Von Anne Hilger – Weilheim/Teck. Die NPD marschierte am 9. August 2015 zusammen mit den Jungen Nationaldemokraten (JN) und der Partei „Die Rechte“ im schwäbischen Weilheim/Teck auf. Zwei Journalisten der Beobachter News dokumentierten die Kundgebung und den Gegenprotest (siehe „NPD bleibt ohne Außenwirkung„). Bei ihrer Arbeit fühlten sie sich mehrfach massiv von der Polizei behindert. Der Tag hatte ein Nachspiel: Der Chefredakteur der Beobachter News muss eine Geldstrafe von 500 Euro bezahlen, weil er einen Beamten mit den Worten „Du Drecksack“ beleidigt haben soll. Er selbst und sein Kollege haben den Vorfall zwar anders in Erinnerung, aber drei nahezu gleichlautend aussagende Polizisten und ein Beamter der Versammlungsbehörde können ja wohl kaum irren. Ein Einspruch gegen den Strafbefehl schien Alfred Denzinger zwecklos.
Was den Chefredakteur der Beobachter News besonders empört: Im Zug des Verfahrens war der Ermittlungsakte zu entnehmen, dass ihn die Polizei als „Straftäter linksmotiviert“ führt. „Es gab nie eine Straftat. Ich war auch bis dahin nie angeklagt, geschweige denn verurteilt“, erklärt er. Er kann sich jetzt aber besser einen Reim darauf machen, weshalb einmal bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle auf dem Land ein junger Polizist mit der Hand an der Dienstwaffe zu ihm zurück ans Auto kam, nachdem er seine Daten im Polizei-Informationssystem überprüft hatte.
Außerdem wurde Denzinger bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 21. August 2013 in Schwäbisch Gmünd nicht eingelassen (siehe hierzu „„Angie-Show“ in Schwäbisch Gmünd„). Die willkürliche, allein auf eigenem Ermessen beruhende Einstufung der Polizei, gegen die man sich juristisch nicht wehren kann, hinderte ihn also an seiner Berufsausübung als Pressefotograf. Was Denzinger schon früher vermutet hatte, bestätigte nun die Akteneinsichtnahme im Zug des Vorfalls in Weilheim.
Soli-Konzert für die Beobachter News: Samstag, 25. Februar, 20 Uhr, Stuttgart
Journalismus kostet Geld – erst recht, wenn man sich mit der Staatsgewalt anlegt. Wir benötigen rund 5000 Euro, um die Geldstrafe zuzüglich Gerichtskosten abzufedern und zukünftig technisch noch besser dokumentieren zu können. Deshalb wird es am 25. Februar um 20 Uhr ein Soli-Konzert für die Beobachter News im selbstverwalteten Stadtteilzentrum Gasparitsch, Rotenbergstraße 125 in Stuttgart-Ost, geben. Wir freuen uns auf die Einheizfront und Eternal Struggle. Weitere Infos hierzu gibt es hier.
Keinerlei Straftat – dennoch in der Straftäter-Datei
„Es ist ein Skandal, dass die Polizei jemanden als Straftäter betiteln darf, der es nicht ist“, findet Denzinger. „Das ist eine Vorverurteilung und bezweckt eindeutig eine Kriminalisierung.“ Dass jemand allein wegen seiner politischen Überzeugung in einer Datei als Straftäter geführt werde, entspreche den Methoden einer politischen Polizei und habe mit seiner Auffassung von Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun.
Möglicherweise beabsichtigten Polizei und Genehmigungsbehörde, die Kundgebung der Rechten am 9. August 2015 in Weilheim soweit möglich unter dem Deckel zu halten. Die beiden Journalisten der Beobachter News – neben dem Chefredakteur ein weiterer Fotograf und beide mit mehreren Kameras ausgestattet – waren die einzigen Pressevertreter vor Ort. Sie fühlten sich von der Polizei erheblich bei ihrer Arbeit behindert.
