
Kundgebung vor dem Landgericht – Quelle: Tom Adler / facebook
Von Meide Wolt – Stuttgart. Vor dem Landgericht Stuttgart wurde am Mittwoch, 19. Januar, der Rechtsstreit zwischen dem Bau- und Wohnungsverein (BWV) und den letzten verbleibenden MieterInnen dreier Gebäude in Botnang fortgesetzt. Die Vorsitzende Richterin machte den MieterInnen keine Aussichten, dass sie in ihren Wohnungen bleiben können. Der BWV versucht, die letzten zwei von insgesamt 48 Wohnungen in der Beethovenstraße mittels einer Räumungsklage leer zu bekommen, um dort abreißen und neu bauen können. Das Urteil soll am 1. Februar verkündet werden.
Vor Verhandlungsbeginn fand am Eingang des Gericht eine Kundgebung für den Erhalt der Gebäude in der Beethovenstraße statt. Von den Fraktionen aus dem Stuttgarter Gemeinderat war nur die Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS vertreten (siehe Video).
Nach Ansicht der MieterInnen aus Botnang sind die drei Gebäude in der Beethovenstraße in einem ausreichendem Zustand und könnten durch angemessene Instandhaltung weiterhin zu Kaltmieten um die 6 Euro vermietet werden. Der BWV, die aus Unternehmen wie der Daimler AG, der Robert Bosch GmbH und anderen besteht, will die Gebäude abreißen, neubauen und teurer vermieten – barrierefrei.
„Wir können uns barrierefrei in Stuttgart nicht leisten“, gab der Sohn einer betroffenen Mieterin vor Gericht an. Gemeint ist seine im Rollstuhl sitzende und demente Mutter, die in der Beethovenstraße wohnt. „Sie wird sich außerdem in keiner neuen Umgebung mehr zurechtfinden.“
Was gerecht ist, entscheidet der Profit

Symbolbild
Die Vorsitzende Richterin führte die Ansichten der BewohnerInnen über den Zustand der Gebäude auf deren Perspektive als MieterInnen zurück. Die MieterInnen hatten argumentiert, dass der massenhafte Kauf von Wohnungen und steigende Mieten ein allgemeines Problem seien.
Als Richterin sei sie neutral: „Da will jemand ein altes Gebäude abreißen und ein neues hinstellen und natürlich eine höhere Miete nehmen. Wird denn anders die wirtschaftliche Verwertbarkeit gehindert?“, fragte die Richterin die MieterInnen und beantwortet sich gleich selbst: „Das steht doch außer Frage!“
Das Bürgerliche Gesetzbuch ist das Gesetzbuch des Immobilienmarktes
Laut Bürgerlichem Gesetzbuch kann eine Wohnung gekündigt werden, wenn der Vermieter an einer „angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde“ (BGB §573 Abs. 2 Nr. 3). Selbstverständlich verhindert die Aussicht auf weniger Miete in alten Gebäuden, statt mehr Miete in neuen Gebäuden, immer die wirtschaftliche Verwertung. Ob das angemessen ist, wie es im Gesetz heißt, entscheiden dabei nicht die MieterInnen, sondern in diesem Fall die Daimler AG, die Robert Bosch GmbH u.a. der BWV.
„Es mag sein, dass das derzeit noch vermietbar ist, aber es ist im Eigentumsrecht verankert, dass der Vermieter in die Zukunft blicken kann“, so Richterin. Die Formulierung der Richterin klang wie eines der Firmenmottos der BWV: „Sozial ausgerichtet und wirtschaftlich stabil. Altes bewahren, die Zukunft im Blick“ [https://www.bwv-stuttgart.de/fileadmin/media/pdf/magazines/150_Jahre_Festschrift_digital.pdf, S.22]. Was Daimler und Co. in der Zukunft sehen, entscheidet also schon heute darüber, wer sich in Stuttgart etwa eine Wohnung leisten kann und wer gehen muss.
Unternehmen und Stadtverwaltung Schulter an Schulter

Quelle: Tom Adler / facebook
Zusätzlich stellte die Richterin noch heraus, dass außerdem die Stadt Stuttgart schon eine Baugenehmigung für das Gelände in der Beethovenstraße erteilt habe. Ob die Verantwortlichen der Stadt bei ihren Abwägungen über diese Genehmigung die Interessen der Investoren oder die Interessen der MieterInnen bevorzugt haben, dürfte wohl keine schwere Entscheidung gewesen sein. Zumal, wenn man berücksichtigt, dass zum BWV neben Daimler und Bosch noch die Landesbank Baden-Württemberg, die Wüttembergischen Versicherung AG, die Wüttenbergischen Lebensversicherung AG und ähnliche Mitglieder gehören. Hinzu kommen laut BWV noch „17 Mitglieder, bei denen es sich um natürliche Personen handelt“. Unter ihnen sollen auch Bürgermeister und ehemalige Bürgermeister von Stuttgart sein.
Die MieterInnen konnten sich vor Gericht über eine breite öffentliche Unterstützung und Solidarität aus verschiedenen Mieterinitiativen freuen. Alle 35 Sitzbänke des Saals waren belegt.
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