Von Rick de la Fuerte – Mannheim. Der Milli Görüs-Ableger „Rhein-Neckar-Saar“ hielt am Samstag, 17. Dezember, eine Kundgebung unter dem Motto „Steh auf für Aleppo“ auf dem Alten Messplatz in Mannheim ab. Nach Polizeiangaben nahmen etwa 1500 Personen an der überwiegend in türkischer Sprache abgehaltenen Veranstaltung teil. Unter ihnen waren auch Vertreter der Grauen Wölfe und Salafisten. Für Frauen war ein separater Bereich vorgesehen. Fast identische Veranstaltungen gab es nahezu zeitgleich in mehreren deutschen Städten, aber auch in weiteren europäischen Metropolen.
Milli Görüs wurde offenbar wegen des nicht abgestimmten Vorgehens und der Benutzung des Themas „Aleppo“ innerhalb muslimischer Verbände kritisiert. Die Ziele der Kundgebung blieben im Unklaren. Unser Reporter konnte sich statt gegenteiliger Zusage nicht immer frei bewegen. Während der rund zweistündigen Veranstaltung wurden nur etwa drei Minuten lang die vermutlich aus Veranstaltersicht relevanten Dinge in deutscher Sprache vorgetragen. Ansonsten erfolgten sämtliche Reden einschließlich religiöser Gesänge und Predigten mehrerer Imame in türkischer Sprache.
Durch diesen Verlauf enttäuscht verließen kurz nach Beginn der Veranstaltung viele Menschen schon wieder das Geschehen. Der Übersetzer, der unseren Reporter begleitete, bestätigt sinngemäß, dass im Allgemeinen ‚Aleppo‘ thematisiert wurde, dass auch generell Krieg und Terror kritisiert wurden. Herausgehoben wurde der Anschlag am gleichen Tag in der anatolischen Stadt Kayersi.
Übergriffe auf die HDP bleiben unerwähnt
Auf die darauf folgenden Ausschreitungen besonders gegen die Oppositionspartei HDP sei man hingegen nicht eingegangen. RT berichtete am 18. Dezember: „Im Anschluss an den terroristischen Bombenanschlag stürmten wütende türkische Demonstranten, die sich zu einem Mob zusammenschlossen, mehrere Regionalbüros der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker, auch als HDP bekannt. Die Übergriffe begannen in Kayseri. Dort brachen Protestanten in das Gebäude des HDP-Parteibüros ein. Sie setzten dieses in Brand und hissten eine rote türkische Fahne mit drei Halbmonden. Die Fahne wird gerne von der Partei der Nationalistischen Bewegung, MHP, genutzt, deren Jugendorganisation die sogenannten „Grauen Wölfe“ sind. Die Parteischilder der HDP am Gemäuer wurden abgenommen.“
Wie schon zuvor andernorts – etwa in Ulm – war es für Außenstehende nicht ersichtlich, aus welchem Grund „Aleppo“ als Motto für die Kundgebung gewählt wurde (siehe auch „Milli Görüs verunsichert Polizei und Passanten„). Man kann den Veranstaltern jedoch eines nicht vorwerfen: dass sie zu wenige Ordner im Einsatz gehabt hätten. Ganz im Gegenteil. Dutzende meist weibliche, mit Warnwesten gekennzeichnete Personen waren bemüht, die irritierende Veranstaltung auflagenkonform zu begleiten. Auffällig war, dass viele der OrdnerInnen sich zwischen dem Großaufgebot der Polizei und den Veranstaltungsteilnehmern positionierten und damit einen „natürlichen“ Sperrriegel bildeten.
Graue Wölfe und Salafisten schwenken Fahnen
Wir sahen keinen Versuch von Polizeibeamten, das Geschehen aus der Nähe zu verfolgen – man hielt sich zu Fuß und zu Pferd auf Abstand. Unter die Veranstaltungsteilnehmer mischten sich auf Vertreter der „Grauen Wölfe“ und „Salafisten“. Sie gaben sich unter anderem durch das Schwenken von Fahnen zu erkennen. Unser Dolmetscher übersetzte eine hektische Diskussion unter Milli Görüs-Ordnern (sinngemäß): „Die (Grauen Wölfe und Salafisten) sollen ihre Fahnen runter nehmen und sie keinesfalls schwenken, sonst würden die anwesende Journalisten und die Deutschen dies falsch verstehen.“ Wären keine Pressevertreter und keine Deutschen vor Ort gewesen, hätten die Grauen Wölfe und Salafisten vermutlich ihr volles Potenzial auspacken können.
