Von unseren ReporterInnen – München. Trotz eines enormen Polizeiaufgebots blieb die Stimmung friedlich: Etwa 4000 Menschen protestierten am Samstag, 18. Februar, in München gegen die so genannte NATO-Sicherheitskonferenz. Aufgerufen hatte ein Aktionsbündnis von etwa 80 Organisationen. Prominenteste Redner waren Lisa Fitz, Eugen Drewermann und die Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dagdelen. Sie hätte sich gewünscht, dass gegen das in München angekündigte Aufrüstungsprogramm „nicht nur 4000, sondern 100 000 Menschen demonstrieren“. Um 30 Milliarden Euro höhere Militärausgaben im Jahr seien auch ein „Angriff auf den Sozialstaat“.
Nach der Auftaktkundgebung am Stachus bildete ein Teil der Versammelten eine Protestkette in der Fußgängerzone. Die meisten schlossen sich jedoch einer Demonstration durch die Innenstadt über den Lenbachplatz, den Odeonsplatz und die Residenzstraße zur Schlusskundgebung auf dem Marienplatz an.
Mit der Kuhlen Wampe und einem Feuerwehrauto
Angeführt wurde der Zug von Mitgliedern des Motorradclubs Kuhle Wampe mit rund einem Dutzend Maschinen und begleitet von einem betagten Feuerwehrauto. Es diente als Lautsprecherwagen und als Symbol dafür, dass weltweit Brände zu löschen sind. Allerdings verzögerte sich die Demonstration stark, weil die Polizei einen Bus mit Geflüchteten aus Nürnberg festhielt und die anderen TeilnehmerInnen nicht ohne sie weiterziehen mochten.
- „Anführertruppe“ Kuhle Wampe
- „Brandlöscher“ im Einsatz
Auch ein weiterer Zwischenfall ging auf das Konto der Polizei: In der Brienner Straße stellten sich Einsatzkräfte ohne erkennbaren Grund hinter dem Feuerwehrauto einem antikapitalistischen Block in den Weg. Mit massivem Druck versuchten die Polizisten, die Demonstrantinnen am Weiterlaufen zu hindern. Die Aktion ging offenbar von Polizeitruppen aus Niedersachsen aus. Ihre bayerischen Kollegen sollen verärgert gewesen sein, weil es keine entsprechende Absprache gab.
„Schon der Name ist ein Etikettenschwindel“
Die im Bayerischen Hof versammelten Spitzenpolitiker, Militärs und Rüstungslobbyisten, Teil der wirtschaftlichen und militärischen Machteliten, kümmerten sich „weder um die Sicherheit für die Menschen auf dem Globus, noch um die friedliche Lösung von Konflikten“´, hieß es schon im Aufruf Frieden statt Nato – Nein zum Krieg!. Allein der Begriff „Sicherheitskonferenz“ sei ein Etikettenschwindel. Denn versammelt hätten sich die Hauptverantwortlichen für die Kriege der NATO-Staaten, für die weltweite Armut und die „zunehmende Zahl von Flüchtlingen, denen die Existenzgrundlagen in ihren Heimatländern zerstört wurden“.
Statt um Sicherheit gehe es „um die weitere Existenz der Kriegsallianz NATO und um die weitere Aufrüstung Deutschlands und der EU“. In der Tat kündigten führende deutsche Politikerinnen wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine erhebliche Aufstockung des Rüstungsetats wie von US-Präsident Donald Trump gefordert an.
Der Kampf um Frieden ist international
„Sie ruinieren die Länder nicht nur mit Krieg, sondern auch mit Brot. Sie ruinieren die lokalen Märkte, so dass die Menschen zum Auswandern gezwungen sind“, sagte Wolfgang Blaschka als Moderator der Auftaktkundgebung am Stachus, wo eingangs „Sleepwalker Station“ und Sepp Raith gespielt hatten. „Die Brandstifter sind nicht wir, das sind die im Bayerischen Hof“, stellte er klar und bat im Namen des Aktionsbündnisses, auf Nationalfahnen zu verzichten.
