auf dem Weg durch die Innenstadt deutlich an – sprach die Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel.
„Krieg beginnt hier, und auch der Widerstand gegen die Kriegseinsätze beginnt hier“, begann sie ihre Rede. Der Bundestag werde in dieser Woche von der Regierungskoalition aufgefordert, drei der 16 Auslandseinsatze der Bundeswehr zu verlängern: in Afghanistan, im Sudan und im Südsudan. „Die Außenpolitik ist zur Kriegspolitik verkommen“, kritisierte Hänsel. Nach Zählung der internationalen Ärzteorganisation IPPNW forderte der angebliche „Krieg gegen den Terror“ bereits 220 000 Todesopfer in Afghanistan, 80 000 Todesopfer in Pakistan und über eine Million Todesopfer im Irak.
Abschiebung nach Afghanistan menschenverachtend
2,7 Millionen Afghanen seien ins Ausland geflohen, weiter 1,2 Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht. Afghanistan gehöre zu den ärmsten Ländern der Welt. Dennoch sollten 180 000 Menschen aus der EU und allein 80 000 aus Deutschland dorthin abgeschoben werden. „Was für eine menschenverachtende Politik!“, empörte sich die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Dabei sei Afghanistan kein sicheres Land – „oder warum finden Geberkonferenzen nicht in Kabul statt?“
Hänsel kritisierte auch den von Deutschland aus geführten Drohnenkrieg, den Waffenexport aus Baden-Württemberg und die Forderung des CDU-Innenministers Thomas Strobl, eine halbe Million abgelehnte Asylsuchende aus Deutschland abzuschieben: „Das ist ein tödliches Programm für Menschen, die hier keine Zukunft gefunden haben.“ Zum Abschluss ihrer Rede forderte sie den Austritt Deutschlands aus der Nato und deren Auflösung.
Amtsgericht München lehnte Verfahren gegen Grässlin ab
„Stuttgart ist ein Zentrum der Friedens- und Menschenrechtsbewegung. Aber von Stuttgart geht auch Krieg aus“, erklärte auch Jürgen Grässlin. Er kritisierte die Untätigkeit der für Waffenexporte aus ganz Baden-Württemberg zuständigen Stuttgarter Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung illegaler Exporte von Kriegswaffen nach Mexiko durch das „bundesweit tödlichste Unternehmen“ Heckler und Koch. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren verschleppt und die beteiligten Ausfuhr- und Kontrollbehörden verschont. Stattdessen verfolgte sie diejenigen, die das „Netzwerk des Todes“ aufgedeckt haben.
Das Amtsgericht München hat die von der Staatsanwaltschaft München nach den Stuttgarter Vorermittlungen erhobene Anklage wegen verbotener Veröffentlichung von Gerichtsakten gegen den Grimme-Preisträger Daniel Harrich, Grimme-Preisträger und Jürgen Grässlin jedoch nicht zugelassen. Es wird nicht zu einer öffentlichen Hauptverhandlung kommen. Die Entscheidung ist inzwischen rechtskräftig.
Heckler und Koch hat sich nicht gewandelt
Den öffentlichen Beteuerungen eines Heckler-und-Koch-Managers, nur noch Waffen in Länder zu liefern, die der Nato angehören oder ihr nahestehen, sei kein Glauben zu schenken. Tatsächlich sei beim Bundessicherheitsrat beantragt worden, Kriegswaffen nach lndonesien („die Menschenrechtslage dort ist barbarisch“), Malaysia und Südkorea exportieren zu dürfen: „Das ist Beihilfe zum Mord und Täuschung der Öffentlichkeit.“
Die Lösung könne nur Rüstungskonversion sein, die Umstellung der Produktion auf zivile Güter. Diese Auffassung vertrete auch der baden-württembergische IG Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger. Man müsse solche Stimmen in den Gewerkschaften stärken.
Holger Burner, Rapper aus Hamburg, machte Musik und forderte zu Sprechchören auf wie „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“ oder „Iran, Irak, Syrien, Türkei – bei jeder Schweinerei ist die BRD dabei“. Die Trommelgruppe Lokomotive begleitete den von Polizeikräften begleiteten Demozug. Er wurde von Delegierten der Bündnisorganisationen angeführt. Der antikapitalistische Block schloss sich an.
