UPDATE 2. März, 14.30 Uhr:
EILMELDUNG: Die Stadt Gaggenau hat den geplanten Auftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag in ihrer Festhalle abgesagt. Das teilte das Rathaus der baden-württembergischen Gemeinde mit. Nach uns vorliegenden Informationen versucht der Veranstalter eine Ausweichörtlichkeit zu finden.
Gaggenau. Während sich der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel und viele seiner Kollegen in der Türkei aus politischen Gründen in Haft befinden, kommt der türkische Justizminister Bekir Bozdag am Donnerstag, 2. März, zum Wahlkampf ins baden-württembergische Gaggenau und wirbt öffentlich für die Abschaffung der Demokratie. Laut Medienberichten bereitet sich die Polizei auf die Veranstaltung vor. Mit Protest gegen den Auftritt Bozdag ist ab 18 Uhr zu rechnen. Siehe dazu auch unten den Kommentar von Ferry Ungar.
Die Abstimmung über das Referendum in der Türkei ist für den 16. April geplant. In Deutschland leben rund 1,4 Millionen wahlberechtigte TürkInnen. Damit ist Deutschland der viertgrößte türkische Wahlbezirk.
Nach einer Meldung der Stuttgarter Nachrichten will die baden-württembergische Landesregierung keine Kenntnis von der Veranstaltung gehabt haben. Wenn es überhaupt eine Einflussmöglichkeit gegeben hätte, dann läge diese bei der Bundesregierung. Der Sprecher der Landesregierung soll erklärt haben: „Ich wüsste nicht, wie und was wir verhindern könnten.“ Dies würde aber nichts an aller Skepsis und Kritik an der Regierung Erdogans und der Inhaftierung des Journalisten Yücel ändern. Dem Journalisten der „Welt“ werden Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen.
Die Huffington Post meldete heute: „Merkel wird sich heute dazu nicht äußern. Sie trifft sich mit einem anderen Despoten: mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi. Sie will die Möglichkeit eines weiteren Flüchtlingsabkommens ausloten.“
Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte gestern, „die Bundeskanzlerin und die gesamte Bundesregierung erwarten, dass Deniz Yücel so schnell wie möglich wieder auf freien Fuß kommt. Wir bedauern sehr und wir halten es für eine unverständliche Entscheidung, dass gegen Deniz Yücel Untersuchungshaft verhängt wurde.“
Der türkische Justizminister Bozdag verwies am Mittwoch, 1. März, auf die Unabhängigkeit der Gerichte. „Die Türkei ist ein demokratischer Rechtsstaat“, sagte er. Anzufügen ist, dass Erdogan seine Säuberungswellen längst auf die Justiz ausgedehnt hat und viele Richter aus dem Dienst entfernt wurden.
Bundespräsident Joachim Gauck erklärte am 28. Februar gegenüber ausländischen Korrespondenten: „Was derzeit in der Türkei passiert, weckt erhebliche Zweifel, ob die Türkei ein Rechtsstaat bleiben will. Das sollte sie aber tun, wenn sie eine lebendige Demokratie sein will.“
Die Stuttgarter Zeitung berichtet heute, dass der Deutsche Anwaltverein sich gegen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland ausgesprochen habe: „Es ist nicht hinnehmbar, dass der türkische Justizminister in der Bundesrepublik Wahlkampf für Erdogan macht und gleichzeitig Anwälte, Richter und Journalisten in Gefängnissen sitzen, ohne dass rechtsstaatliche Mindeststandards gewährleistet sind“, sagte Verbandspräsident Ulrich Schellenberg am Donnerstag in Berlin.
Erdogan-Werbeshow in Gaggenau verhindern
Zum heutigen Auftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag im baden-württembergischen Gaggenau erklärt Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linken und Spitzenkandidat zur Bundestagswahl für Baden-Württemberg:
„Der türkische Despot führt die Bundesregierung am Nasenring durch die Manege. Nur fünf Tage nachdem der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim unter parteiübergreifenden Protesten in Oberhausen für das umstrittene Referendum in der Türkei warb, kommt nun mit dem türkischen Justizminister Bozdag das nächste Regierungsmitglied, um für die Allmachtsphantasien des türkischen Despoten Erdogan auf Stimmenfang zu gehen.
Die schwarz-grüne Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die nächste Werbeshow für Erdogan nicht stattfindet. Die Bundesregierung muss unmissverständlich klar machen, dass in Deutschland nicht Stimmung für die Einrichtung einer Diktatur gemacht werden darf. Bozdag hat sich jede Kritik an der Inhaftierung des deutsch-türkischen WELT-Korrespondeten Deniz Yücel verbeten. Die Türkei sei ein demokratischer Rechtsstaat. Diese Aussagen sind angesichts der Tausenden Opfer der Willkür Erdogans, der die Säuberungen des Staatsapparats, den Krieg gegen die eigene Bevölkerung und die Aushebelung der politischen Opposition, der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit mit unverminderter Härte fortsetzt, dreister Zynismus.“
Proteste ab 18 Uhr zu erwarten
Der Auftritt von Justizminister Bozdag soll in der Festhalle Bad Rotenfels, Hubstraße 15, 76571 Gaggenau, stattfinden. Aus linksgerichteten Kreisen ist zu vernehmen, dass Proteste dagegen in Vorbereitung sind.
Video: DIE LINKE. Landesverband Baden-Württemberg
Hierzu ein Kommentar von Ferry Ungar:
Maulhelden und Wegbereiter eines türkischen Faschismus
Ein türkischer Justizminister kommt nach Deutschland, um hier Werbung für die Errichtung einer Diktatur zu machen. Bundes- und Landesregierung sehen keine Möglichkeit, dies zu verhindern. Ein scheidender Bundespräsident labert von „Zweifel“ und darüber, was die Türkei tun sollte. Die Polizei „bereitet sich vor“, um einer Propagandashow für den Faschismus den Weg freizuprügeln.
Ja geht’s noch? So machen sich deutsche Politikerinnen, Politiker und die Polizei zu Wegbereitern einer Diktatur. Wie erbärmlich, wie niederträchtig, wie unwürdig, wie undemokratisch!
Es bleibt nur zu hoffen, dass es heute in Gaggenau massive Proteste gegen den Auftritt der Propagandafigur Bozdag geben wird. Gerade die deutsche Geschichte hat gezeigt, wo es hinführt, wenn man nicht rechtzeitig gegen faschistische Entwicklungen einschreitet.
Man sieht sich… auf der Straße!
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