„Bei uns haben Nationalisten, Rechtspopulisten und Antisemiten“ nichts zu suchen, betonte er. Der Kampf um Frieden sei dem Wesen nach international. „Weder Religion noch Nation noch sonstige Zugehörigkeit werden uns vom Kampf gegen die transnationalen Konzerne abhalten.“ „Nieder mit den Kriegstreibern. Schluss mit dem Krieg!“ schloss Blaschka die Begrüßung. Die Abgrenzung gegen Rechts war durchaus notwendig. Denn auch Querfront-Aktivisten hatten für Samstag eine Kundgebung angemeldet.
Klimaverbrecher und Fluchtverursacher
Im Vorjahr hatten Rechtspopulisten versucht, sich in die Demo des Aktionsbündnisses einzureihen. Dieses Mal sichteten wir nur Michael Stürzenberger, wie er am Stachus unter dem Schutz der Polizei linke und antifaschistische DemonstrantInnen abfilmte. Der Blogger war Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen und islamfeindlichen Kleinpartei „Die Freiheit“.
- Deutsche Polizisten schützen …
- … Michael Stürzenberger
Walter Listl sprach für das Aktionsbündnis. Im Bayerischen Hof seien „Waffendealer, Kriegsstrategen, Klimaverbrecher und Fluchtverursacher“ versammelt. Sie seien verantwortlich für Interventionskriege und weltweite Armut – die „eigentlichen Gefährder“. Der Trump-Effekt führe allerdings dazu, dass die USA auch „den größten Protesttag ihrer Geschichte“ erlebten.
Inzwischen ist Deutschland ein Abschiebeland
Der Protest gegen die NATO-„Sicherheitskonferenz“ verstehe sich als Teil eines weltweiten Antikriegsbündnisses, richte sich aber vor allem gegen die Aufrüstungs- und Kriegspolitik der Bundesregierung. Donald Trump diene ihr „als Vorwand, als Brandbeschleuniger ihrer eigenen Militarisierungspläne“. Listl führte die „Mobilmachung gegen Russland“ an: „Stehen russische Truppen an den US-Grenzen in Mexiko oder Kanada?“ Oder ist es so, dass NATO-Truppen an der russischen Grenze stehen?“
Narges Nasimi sprach für „Refugee Struggle for Freedom”. Die Zeit der Willkommenskultur sei längst vorbei. Deutschland sei zum Abschiebeland geworden, klagte sie. Die Zahl der Toten auf der Flucht steige, und die Bundesregierung paktiere mit Diktatoren. Die Balkanländer hätten ihre Grenzen abgeriegelt, Europa „schon längst die Mauer von Donald Trump gebaut“. Nasimi forderte ein Recht auf Arbeit, freies Wohnen und Bildung für alle Flüchtlinge. Die Abschiebungen müssten sofort gestoppt, alle entsprechenden Abkommen gekündigt werden. Der Redebeitrag kann hier nachgelesen werden.
Von Hämmern und Nägeln
Viel beachtet war die Ansprache der Kabarettistin Lisa Fitz. Frieden sei keinesfalls selbstverständlich. Es gebe „Konzerne, Gruppen und Menschen, die von Kriegen so unvorstellbar profitieren, dass sie sie schüren“, sagte sie. Man frage sich, wie Kriege entstünden – und finde gelegentlich etwas im Internet, „das einem das naive Hirn durchbläst“. So habe der Vier-Sterne-Natogeneral Wesley Clark 2007 erklärt, wie es zum Irak-Krieg kam, obwohl Sadam Hussein mit den Terroranschlägen vom 11. September nichts zu tun hatte.
