Kommentar von Andreas Scheffel – Stuttgart. Racial Profiling – etwa in Zügen an den Grenzen – ist nichts Neues. Jeder konnte sich an drei Fingern abzählen, dass es an Silvester viele treffen würde. Dass es die Behörden in Köln so ungeniert und offensichtlich anwandten, zeigt jedoch, wie sicher sich Justiz und Polizei sind, politische Rückendeckung zu haben.
Nach den Terroranschlägen ist die Zeit bestens geeignet, Gesetze zu verschärfen. Unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit wird die Angst vor dem Fremden geschürt. Fremde sind der für Verschärfungen benötigte innere Feind. Überwachungsinstrumente der Ermittlungsbehörden sind darauf ausgerichtet, Momente der Schwäche ausfindig zu machen – egal ob es sich um Verdächtige oder um normale Bürger handelt. Es geht nicht um Sicherheit oder Schutz, sondern um Macht und Informationen.
Es handelt sich um ein gezieltes Handeln der Behörden, um Sicherheitsapparate im Inneren auf Bundesebene zu etablieren. Das lässt sich an einer Vielzahl von Beispielen festmachen: an Gesetzesänderungen, Videoüberwachung, Telefonüberwachung, Aushöhlung des Datenschutzes, Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, an willkürlicher personenbezogener Identifizierung, am Festsetzen oder Umschließen ganzer Personengruppen, wie es so oft bei Demonstrationen geschieht.
Racial Profilig verstößt gegen Diskriminierungsverbot
Nach Medienberichten hat die Kölner Polizei in der Silvesternacht hunderte von Personen hauptsächlich wegen ihrer angenommenen oder tatsächlichen „nordafrikanischen“ Herkunft kontrolliert und eingekesselt. Dabei sind Personenkontrollen, die nur oder hauptsächlich auf der Herkunft oder Nationalität der Kontrollierten basieren, diskriminierend und menschenrechtswidrig. Racial Profiling verstößt gegen das in vielen völker- und europarechtlichen Verträgen und auch in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot (Siehe zur Erläuterung auch hier).
Maßnahmen, wie sie die Kölner Polizei jetzt in aller Öffentlichkeit durchführte, tragen dazu bei, Vorurteile und stereotype Zuweisungen gegenüber der kontrollierten Personengruppe zu verstärken. Mit dem Ergebnis, dass sich rassistische Einstellungen verfestigen. Das muss kritisch hinterfragt und aufgearbeitet werden. Zwar haben der Kölner Polizeipräsident und die Bundespolizei die Maßnahmen später bei einer Pressekonferenz gerechtfertigt. Es seien „fahndungsrelevante Personen“ kontrolliert worden. Doch was bedeutet in diesem Zusammenhang „fahndungsrelevant“?
Der Begriff „Nafris“ ist unterirdisch
Es deutet vieles darauf hin, dass allein oder hauptsächlich die angenommene „nordafrikanische“ Herkunft das „fahndungsrelevante“ Merkmal war. Das wäre ein klassischer Fall von Racial Profiling. Die Bezeichnung der kontrollierten Personengruppe als „Nafris“ im Sprachgebrauch der Kölner Polizei ist ohnehin indiskutabel.
Vor dem Hintergrund des internationalen Trends zu immer mehr Überwachung lohnt es sich, nach dem Ziel zu fragen, das Polizei und Justiz mit ihrem Vorgehen verfolgen. Wohin führt ihr Handeln? Zum einen dazu, die Liste der Länder zu erweitern, in die Menschen abgeschoben werden dürfen, die vor Krieg, Armut und Verfolgung nach Deutschland geflüchtet sind.
Datenbanken helfen beim Verknüpfen von Informationen
Zum anderen dient das Schüren von Angst auf dem Rücken von Flüchtlingen aber auch als Mittel zum Zweck, Gesetze zur „inneren Sicherheit“ zu verschärfen. Dabei hat das Bundeskriminalamt (BKA) gerade erst öffentlich mitgeteilt, dass Straftaten von Flüchtlingen deutlich zurückgegangen sind. Es geht aber nicht nur um die Deutschen. Fast alle Länder in der EU bleiben bei diesem billigen Trend und verschärfen ihre Gesetze.
