Von Gül Güzel – Stuttgart. Der Korrespondent der Welt Deniz Yücel kam zwei Wochen nach seiner Festnahme in der Türkei – er hatte sich selbst gestellt – in Untersuchungshaft. Dagegen protestierten am Freitag, 3. März, über 200 Menschen In Stuttgart am Kerner Platz vor dem Türkischen Generalkonsulat.
Zu der Kundgebung hatten die Stuttgarter AnStifter um Peter Grohmann und DIDF Stuttgart aufgerufen. Unter den TeilnehmerInnen waren die Landtagsabgeordnete der Grünen Brigitte Lösch, Vertreter der Linken, von Verdi Baden-Württemberg, des kurdischen demokratischen Gesellschaftszentrums Nav-Dem Stuttgart, der Plattform Stuttgart NEIN, der Stuttgarter MLPD und alevitische Vertreter als Unterstützer.
In Reden und Parolen wurde von der türkischen Justiz gefordert, Deniz Yücel freizulassen. Gleichzeitig sprach Recep Tayyip Erdogan in die Türkei und behauptete, dass Yücel Deutscher Agent und PKK Aktivist sei.
Terror-Vorwürfe gegen Yücel absurd
Peter Grohmann forderte im Namen der AnStifter die Freilassung Yücels (siehe unten seine Rede im Wortlaut). Die gegen Deniz Yücel erhobenen Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung seien „zusammengeschustert, absurd und paranoid“.
Sidar Carman und Murat Gül stellten die aktuelle Situation in die Türkei dar. „Erdogan bezeichnet jeden Oppositionellen als Terrorist und lässt ihn verhaften. Pressefreiheit und Meinungsfreiheit wird vom türkischen Staat mit Füßen getreten“, erklärten sie. Zu Zeit sind nach Angaben des Journalisten Verbands 158 JournalistInnen im Gefängnis. Die türkische Regierung übt seit den Wahlen 2015 Repressionen gegen kurdische Städte und ihre Bevölkerung aus. Es herrscht immer noch Ausnahmezustand.
Yücel als erster deutscher Journalist in der Türkei in Haft
Deniz Yücel besitzt sowohl die Deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Er ist damit der erste deutsche Korrespondent, der seit der Regierungsübernahme der AKP 2002 in Untersuchungshaft kommt. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nichts weiter zu sagen, als dass die „Untersuchungshaft unverhältnismäßig hart“ sei, kritisierten die Redner. Es könne nicht sein, dass die Türkei zu einem Gefängnisstaat für Journalisten und Opposition wird, und gleichzeitig türkische Minister in Deutschland Werbung für das Referendum machen will, das Erdogan eine bislang ungekannte Machtfülle übertragen soll.
„Frau Merkel, ja, es ist unverhältnismäßig hart, dass dutzende regierungskritischen Journalisten in der Türkei in Haft sind, dass die Pressefreiheit und Demokratie sich in die Türkei komplett auflösen, dass der türkische Ministerpräsident in Deutschland Werbung für die Todesstrafe machen darf und er die Türkeistämmigen hier in Deutschland gegeneinander aufstacheln kann und Sie weiterhin ihren Kuschelkurs mit dem türkischen Regime fortführen“, so die Position der DIDF: „Wir rufen alle dazu auf, lasst uns gemeinsam die Presse – Meinungsfreiheit verteidigen und uns an den Protestaktionen für die Freilassung aller inhaftierten Journalisten in der Türkei beteiligen. Es lebe internationaler Solidarität!“
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Kleine Rede von Peter Grohmann für Deniz Yücel bei der Protestkundgebung der AnStifter am 3. März 2017 auf dem Kernerplatz Stuttgart
LEBEN
Leben
einzeln und frei
wie ein Baum
und brüderlich
wie ein Wald
ist unsere Sehnsucht.
Yasamak
Bir agaç gibi
Tek ve hür
Ve bir orman gibi
kardesçesine
bu hasret bizim
(Nâzim Hikmet)
Das Bürgerprojekt Die AnStifter fordert die türkische Justiz auf, Deniz Yücel und alle anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten sofort freizulassen. Dass ein Mensch monate- oder gar jahrelang in Untersuchungshaft einem ungewissen Schicksal entgegensehen muss, nur weil er seine Arbeit ernstgenommen hat, ist nicht akzeptabel. Und im aktuellen Fall sind die gegen Deniz Yücel erhobenen Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung zusammengeschustert, absurd und paranoid.