Polizei gab trotz Rechtsanspruch keine Auskunft
Es begann damit, dass Denzinger bei einem Anruf bei der Polizei wenige Stunden vor der NPD-Versammlung keine Auskunft erhielt, wo die Neonazi-Kundgebung stattfinden sollte. Es sei zwar eine in Weilheim angemeldet, man wisse aber nicht wo.
Am frühen Nachmittag des 9. August in Weilheim der fast identische Vorgang: Die beiden Journalisten fragten die Besatzung eines Streifenwagens nach dem Kundgebungsort – und erhielten nahezu die gleiche Antwort: Sie wüssten, dass es eine Kundgebung gebe, aber nicht wo.
Nach dem Pressegesetz und entsprechender Rechtsprechung sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Die Beamten scheint das Gesetz aber nicht wirklich zu interessieren.
Keine Absperrungen am Kundgebungsort
Denzinger und sein Kollege trafen einige AntifaschistInnen auf der Wiese neben der örtlichen Flüchtlingsunterkunft an und machten sich dann auf den Weg in die Innenstadt. Sie entdeckten einen Platz mit Halteverbotsschildern und vermuteten, dass er als Kundgebungsort dienen werde. Es gab aber keine Absperrungen, weder mit Bändern noch mit Hamburger Gittern.
Schließlich wurden die Rechten – die beiden Journalisten zählten insgesamt 13 – in Polizeibegleitung auf den Platz geführt. Denzinger und sein Kollege sprachen vor Ort auch mit dem Weilheimer Bürgermeister Johannes Züfle. Offensichtlich hatten Polizei und Ordnungsamt die Strategie, die Presse im Vorfeld nicht über die bevorstehende Kundgebung zu informieren, um den Rechten kein Podium zu bieten.
Denzinger: „Wir waren klar als Pressevertreter erkennbar“
Dennoch waren etwa sechzig Nazi-GegnerInnen vor Ort, aber keine weiteren Journalisten. Die beiden Vertreter der Beobachter News fotografierten von vornherein. „Wir haben gegenüber dem Bürgermeister und auch sonst keinen Zweifel daran gelassen, dass wir von der Presse sind“, versichert Denzinger. Dennoch habe die Polizei immer wieder versucht, ihn und seinen Kollegen am Fotografieren zu hindern. Er hält es für eine Schutzbehauptung der Polizisten, sie nicht als Pressevertreter erkannt zu haben. Das gilt auch für den Vorwurf, er hätte eine Polizeisperre übertreten: „Es gab gar keine.“
Nach Ende der Kundgebung begleiteten Polizisten die rechten Aktivisten im Spalier zu ihren Fahrzeugen. Auch diese Szene dokumentierten die beiden BN-Vertreter. Es gab kleine Scharmützel. Die Nazi-GegnerInnen wollten möglichst nah an die Rechten herankommen. Die Polizisten, die sie abzuschirmen versuchten, wirkten sehr unerfahren, einige schienen Angst zu haben.
Polizist fasst ins Objektiv der Kamera
Als Denzinger sah, dass Polizisten mit einem Hund auf einige AntifaschistInnen zugingen und ihnen drohten, dokumentierte er auch dies. Ein Polizist versuchte, das zu verhindern, und griff direkt ins Objektiv der Kamera. Er forderte Denzinger auf, das Fotografieren einzustellen. Denzinger weigerte sich, da es keinerlei Rechtsgrundlage dafür gab. Es entspann sich eine heftige Diskussion. Ein weiterer Polizist sei dazugekommen und habe ihn sofort am Hals gepackt, erinnert sich Denzinger. Er wurde weggedrückt, dabei löste sich der Verschluss seines Ohrrings.
Der Beamte, der ihn am Hals gepackt hatte, ging weg. Er habe wohl gemerkt, dass er zu weit gegangen war, vermutet Denzinger, der nun laut wurde. Der Polizist, der ihn zuerst angegangen war und ins Objektiv seiner Kamera gefasst hatte, behauptete, er hätte ihn beleidigt. Als Denzinger erklärte, dass er doch gar nicht mit ihm gesprochen habe, sagte der Beamte, er müsse sich revidieren. Nun behauptete er, Denzinger hätte seinen Kollegen beleidigt – der allerdings schon weg war. Er selbst sei dafür Zeuge, sagte der Polizist und verlange seinen Ausweis, den er auch gezeigt bekam.