Bei der Überwachung, beim Speichern und Verknüpfen von Informationen rücken die verschiedenen Computersysteme und Datenbanken der Polizei Baden-Württemberg wie „INPOL-Land, Nadis, Pisa“ – in den Mittelpunkt. Diese IT-Anwendungen dienen zur Fahndung und Vorgangsbearbeitung (siehe den Artikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung HAZ „Polizei speichert illegal Demonstranten-Daten„.)
Einkesseln bei Demonstrationen an der Tagesordnung
Als Beispiel lässt sich eine einfache Demonstration nehmen. Das Einkesseln, das Umschließen einer Personengruppe, um anschließend gezielt einen Einzelnen herauszugreifen und festzunehmen, ist an der Tagesordnung. Man könnte annehmen, beim Festsetzen von Personen ginge es darum, streitende Parteien voneinander zu trennen. Doch meistens werden die Personalien der Umschlossenen aufgenommen, um sie später der Strafverfolgung der Justiz auszusetzen.
Polizei und Justiz praktizieren diese Art der Kriminalisierung seit Jahrzehnten. Dazu ist es nicht einmal nötig, dass Polizeibeamte rechts stehen. Es ist der überwiegend übliche Gang bei den Verantwortlichen in der Justiz mit dem Ziel, Informationen über Personen zu filtern und sie in Datenbanken einzupflegen. Die Daten sind vor allem für den Verfassungsschutz wichtig. Sie dürften hauptsächlich den Zweck erfüllen, Aktivitäten von Personen und ihre politische Ausrichtung zuzuordnen. So kann die Behörde regelrechte Bewegungsprofils von Personen und Gruppen anlegen.
Beschuldigte bleiben auf Gerichtskosten sitzen
Wenn die Umstände es zulassen, werden Demonstranten halt einfach mal einer Straftat bezichtigt, festgenommen und eventuell sogar inhaftiert, um an genauere Informationen zu der Person oder Gruppe zu gelangen. Hierbei ist es erst einmal egal, ob die Person tatsächlich eine Straftat begangen hat (Siehe: Wegen Protest gegen AfD vor Gericht).
Durch dieses Handeln der Justiz wird der Beschuldigte gezwungen, sich Rechtsbeistand zu holen, und es führt meistens zu einem Prozess. Im Gerichtssaal wird in der Regel schnell klar, dass der Beschuldigte mit einer Strafe zu rechnen hat, da die Aussage eines oder mehrerer Polizisten als besonders glaubwürdig bewertet wird. Selten wird ein Verfahren eingestellt. Wenn doch, muss der Angeklagte auch ohne Urteil für die Kosten des Verfahrens und seines Anwalts aufkommen. Ein Freispruch ist fast so selten, wie bei schönstem Wetter von einem Blitz getroffen zu werden.
Schweigen bleibt Gold
Jeder Betroffene – sei es auf Demonstrationen oder wie an Silvester in Köln – sollte sich nach den Konsequenzen fragen. Was passiert mit den von den Behörden gesammelten Daten? Richtig ist, grundsätzlich keine Angaben und allenfalls über einen Anwalt zu machen. Man sollte nach einer Vernehmung oder Verhandlung überdies eine Anfrage an den Verfassungsschutz und weitere ermittelnde Behörden stellen und verlangen, dass die erhobenen und gespeicherten Daten gelöscht werden.
Meistens sind die Behörden dazu verpflichtet – aber nur, wenn die Löschung beantragt wurde. Jeder sollte sich auch fragen, welchen Einblick in seine Privatsphäre er den Behörden zugestehen möchte, ob er in Zukunft wie in einem Glaskasten leben will, wenn er keine Löschung beantragt.
Deutschland – ein Nichwillkommens-Land?
Fremde sind der benötigte Feind, um Gesetze zu verschärfen und zu etablieren. Schutzsuchende Menschen werden als Sündenböcke abgestempelt. Der Terrorismus entsteht vor allem aus fanatischem Glauben Einzelner, unabhängig von der Religion. Ich verabscheue und lehne dieses Tun aus vollem Herzen ab. Wenn die Justiz und die Politik weiter so mit BürgerInnen und Flüchtlingen umgehen, braucht sich aber niemand zu wundern, wenn Deutschland als Nichtwillkommens-Land wieder in die Geschichtsbücher eingeht mit dem Zusatz „Der Überwachungsstaat, der die Radikalisierung vorantreibt“.
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