„Wenn das einzige Werkzeug, das du hast, ein Hammer ist, dann muss jedes Problem ein Nagel sein“, sagte er. Das US-Verteidigungsministerium habe schließlich beschlossen, sieben Länder innerhalb von fünf Jahren anzugreifen und zu zerstören: erst den Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, den Sudan und den Iran.
Lisa Fitz: „Wir müssen die Hintergründe selbst aufdecken“
All das könne man nachlesen. „Für mich heißt das: Wir können und dürfen uns nicht auf Politiker und Medien verlassen. Wir müssen Hintergründe selbst aufdecken.“ Auch über den Syrienkonflikt sei inzwischen bekannt, dass der Aufstieg des IS eine absichtsvolle Entscheidung der US-Regierung gewesen sei. Den Regime-Change in der Ukraine habe die US-Regierung mit 5 Milliarden US-Dollar erkauft.
Der Irakkrieg sei mit einer Propagandalüge gerechtfertigt worden. Das Land liege heute in Trümmern, es gab Millionen Tote. „Wir müssen diesen Kriegsprofiteuren und ihren Handlangern immer und immer wieder die Rote Karte zeigen!“, forderte Fitz. Als „persönliche Bitte“ fügte sie an, zusammenzuhalten und sich „nicht in sinnlosen Meinungsschlachten klein spalten“ zu lassen.
Die „Münchner Ruhestörer“ trommelten
Die Demonstration wurde nicht nur von zum Teil auffallend aggressiven Uniformierten mit Helm begleitet, sondern auch von bemerkenswert vielen Zivilpolizisten. Vertreter der Polizeigewerkschaft verpflegten entlang der Strecke ihre Kollegen. Sprecher des Aktionsbündnisses forderten vom Lautsprecherwagen aus die DemonstrantInnen immer wieder dazu auf, sich von der Polizei nicht provozieren zu lassen – aber auch die Beamten, sich friedlich zu verhalten.
Kurz vor dem Ziel stieß die sichtlich gut gelaunte Trommelgruppe „Münchner Ruhestörer“ zu dem Demozug. Sie hatte zuvor die Protestkette begleitet. Vor der Bühne auf dem Marienplatz, wo Claus Schreer moderierte, waren symbolisch Mülltonnen aufgebaut, um den Slogan „NATO in die Tonne“ zu illustrieren. Als erster Redner sprach der Theologe Eugen Drewermann. „Wir bekämpfen im Irak keine Terroristen, wir sind selbst Terroristen“, zitierte er den amerikanischen Deserteur Joshua Key.
- Trommelgruppe „Münchner Ruhestörer“
- Claus Schreer
„Töten von Menschen ist kein normaler Zivilberuf“
Kriege seien niemals human. Sie seien Morden auf Befehl und mit hochtechnisierten Waffen, betonte Drewermann. „Das Töten von Menschen ist niemals ein normaler Zivilberuf. Soldaten sind Mörder“, hielt er Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen entgegen: „Mord bleibt Mord. Das Töten von Menschen wird niemals Menschlichkeit.“
Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken, kritisierte die zunehmende Unterdrückung Oppositioneller in der Türkei. Während „eine Verhaftungswelle die nächste jagt“ und am 16. April das Referendum über die Präsidialverfassung bevorstehe, habe Bundeskanzlerin Angela Merkel die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Türkei sogar noch intensiviert.