Polizisten sehen Recht am eigenen Bild verletzt
Nach Veröffentlichung unseres Artikels ging eine E-Mail des Polizeipräsidiums Reutlingen in der Redaktion ein. Es wurde gefordert, aus dem Bericht ein Video und ein Foto zu löschen, da sie gegen das Recht am eigenen Bild von Polizeibeamten verstießen. Nach unserer Auffassung und gängiger Rechtsprechung traf das nicht zu, da es sich nicht um Porträtaufnahmen handelte, sondern das Video und das Foto eine größere Gruppe rechter Aktivisten und Polizisten zeigten.
Um Entgegenkommen zu erweisen, nahmen wir dennoch ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung das Video aus dem Bericht heraus, hielten an dem Foto jedoch fest. Daraufhin kam erneut die Aufforderung der Polizei, das Bild zu löschen – nebst der Ankündigung, den Rechtsweg zu beschreiten.
Staatsanwalt verfolgt Vorwurf nicht weiter
Wir hätten eine juristische Klärung des Sachverhalts begrüßt, weil sie weitere Rechtssicherheit geschaffen hätte. Doch es kam nicht dazu. Die Ermittlungsbehörden verfolgten den Vorwurf, gegen das Recht der Polizisten am eigenen Bild verstoßen zu haben, nicht weiter.
Die Begründung: Die Beleidigung wiege so schwer, dass dieser Vorwurf nicht ins Gewicht falle. So wurde die Geldstrafe nur wegen Beleidigung verhängt. Sich gegen sie zu wehren, erschien Denzinger zwecklos. Gerichte stufen Polizeibeamte als Zeugen gemeinhin als besonders erinnerungsstark und glaubwürdig ein.
„Kein öffentliches Interesse“ an Verfolgung eines Neonazi-Übergriffs
Offenbar gilt ihr Ehrgefühl auch als besonders schutzwürdig – schutzwürdiger jedenfalls als das eines gewöhnlichen Journalisten. Als Alfred Denzinger am 11. Oktober 2015 bei einer „Demo für alle“ gegen den neuen baden-württembergischen Bildungsplan in Stuttgart unter den Augen der Polizei von Rechten bedroht und beleidigt wurde, wollten die Beamten davon nichts mitbekommen haben. Erst nach ausdrücklicher Aufforderung zeigten sie sich bereit, eine Anzeige aufzunehmen und die Identität des Haupttäters festzustellen. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch ein. Begründung: An der Verfolgung bestehe kein öffentliches Interesse.
„Ein Pressevertreter wird beim Dokumentieren einer Demonstration von Neonazis bedroht und beleidigt, und es gibt kein öffentliches Interesse, das zu verfolgen?“, wundert sich Denzinger. Seine Schlussfolgerung: „Es wird mit zweierlei Maß gemessen bei der Strafverfolgung. Und das ist politisch motiviert.“
Immer wieder Übergriffe auf Fotografen der Beobachter News
Ein Polizeiübergriff wie der in Weilheim auf unsere MitarbeiterInnen ist zwar nicht neu, aber im Ergebnis doch eine neue Eskalationsstufe. Unsere FotografInnen werden immer wieder bei ihrer Arbeit behindert und auch körperlich angegriffen. Es entsteht bei uns der Eindruck, dass nun mit Beleidigungsvorwürfen eine Einschüchterung stattfinden soll, da die bisherigen Maßnahmen ihr Ziel nicht erreicht haben. Hierzu erklärt Denzinger: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Nicht von Polizeibeamten, nicht von Staatsanwälten und auch nicht von Neonazis. Wir werden weiterhin Demonstrationen und sonstige politische Geschehnisse begleiten und dokumentieren. Man sieht sich… auf der Straße!“.
Folge uns!