Unabhängig davon zeigten sich weder die Grauen Wölfe noch die Salafisten beeindruckt von den Anweisungen der überforderten Milli Görüs-OrdnerInnen. Mehrmals wurde versucht, unseren Reporter an der Berichterstattung zu hindern. Dabei war er vor Beginn der Kundgebung von einem Presseverantwortlichen von Milli Görüs begrüßt worden mit der Zusage, sich „frei bewegen zu können“. Davon war kurze Zeit später nichts mehr zu spüren. Mal stand unser Reporter „ungünstig“, dann sollte er keine Aufnahmen von „unseren Frauen“ machen, und schon gar nicht sollte er mitbekommen, dass die eingesetzten OrdnerInnen im Zentrum der Veranstaltung vollkommen überfordert waren.
Separater Frauenbereich
Verstörend war, dass weibliche Kundgebungsteilnehmer in einen speziell dafür vorgesehenen Bereich gebracht wurden. Er wurde von OrdnerInnen kontrolliert. Man versuchte, ihn abzusperren. Männliche Teilnehmer konnten sich hingegen jederzeit frei bewegen. Die Veranstalter argumentierten später auf Kritik in sozialen Netzwerken hin damit, dass die eigenen Frauen geschützt werden müssten. Vor wem blieb allerdings unklar.
Unser Reporter wagte es, sich zur Berichterstattung in die Nähe des nur für Frauen vorgesehenen Bereichs zu stellen. Sofort versuchten Ordner, ihn an der Ausübung seiner Tätigkeit zu hindern. Sie sprachen ihn in türkischer Sprache an. Der begleitende Übersetzer glättete die Wogen mit Verweis auf die Pressefreiheit.
Probleme mit dem Verfassungsschutz
Auch im kommenden Jahr wird es wieder einen Verfassungsschutzbericht geben, auch für Baden Württemberg. Es wird spannend bleiben, wie die IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) in Mannheim und bundesweit in ihm beurteilt wird. Im Bericht für das Jahr 2015 steht unter anderem: „Die IGMG ist Teil der „Milli-Görüs“-Bewegung („Milli Görüs“ = „Nationale Sicht“), eines Sammelbeckens von Anhängern ihres 2011 verstorbenen Gründers Necmettin Erbakan. Ab 1970 organisierte sich diese Bewegung in der Türkei in Parteien. Ihr Ziel ist eine auf dem Islam basierende ‚Gerechte Ordnung‘ (hak düzen), die langfristig alle anderen, als ’nichtig‘ (batil düzen) bezeichneten politischen Systeme ablösen soll.“
Die Anfänge der IGMG in Deutschland reichen bis in die 1970er Jahre zurück. Der Tod des „Führers“ Erbakan am 27. Februar 2011 markierte das Ende einer rund 40 Jahre andauernden Ära, in deren Verlauf er fünf Parteien nacheinander gegründet hatte. Insgesamt sind dem Verfassungsschutz zufolge „zwischen der Außendarstellung der IGMG gegenüber Politik und Öffentlichkeit und den intern propagierten Inhalten weiterhin Diskrepanzen festzustellen. Dies betrifft vor allem die Bildungsarbeit, die keiner staatlichen Aufsicht unterliegt und ganz überwiegend in türkischer Sprache erfolgt.“ Hier bedürfe es neuer Ansätze. Es könne nach wie vor nicht von einer glaubhaften Abkehr von den ordnungs – politischen Zielen Necmettin Erbarkans – und damit auch von den Abgrenzungstendenzen gegenüber der westlichen Gesellschaft und ihren Werten – gesprochen werden.
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