Imperialismus ist nicht nur Vergangenheit
Unterwegs wurde eine Fackel abgebrannt. Entlang der Demoroute kam es auch zu einer Provokation Rechtsgerichteter. Bei einer Zwischenkundgebung gab es einen Redebeitrag des Offenen Treffens gegen Krieg und Militarisierung OTKM Stuttgart und Karlsruhe, außerdem ein Grußwort des Flüchtlingsaktivisten Rex Osa. Er begründete, weshalb es richtig sei, sich angesichts imperialistischer Kriege gegen Mandatsverlängerungen einzusetzen: „Sie wollen uns nicht als Flüchtlinge, aber trotzdem machen sie unsere Länder kaputt.“
- Rex Osa
„Imperialismus gibt es noch“, sagte auch Holger Burner. Er erinnerte daran, dass sich die Regierenden der OSZE-Ländern zeitgleich in Hamburg mit 13 200 Polizeikräften „vor ihrer eigenen Bevölkerung“ schützten.
Die Bundeswehr verteidigt die Interessen des deutschen Kapitals
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Stauffenbergplatz thematisierte Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung in einer viel beachteten Rede „Schluss mit den Bundeswehreinsätzen in Afrika -AfriCom schließen jeden einzelnen Kriegsschauplatz. Auch hier wurde deutlich, dass die Bundeswehr überall die Interessen des deutschen Kapitals verteidigt – ob in Afghanistan, der Türkei, dem Sudan und dem Südsudan, Mali, Liberia oder auf dem Mittelmeer.
Die Nato lagere ihre internen Konflikte in internationale Bürgerkriege im Süden aus. Die Stellvertreterkriege und die Aufrüstung von Diktaturen müssten aufhören, forderte Marischka. Gleichzeitig müsse man sich mit den durch diese Konflikte Vertriebenen solidarisieren.
Symbolisch brannte die Kriegsmaschinerie
Nachdem die Kundgebung offiziell beendet war, gab es noch ein kurzes antimilitaristisches Theaterstück, bei dem die Kriegsmaschinerie in Form eines großen Pappkartons symbolisch angezündet wurde. Zuvor hatte Holger Burner, Rapper aus Hamburg, noch einmal Musik gemacht.
Noch während die Kundgebung lief, begann die Gesellschaft Kultur des Friedens parallel zu ihr nur wenige Meter entfernt eine weitere am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Karlsplatz. Dort wurde Blumen für die Menschen niedergelegt, die auf der Flucht etwa im Mittelmeer ihr Leben verloren. Es gab eine Schweigeminute. Henning Zierock und Stephanos Psomas machten Musik. Unter anderem intonierten sie das türkisch-griechische Lied „Dein Bruder hört’s nicht, Fremde hören’s doch.
- Henning Zierock (links) und Stephanos Psomas
- Henning Zierock
- Stephanos Psomas
Verheerende Wirkung von Abschiebungen
Hauptthema in Redebeiträgen von Henning Zierock und Jürgen Grässlin waren erneut die Fluchtursachen. Gewarnt wurde vor einem weiteren Rechtsruck, und es wurde der Aberwitz der beabsichtigten und zum Teil auch bereits erfolgten Abschiebungen nach Afghanistan thematisiert.
Weitere Reden hielt Meral Gürsu von der Demokratischen Kurdischen Gesellschaft Stuttgart und Wolf-Dieter Dorn von der Flüchtlingsinitiative Feuerbach (siehe unten). Auch er sprach sich in bitteren Worten gegen Abschiebungen aus und berichtete, wie schon allein deren Ankündigung in Sammelunterkünften Menschen in Angst und Aufregung versetzt, die möglicherweise gar nicht von ihnen bedroht seien: „Die rhetorische Kraftmeierei der Seehofers, Söders und Spahns schaden jeder Integration.“
Weitere Bilder des Tages
- Heike Hänsel
- Jürgen Grässlin
- Dagmar Uhlig, DIE LINKE Stuttgart und Jürgen Grässlin
- Jürgen Grässlin
- Holger Burner
- Heike Hänsel
- Henning Zierock, GKF
- Wer nicht arbeitet soll wenigstens gut stricken?