„Das diplomatische Lakaientum muss aufhören“
Nach ihrem jüngsten Besuch in der Türkei hätten beide Regierungen erklärt, gemeinsam den Terrorismus bekämpfen zu wollen – „wohl wissend, dass Erdogan darunter nur eines versteht: den Kampf gegen Demokraten, Journalisten und kurdische Abgeordnete“. Es handle sich um eine „monströse, ungeheuerliche, schändliche Art von Kumpanei mit der türkischen Regierung, es ist schlicht ein Verbrechen.“
Erdogan fühle sich immer mehr ermutigt zur Repression. Die Türkei sei im vergangenen Jahr von Platz 25 auf Platz 8 der deutschen Rüstungsexporte aufgestiegen. Mit ihren Besuchen kurz vor dem Referendum wie schon kurz vor der jüngsten Wahl stehe „die Bundeskanzlerin höchstpersönlich für eine einmalige diplomatische Aufwertung“ des Despoten Erdogan, warf Dagdelen Merkel vor: „Wir wollen, dass dieses diplomatische Lakaientum aus dunkelstem Interesse heraus aufhört.“
Pakt mit Erdogan gefährdet Sicherheit auch in Deutschland
Die Abgeordnete kritisierte auch, dass Angela Merkel am Rand der Münchner „Sicherheitskonferenz“ „den „Ministerpräsidenten als besten Gehilfen des türkischen Terrorpaten“ getroffen hat: „Was gibt es zu besprechen, während in türkischen Gefängnissen munter gefoltert wird und deutsche Journalisten inhaftiert werden?“
Auch hätte die Bundesregierung Binali Yildirims Auftritt in Oberhausen verhindern müssen. „Dieser Pakt gefährdet auch die Sicherheit hier im Land“, warnte Dagdelen. Er signalisiere „den Spitzeln und Schergen Erdogans in Deutschland, dass sie nichts zu befürchten haben“. Da sei es nur ein Witz und eine Verhöhnung der Opfer, wenn Ursula von der Leyen betonte, Folter gehöre „nicht in den Wertekanon der NATO“.
Höhere Militärausgaben schwächen den Sozialstaat
Sevim Dagdelen sprach ein weiteres Thema an: die angekündigte Aufrüstung. „Merkel und von der Leyen nehmen Trumps Forderungen gerne auf“, sagte sie. In diesem Jahr werde der Rüstungsetat um 8 Prozent steigen. Langfristig sollten zwei Prozent des Wirtschaftsvolumens für Militär ausgegeben werden. Das seien 63 Milliarden Euro im Jahr. „Wir dürfen sie nicht durchkommen lassen. Wir müssen diesen Kriegstreibern in den Arm fallen“, appellierte sie an ihre ZuhörerInnen.
Es gehe den im Bayerischen Hof Versammelten darum, die Eskalation gegenüber Russland voranzutreiben. Es gehe aber auch um einen „frontalen Angriff auf den Sozialstaat“. Wer 30 Milliarden Euro mehr im Jahr für Rüstung ausgeben will, müsse sagen, wo dieses Geld hergeschafft werden soll, während Schulen, Krankenhäuser oder Schwimmbäder verkommen und geschlossen werden. Es sei unerträglich, dass es immer heiße, es sei nicht genug Geld da. Für Militärausgaben gelte das jedoch offenbar nicht. „Wir wollen soziale Sicherheit und eine friedliche Außenpolitik“, rief Dagdelen aus.
Die Rede von Sevim Dagdelen kann hier nachgelesen werden.
Brecht und Schiller über den Krieg
Viele TeilnehmerInnen brachen schon während der Kundgebung auf – sei es, weil sie einen Zug oder Bus erreichen mussten, oder sei es, weil es allmählich empfindlich kalt wurde. Zum Schluss gab es noch viel Applaus für das Musikprogramm. Ludo Vici & Friends präsentierten ein Antikriegs-Poem, bei dem die Herren Friedrich Schiller, Bertolt Brecht, Erich Kästner und Georg Büchner zu Wort kamen. „Perquist Melancholia“ rappten, und Mattia Caroli & Fiori del Male, eine Band aus Italien, spielte. Im Vorprogramm war die Politrockband „de Ruam“ aufgetreten.
- Perquist Melancholia
- Ludo Vici & Friends
Unter dem Motto „Wir kommen wieder“ wurde bereits eine Demo gegen die SIKO 2018 angemeldet. Die Informationsstelle Militarisierung hat eine Analyse der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz erstellt.
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