Die Türkei steht auf Platz 151 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit. Momentan sind dort rund 150 Journalisten im Gefängnis, ungefähr ein Drittel im Zusammenhang mit ihrer Arbeit als Autorinnen und Autoren, ganz zu schweigen von jenen Zehntausenden, die verfolgt und gedemütigt werden, ganz zu schweigen von Folter und Haft, ganz zu schweigen vom Verlust der wirtschaftlichen Existenz, von Berufsverboten,
willkürlichen Entlassungen, Polizeischikanen. Das trifft Menschen aus allen Schichten, aus allen Landesteilen, mit unterschiedlichsten Überzeugungen. Immer sind die Vorwürfe ähnlich, Terrorverdacht, Unterstützung militanter Gruppen, eine feindselige Haltung gegen den Türkischen Staat und die „Sultane“, Beteiligung am sogenannten Puschder Gülen-Bewegung, In weit mehr Fällen werden die Verfolgten und Inhaftierten aber nicht einmal darüber informiert, was ihnen vorgeworfen wird – Anwälte erhalten keine Akteneinsicht, Angehörige sind vom Kontakt vielfach ausgeschlossen.
Dass sich aktuell Deniz Yücel als Korrespondent einer großen ausländischen Redaktion gegen solche absurden Anschuldigungen wehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen von Journalisten hinausgeht. Allein nach dem Putschversuch im Sommer 2016 wurden weit über 100 Journalisten verhaftet, rund 150 Medienhäuser geschlossen, darunter etwa 30 Verlage, die zusätzlich enteignet wurden.
Mehr als 700 Presseausweise wurden annulliert. Es ist für das Bürgerrecht auf freie Information eine Katastrophe, dass kritische Journalisten unter Generalverdacht gestellt werden. Die wenig noch verbliebenden unabhängigen Medien arbeiten in ständiger Angst. Wiederholt wurde ausländische Journalisten die Akkreditierung verweigert oder die Einreise verwehrt. Daneben ersticken die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen vieler wichtiger Medienbesitzer eine kritische Berichterstattung im Keim.
Von der deutschen Bundesregierung verlangen wir nachdrücklich ein entschiedenes Eintreten für Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Deutschland muss sich konsequent für die sofortige Freilassung festgesetzter und inhaftierter Autorinnen und Autoren, Journalistinnen und Journalisten wie den deutsch-türkischen Korrespondenten Deniz Yücel einsetzen.
Die mangelnde Unabhängigkeit der türkischen Justiz sowie eine Reihe von pressefeindlichen Gesetzen sind die wesentlichen Ursachen für die schwierige Lage der Medienfreiheit in der Türkei. Der Diensteifer der Justiz richte sich eher auf die Verfolgung als auf die Verteidigung von Journalisten.
Wir wissen: Nicht nur in der Türkei wird die Meinungsfreiheit mit Füßen getreten, nicht nur in der Türkei wird die Demokratie demontiert. Aber hier und heute geht es uns in erster Linie um die Türkei, um Deniz Yücel als Beispiel und Indiz für einen Obrigkeitsstaat, für Willkür und Unterdrückung.
Die Freiheit des Wortes ist ein Menschenrecht, ist nicht verhandelbar. Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit sind die Grundlage einer freien und demokratischen Gesellschaft. Wer jetzt nicht klar und deutlich Position bezieht, macht sich zum Handlanger der Repression. Hier darf es keine faulen Kompromisse geben. Wo auch immer die Meinungsfreiheit angegriffen und derart massiv eingeschränkt wird, muss die Bundesregierung ihre Politik gegenüber solchen Ländern überprüfen.
NAZIM HIKMET
Heute ist Sonntag
Heute haben sie mich das erste Mal in die Sonne hinausgelassen.
Ich bin das erste mal in meinem Leben
so sehr verwundert darüber, dass der Himmel so sehr weit weg von mir ist , so sehr blau ist so sehr großflächig ist
Ohne mich zu rühren stand ich da.
Danach setze ich mich mit Ehrfurcht auf die Erde, meinen Rücken lehnte ich an die Wand.
In diesem Moment dachte ich weder an das Fallen der Wellen, noch an Streit, noch Freiheit, noch an meine Frau.
Die Erde, die Sonne und ich… Ich bin überglücklich…
Ich wünsche Ihnen und uns diesen Sonntag, von dem Nazim Hikmet spricht: Dass wir den Rücken an die Wand lehnen können ohne Angst, abgeholt zu werden wie Deniz Yücel,eingesperrt und isoliert, dass unsere Himmel blau und blau sind, dass wir unterwegs sind, gemeinsam und brüderlich wie ein Wald, für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit überall auf dieser Erde, gegen Terror und Unterdrückung, gegen Krieg und Ausbeutung, gegen Gewalt!
Ich wünsche uns allen, dass wir unterwegs bleiben, unterwegs für die Menschenrechte, und für alle, die getreten und erniedrigt, verfolgt und gepeinigt werden!
Freiheit für Deniz Yücel!
3.3.17
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