Rede von Christoph Marischka, Informationsstelle Militarisierung:
Liebe Freund_innen und Freunde,
wir demonstrieren ja hier und heute gegen die Mandatsverlängerungen der Bundeswehr. Neben Afghanistan, Syrien und Irak und dem Libanon finden fast alle offiziellen Einsätze der Bundeswehr auf dem afrikanischen Kontinent und vor seinen Küsten statt. Die Bundeswehr ist u.a. in Somalia, Äthiopien, dem Südsudan, Sudan, der Zentralafrikanischen Republik, dem Niger, Mali und der Westsahara aktiv. Ein Schwerpunkt ist dabei Ostafrika. Hier ist die deutsche Armee nicht nur vor den Küsten Somalias im Golf von Aden präsent, um als Exportnationen einen reibungslosen Welthandel abzusichern, sondern sie mischt auch kräftig mit im somalischen Bürgerkrieg selbst. Am Flughafen von Mogadischu sind deutsche Soldaten daran beteiligt, junge Männer als Soldaten auszubilden und anschließend in den Bürgerkrieg zu schicken – für eine somalische Armee, die letztlich nur auf dem Papier besteht, eigentlich ein Söldnerheer ist. Gleichzeitig berät sie das somalische Verteidigungsministerium, das zu einer Regierung gehört, die in Somalia keinen Fuß auf den Boden bekommt. Hierzu fährt sie ab und zu mit schwer bewaffneten Konvois durch Mogadischu, wo die Sicherheitslage katastrophal unsicher ist. Um sich abzusichern wurde u.a. hier in Stuttgart die Zusammenarbeit mit dem US-Oberkommando für Afrika, dem AfriCom in Möhringen, ausgebaut. Jenem Oberkommando, das für Drohnenmorde der US-Armee auf dem afrikanischen Kontinent mitverantwortlich ist, von denen die Bundesregierung aber nichts wissen will. Aber Mord ist Mord und die Verantwortlichen gehören vor Gericht und auch ihre Helfershelfer. Vor allem aber gehören Morde verhindert – doch auch hierzu lassen die Bundesregierung und auch das Stuttgarter Rathaus jeden Ansatz vermissen. Das ist eine Schande und wir müssen den Druck erhöhen, dass die Hofierung von Kriegsverbrechern ein Ende findet.
Aber zurück nach Somalia. Deutschland ist nicht nur mit Soldaten an diesem Bürgerkrieg beteiligt, sondern auch mit viel Geld. Zehntausende Soldaten aus den Nachbarstaaten – Kenia, Uganda und Äthiopien – kämpfen in diesem Bürgerkrieg und sie werden bezahlt aus dem Europäischen Entwicklungsfonds, aus der sog. afrikanischen Friedensfazilität. Über 1,3 Milliarden Euro sind so seit 2007 aus Europa in den somalischen Bürgerkrieg geflossen und es ist schwer vorzustellen, wie dieser Bürgerkrieg ohne den u.a. aus Deutschland und der EU organisierten Zufluss an Geld und Kämpfern so lange und mit dieser Intensität geführt hätte werden können. Überhaupt stellt sich die Frage, wen die zehntausend Soldaten aus dem Ausland in diesem bitterarmen Land überhaupt bekämpfen. Bekämpfen sie die Zivilbevölkerung, oder bekämpfen sie sich nicht in Wirklichkeit gegenseitig – auf dem Rücken der Bevölkerung? Liebe Freundinnen und Freunde, diese Stellvertreterkriege, diese internationalisierten Bürgerkriege müssen ein Ende finden und deshalb müssen Deutschland und die EU aufhören, sie mit Rekrutierung, Geld und Waffen immer weiter mit anzuheizen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
