Von unseren Reportern – Reutlingen. Rund 300 DemonstrantInnen kamen am späten Freitagnachmittag, 27. Januar, auf den Reutlinger Marktplatz, um der Opfer des Holocaust zu gedenken und ein Zeichen gegen die AfD zu setzen. Zu der Kundgebung gegen einen Neujahresempfang der rechtspopulistischen, marktradikalen und in Teilen völkischen Partei im örtlichen Spitalhof hatte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA aufgerufen.
Am Protest beteiligten sich AnhängerInnen mehrerer Gewerkschaften und Parteien und andere BürgerInnen mit Transparenten, Schildern und Fahnen. Hauptredner der Kundgebung war der 1916 geborene Kommunist und Antifaschist Prof. Theodor Bergmann aus Stuttgart. Der kritische Agrarwissenschaftler betrachtet es als Provokation, das die AfD am Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 durch die Rote Armee ihren Neujahresempfang im Spitalhof in Reutlingen abhielt. „Umso lauter müssen wir protestieren und den geschichtsvergessenen Rechtsradikalen die Stirn bieten“, so der Professor.
Reutlingens VVN-Vorsitzender und Linken-Stadtrat Thomas Ziegler erinnerte an die schrecklichen Geschehnisse und die Verbrechen in Auschwitz. Er hob Persönlichkeiten wie Albert Fischer und Fritz Wandel hervor, die 1947 in der Region das antifaschistische Bündnis VVN gründeten. Ziegler dankte dem Reutlinger Jugendzentrum Zelle für die maßgebliche Organisation der Kundgebung. Die Zelle hatte nicht nur die Flyer erstellt, sondern kümmerte sich auch um den Aufbau des Podiums.
Kein Platz für faschistische Kräfte
Laut Jessica Tatti, Stadträtin und Bundestagskandidatin der Reutlinger Linken, stilisiert sich die AfD in ihrer Rede zur Partei des „kleinen Mannes“. Sie forderte eine wehrhafte Demokratie, die sich gegen jede Form von „Hetze, Militarismus und Rassismus wendet“. Die einzige Logik der AfD sei es, die Gesellschaft in Nationalitäten, Religionen, aber vor allem sozial zu Spalten. Die AfD schüre in den Gedanken, dass es geflüchtete Menschen seien, die den hier ansässigen Menschen irgendetwas wegnehmen würden, dass es der Islam sei, der sie bedrohe.
Den Missbrauch der Bevölkerung unterstreiche die AfD mit ihrer Hetze gegen Minderheiten. Antifaschismus heiße mehr, als gegen diese Partei hier zusammenzustehen, so die Stadträtin. Vielmehr müsse die Gesellschaft gemeinsam kämpfen – für mehr Führsorge des Sozialstaats, der im Risikofall für die BürgerInnen eintritt, für einen Staat, in dem alles Menschen gleiche Rechte haben, in dem kein Kind in Armut leben muss und alle sozial abgesichert seien. In einer solidarischen Gesellschaft habe das Gift faschistischer Kräfte keinen Platz und dürfe nicht weiterwirken.
Mauer gegen den Rechtsruck
Ein Mann der ersten Stunde der Gewerkschaftsbewegung, Harry Mischke, forderte in seinem flammenden Mahnruf mehr Solidarität ein. „Wir müssen in diesen Zeiten auch gegen jedes braune Gedankengut und den Rechtspopulismus vorgehen“, erklärte er. „Die Wahlerfolge der AfD zeigen, dass deren Demokratiefeindlichkeit in der Gesellschaft angekommen ist.“ Es gelte gegen das „menschenverachtende Weltbild der AfD anzukämpfen“, so der Appell von Mischke.
Nach Gesang und weiteren Redebeiträgen wurde die Kundgebung gegen 18.30 Uhr nach anderthalb Stunden beendet. AntifaschistInnen zogen anschließend geschlossen vor den Torbogen des Spitalhofes, der massiv mit Hamburger Gittern und einem Großaufgebot von Polizeibeamten gesichert wurde. Die Nazi-GegnerInnen erbauten eine symbolische Mauer aus Kartons mit dem aufgemalten Schriftzug „Gemeinsam gegen den Rechtsruck“ vor den Gittern am Spitalhof auf.
Im Saal sollen sich derweil rund 150 AfD-Sympathisanten versammelt haben. Auf Einladung des Reutlinger Kreisvorsitzenden Wolfram Hirt war der Polizist Michael Hess Hauptredner. Er soll über innere Sicherheit und die Ängste der Bevölkerung doziert haben. „30 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sollen heute ein Pfefferspray dabei haben“, so Hess. Hirt soll eingangs an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 72 Jahren erinnert und erklärt haben, „ich darf als Politiker da nicht schweigen“.
Vor dem Gebäude umschloss die Menschenmenge fast den gesamten Eingang des Torbogens. Die DemonstrantInnen sahen sich teils massiven Provokationen ankommender AfD-Anhänger ausgesetzt. Hierbei streckte ein AfD Anhänger den Arm zum Hitlergruß, worauf die Polizei zunächst nicht reagierte. Erst als die Menge protestierte und ihr Entsetzen äußerte, stellten die Beamten die Personalien des AfD-Anhängers fest. Die Polizei erklärte, das gegen den Mann ein Strafverfahren eingeleitet werde. Der Hitlergruß ist laut Paragraph 86a des Strafgesetzbuchs verboten und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werden.
Ein Polizist schlug mit seinem Ellbogen einem Demonstranten ins Gesicht. Offenbar war das für den Beamten die angemessene Reaktion auf die symbolische Blockade der AfD-GegnerInnen.
Mit Pferden gegen DemontrantInnen
Vereinzelt kam es später zu Rangeleien, worauf hin die Polizei einschritt. Nachdem die Lage sich schon entspannt hatte, drängten berittene Polizeibeamte ohne ersichtlichen Grund DemonstrantInnen vor dem Spitalhof ab, indem sie in die Menge ritten.
Polizei und Grundgesetz im Konflikt
Nach etwa einer halben Stunde formierten sich die AfD-GegnerInnen gegen 19 Uhr zu einer Demonstration. Hierbei gab es anfangs eine Durchsage der Polizei: „Die Demonstration ist genehmigt.“ Das zeigt entweder, dass sich die Beamten wenig mit dem Grundgesetz vertraut gemacht haben, nach dem alle Bürger das Recht haben, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Oder es spiegelt wider, dass die Beamten machen was sie sehr oft machen: ihr eigenes Ding.
Aus dem Grundgesetz geht klar hervor, dass eine Versammlung nur einer Anmeldung, jedoch keiner Genehmigung bedarf. Die Polizei täte gut daran, ihre Beamten im Einsatz gezielt zum Artikel 8 des Grundgesetzes nachzuschulen. Unbeeindruckt der Durchsage der Beamten nahmen sich die Demonstranten anschließend die Straße und zogen über die Wilhelmstraße weiter über die Eberhardstraße in Richtung Hauptbahnhof, wo sich die Demonstration auflöste.
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