auch die Menschen im Südsudan leiden fürchterlich. Hunderttausende von ihnen sind erst 2010/2011 vom Norden in den Süden gekommen – geflogen und gefahren worden – weil ihnen dort der Aufbau eines neuen Staates versprochen wurde. NATO, EU und Deutschland haben kräftig mitgewirkt an der Abspaltung des Südsudan, weil zuvor vor allem asiatische Firmen und Staaten Zugriff auf das dort lagernde Erdöl hatten. Das beinhaltete durchaus auch militärische Drohungen und eine EU-Mission in den Nachbarstaaten des Sudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, betrifft aber auch und v.a. die sog. Entwicklungshilfe, die den südsudanesischen Staat aufbaute, für die Unabhängigkeit des Südens warb und massenhaft Menschen für den Umzug in den Süden mobilisierte, noch bevor das Referendum über die Unabhängigkeit stattfand und der neue Staat – unter internationalem Beifall – ausgerufen wurde. Kurz darauf zerfiel der neue Staat in einen der häßlichsten Bürgerkriege weltweit, die Migrant_innen aus dem Norden irren zwischen den diffusen Frontlinien umher. Statt in einem prosperierenden Staat, sind sie in riesigen Flüchtlingslagern gelandet. Gekämpft wird dieser Krieg u.a. mit Waffen, die die USA – ebenfalls vor der Unabhängigkeit, mithilfe der deutschen Beluga-Reederei über Kenia in den Südsudan lieferte. Bekannt wurden diese Lieferungen, weil Piraten eines der Schiffe, die Faina, kaperten und die an Bord befindlichen Kleinwaffen plünderten. Kurz darauf begannen die NATO und die EU Ihre Anti-Piraterie-Missionen am Horn von Afrika. Wir sehen auch am Beispiel des Südsudan: Krieg beginnt hier, und zwar nicht nur an den Bundeswehrstandorten und im AfriCom, sondern immer öfter auch durch sog. Entwicklungszusammenarbeit, die sich in den Dienst imperialer Interessen stellt. Auch dort muss der Krieg beendet werden.
Bevor ich zu Mali komme, muss ich noch kurz auf Äthiopien zu sprechen kommen, das in beiden genannten Kriegen eine unschöne Rolle spielt und trotzdem als Statthalter deutscher und westlicher Interessen wahrgenommen und aufgerüstet wird. In Äthiopien herrscht eine Ein-Parteien-Diktatur, die das Land hemmungslos an internationale Investoren verscherbelt und die Bevölkerung im großen Maßstab vertreibt. Angela Merkel nannte dieses Land kürzlich bei ihrem Besuch in Addis Abeba einen Stabilitätsanker und ein Beispiel für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Bei Protesten gegen Infrastrukturprojekte und Landraub waren in den Monaten zuvor etwa eintausend Menschen getötet worden, am Tag vor ihrem Besuch verhängte das äthiopische Regime den Ausnahmezustand – für sechs Monate. Merkel jedoch versprach eben diesem Regime Unterstützung bei der Polizeiausbildung und weitere Militärhilfe. Offizieller Anlass ihres Besuches war die Einweihung eines neuen militärischen Hauptquartiers in der äthiopischen Hauptstadt – finanziert vom Auswärtigen Amt, gebaut unter Leitung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ.
Liebe Freundinnen und Freunde, diese Form der wirtschaftlichen Entwicklung durch Landraub und Vertreibung lehnen wir ab. Und diese Zusammenarbeit mit Diktaturen lehnen wir auch ab. Wir wissen andererseits, dass es viele gute Initiativen zur Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Gruppen aus Afrika und Europa gibt und wir können von den Kämpfen gegen Landraub u.a. in Äthiopien auch vieles lernen. Die Menschen dort sprechen von einer doppelten Kolonialisierung – durch den Welthandel einerseits und durch die Regierung im eigenen Land andererseits. Das finde ich einen interessanten Ansatz. Für uns muss das heißen: Wir stellen und gegen die Aufrüstung von Diktaturen – Schluss mit Waffenlieferungen und Militärhilfe! Und wir verstehen das als und wir suchen neue Wege der Solidarisierung mit den Enteigneten und Vertriebenen im globalen Süden.
Bevor Angela Merkel nach Äthiopien ging, war sie ja in Niger und Mali, wo die Bundeswehr gegenwärtig ihren robustesten und gefährlichsten Einsatz hat. Etwa eintausend deutsche Soldat_innen sind bereits dort, Anfang 2017 soll das Mandat um Kampfhubschrauber und Hubschrauber zur medizinischen Evakuierung erweitert werden. Bereits jetzt sind dort große Drohnen vom Typ Heron I stationiert, die sonst bislang von der Bundeswehr nur in Afghanistan zum Einsatz kamen. Sehr wahrscheinlich wird Mali – oder der Sahel – auch der Ort sein, wo ab 2018 erstmals auch bewaffnete Drohnen der Bundeswehr zum Einsatz kommen werden. Die Bundeswehr bildet in Mali einerseits im Rahmen einer EU-Mission im Süden Truppen für den Kampf um den Norden aus; andererseits übernimmt sie selbst in Gao – im umkämpften Norden – die Aufklärung und Absicherung jener – überwiegend afrikanischer – Truppen, die das Gebiet sichern sollen. Über hundert Soldaten dieser UN-Mission sind bereits gestorben – alleine im November etwa ein Dutzend. Es gab auch schon Angriffe auf das deutsche Feldlager Camp Castor und der Flughafen, an den es angrenzt, wurde jüngst durch einen Anschlag verwüstet. Insgesamt habe sich die Lage in Mali in den letzten Monaten „dramatisch verschlechtert“, wie selbst die der Bundesregierung nahestehende Stiftung Wissenschaft und Politik einräumt und sie verschlechtert sich auch im Süden und in den Nachbarstaaten.
Liebe Freundinnen und Freunde, das Folgende ist wichtig: Freigekämpft werden die Orte im Norden von der Französischen Armee in enger Zusammenarbeit mit jenen Sezessionisten, welche die Krise in Mali 2012 letztlich auslösten. Die anschließende „Stabilisierung“ durch die Bundeswehr erfolgt unter einem UN-Mandat, das die Rückkehr der – zuvor von der Bundeswehr im Süden ausgebildeten – malischen Armee in den Norden vorsieht. Diese Rückkehr der staatlichen Truppen wird aber wiederum von denen bekämpft, mit denen Frankreich an vorderster Front kooperiert und es wird immer offensichtlicher, dass Frankreich und Deutschland, obgleich im Bündnis, letztlich unterschiedliche Ziele verfolgen.
Wir sehen hier überdeutlich, was für viele Konflikte in Afrika und auch jenen in Syrien gilt: Dass die internationalisierten Bürgerkriege im globalen Süden letztlich vor Allem eine Arena sind, in der die NATO-Staaten untereinander ihre innerimperialen Auseinandersetzungen austragen. Der Friede, den die Europäische Union vermeintlich unter ihren Mitgliedsstaaten gestiftete hat, bedeutet letztlich nichts anderes, als die Auslagerung ihrer Konflikte in die Peripherie, dass auf dem Rücken der Bevölkerungen im Süden um die Vorherrschaft in Europa und im transatlantischen Bündnis gekämpft wird. Und ich bin froh, dass wir heute hier sind, um ein deutliches Zeichen gegen diese Politik zu setzen!
Was passiert nun mit jenen Menschen, die vor diesen Konflikten – den militärischen, aber auch den sozialen und politischen, der Vertreibung und den vom Norden aufgerüsteten Diktaturen fliehen. Die meisten jedenfalls kommen hier gar nie an. Parallel zum Militäreinsatz in Mali führt die EU Missionen zum Polizeiaufbau in Mali und Niger durch, auch die GIZ ist kräftig daran beteiligt, den Grenzschutz zu forcieren. Im Gegenzug für Rücknahmeabkommen verschenkt der deutsche Innenminister Überwachungs- und Polizeiausrüstung an die nordafrikanischen Staaten und eine libysche Küstenwache wird zukünftig auf EU-Militärschiffen im Mittelmeer ausgebildet – weil es selbst für die Ausbilder-Soldaten in Libyen noch zu gefährlich ist. Wer aber von dort flüchtet, soll von der libyschen Küstenwache aufgehalten werden. Wer es trotzdem schafft, wird dann von der EU-Mission EUNAVFOR MED aufgehalten werden und wer es trotzdem schafft, dem schlägt hier nicht nur die xenophobe Propaganda von Parteien wie der AFD entgegen, sondern der gesammte Flüchtlingsdiskurs, wie er mittlerweile längst auch von den sog. etablierten Parteien und öffentlich-rechtlichen Medienanstalten gepflegt wird.
Liebe Freundinnen und Freunde,
nach all der Regierungsschelte aber abschließend noch etwas positives, eine Vision. Sehr wenige Menschen, nur eine kleine Elite eigentlich, stehen hinter dieser Politik der Aufrüstung, der Stellvertreterkriege und der Fluchtbekämpfung. Wie gesagt gibt es auch viel Solidarität und viele Ansätze einer „Entwicklungszusammenarbeit“ von Unten. Diese bräuchte vielleicht einen Ort, für das Zusammenkommen und den Austausch. Deshalb hier zum Schluss eine Frage: Wer von hier war schon einmal beim AfriCom in Möhringen? Ist ja eigentlich eine ganz schöne Lage, es gibt viel Wohnraum, Infrastruktur, Konferenzräume undsoweiter. Wäre das nicht ein guter Ort, um mit Menschen zusammenzukommen, zusammenzuleben und gemeinsam Ideen für eine andere kommunale, landespolitische Zusammenarbeit mit afrikanischen Gruppen und Gesellschaften zu entwickeln? Wäre das Africom – wie kürzlich durch Leaks bekannt geworden ohnehin nur für wenige Jahre in Stuttgart geplant – nicht ein großartiger Ort für ein Begegnungszentrum, eine Werkstatt, einen Ort des Austauschs und der Aktion? Lasst uns hier in Stuttgart für diese Konversion kämpfen: Für eine Schließung des AfriCom und eine andere Afrikapolitik, gemeinsam und von Unten!
Schluss mit den Bundeswehreinsätzen in Afrika – AfriCom schließen
Rede von Wolf-Dieter Dorn, Freundeskreis für Flüchtlinge Feuerbach:
Ich komme ohne Umschweife zu Thomas Strobl, den Forderungen unseres Innenministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten nach Leistungskürzungen für Geflüchtete, einer Ausweitung der Abschiebehaft und ganz besonders nach schnelleren, sprich: rabiateren Abschiebungen. Andere teilen diese und ähnliche Forderungen, ohne dass sie wirklich wissen und sich Rechenschaft darüber ablegen, was sie anrichten. Man meint, jene die sie ständig forderten, träumten bereits von Abschiebungen, als wären sie die einzig glückverheißende Lösung: schnellere, häufigere und konsequentere Abschiebung, Abschiebung von Straftätern, am besten sofort, Abschiebungen jetzt auch nach Afghanistan.
Hier ist Nüchternheit angebracht. Als Helfer in einem Freundeskreis wird man sich nicht dagegen stemmen können, dass Viele, die man kennen und als Menschen schätzen gelernt hatte, wieder gehen oder gehen müssen. Wir ermuntern all jene, die absehbar keine Anerkennung als Verfolgte oder Kriegsflüchtlinge bekommen werden und bei denen alle Mittel, eine solche zu erreichen, ausgeschöpft sind, besser auf eigene Faust auszureisen, bevor sie mit staatlicher Gewalt außer Landes geschafft werden. Dies, die alles andere als freiwillige „freiwillige Ausreise“, wie dies euphemistisch im Behördendeutsch heißt, ist für alle Seiten gegenüber einer Abschiebung von Vorteil. Sie kommt billiger für den Staat, schont die Einsatzkräfte der Polizei, auch dafür muss man ein Auge haben – es gibt Polizisten, die den Dienst quittiert haben, weil es ihnen zuwider wurde, Familien mit Kindern aus den Betten heraus in Gewahrsam zu nehmen. Dem muss man hohen Respekt zollen. Vor allem jedoch sind die Geflüchteten – die Schwächsten – selbst zu schonen, die unter Aufgabe ihres kargen Besitzes unter entsetzlichen Umständen abgeschoben, d.h. zwangsweise deportiert sowie umso mehr jene, die als unbeteiligte Mitbewohner einer Sammelunterkunft in die zumeist nächtlichen Aktionen hineingezogen werden. Häufig genug sind davon Menschen betroffen, die tatsächlich staatliche Verfolgung, Gewalt und Folter an eigenem Leib erlitten haben. Völlig abrupt kehrt ihr Martyrium dann zu ihnen zurück, jahrelange, kostenintensive Traumateraphien scheitern so binnen weniger Momente.
Ich könnte dies beliebig vertiefen, um die Kontraproduktivität der Forderungen gerade im Sinne derer, die sie erheben, ein ums andere Mal hervorzukehren. Allein die Ankündigung, nach Afghanistan, einem Kriegsgebiet, abzuschieben, versetzt alle Flüchtlinge aus diesem Land in helle Unruhe, auch jene, die von Abschiebung gar nicht bedroht sind. Die rhetorische Kraftmeierei der Seehofers, Söders und Spahns schadet jeder Integration, sie sind nicht im Geringsten an ihr interessiert. Es geht ihnen vielmehr darum, mit immer neuen, schikanösen Vorschlägen das alternativlos mutige „Wir-schaffen-das“ der eigenen Kanzlerin zu torpedieren.
In einem hilflosen Reflex fallen sie in ein seit Jahrzehnten überholtes Repertoire der Vermeidung von Zuwanderung durch Abschreckung zurück – wenn denn nur Einer, der sich auf den Weg machte, von den Schikanen hierzulande abgeschreckt würde. In Wahrheit verdeckt die Demonstration vermeintlicher Stärke nur ein angstvolles Zurückweichen vor der globalen Herausforderung. Auf der Strecke bleibt dabei zuallererst die Würde der Menschen, die bei uns (zu Recht oder nicht) eine Zukunft suchen – worauf wir eigentlich stolz sein sollten. Das zeitigt unmittelbare Folgen: Flüchtlinge, die in ihrer Würde verletzt sind, bringen kaum den Mut und die Energie auf, Deutsch zu lernen, sich auszubilden und wirtschaftlich auf eigene Beine zu kommen, geschweige denn, dass sie sich bei uns wirklich heimisch fühlen. Sozial abgehängt kommen manche unter ihnen erst auf andere Gedanken.
Damit erfüllt sich lediglich eine ‘self fulfilling prophecyʼ, die aus schierer Angst heraus mit scharfen Forderungen angestoßen wurde. Dies ist nicht hinzunehmen. Und deshalb rufe ich dazu auf, mit allen Geflüchteten maß- und würdevoll umzugehen, auch jenen, die uns nach geltenden Gesetzen bald wieder verlassen. Selbst kriminelle Flüchtlinge, die häufig erst durch die Umstände von Flucht und Vertreibung aus der Bahn geworfen wurden, haben ein Recht und Würde. Würde – „die“ Würde ist nicht der Konjunktiv menschlichen Seins, sie steht nicht und darf niemals zur Disposition gestellt werden.
Wer aber – und sei es aus panischem Kalkül – meint, extremistischen Populisten den Wind aus den Segeln nehmen zu können, indem er bewusst und gewollt deren stupide, menschenverachtende Gedanken vorweggreift, der verfällt einem doppelt fatalen Irrtum. Er bereitet dem Populismus erst den Weg und fördert dann noch den Terrorismus der anderen, die Verwehrung von Integration ist eine Investition in Prothesen. Jeder, der eine solche zum Denken noch nicht braucht, ist dazu aufgerufen, sich hier einzubringen. Wenn „postfaktisch“ jetzt zum Wort des Jahres gewählt wurde, darf dies nicht der Kapitulation vor Hetze und Unverstand dienen, sondern dazu, der eigenen – besseren – Überzeugung mit noch mehr Verve und Nachdruck – und mit guten Argumenten zum Durchbruch zu verhelfen.
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