Von Meide Wolt – Stuttgart. Das Amtsgericht Cannstatt verurteilte am Mittwoch, 8. März, einen Pfleger zu einer Geldstrafe von 5400 Euro. Er hatte in einem Festzelt auf dem Cannstatter Wasen beim Frühjahrsfest 2016 eine Frau gepackt und ihr ins Dekolleté an den Busen gefasst. Das Gericht wertete den sexuellen Übergriff nur als Beleidigung und Körperverletzung.
Die Betroffene hatte sich mit Freundinnen im Festzelt „Göckelesmaier“ an der Bar unterhalten, als der junge Mann, gekleidet in einem Netz-Shirt, sie überraschend von der Seite angriff. Die betroffene Frau erlitt bei dem Übergriff Hautabschürfungen und Kratzer an der Brust.
Die 23 Jahre alte Frau sagte vor Gericht aus, dass sie sich aus dem Griff losreißen wollte, es aber zunächst nicht geschafft habe. Der Mann hatte sie zunächst mit dem linken Arm von der Seite um den Hals bis zur anderen Schulter gepackt und sie zu sich gezogen. Dabei drückte er mit seinem Unterarm gegen ihren Kehlkopf. Kurz darauf steckte er seine linke Hand tief in das Dekolleté ihres Dirndls und ergriff ihren rechten Busen. Die Betroffene konnte sich danach durch einen Kraftakt befreien.
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Richterin erkannte keine sexuelle Nötigung
Der Angeklagte wurde wegen Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuchs und wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 5400 Euro verurteilt. Die Richterin am Amtsgericht Stuttgart wertete den Übergriff ausdrücklich nicht als sexuelle Nötigung. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass es sich um eine überraschende Handlung gehandelt habe. Der Tatbestand einer sexuellen Nötigung wäre nach § 177 Abs. 1 nur dann erfüllt, wenn eine sexuelle Handlung gegen den Willen der betroffenen Person vorgenommen wurde.
Weil der Übergriff in dem Festzelt für die Betroffene jedoch überraschend kam, blieb ihr keine Zeit, ihren Willen zu bekunden. Diesen Umstand nahm die Richterin zum Anlass, den Angeklagten wegen Beleidigung statt sexueller Nötigung zu verurteilen. Unklar blieb jedoch, warum sie nicht § 177 Abs. 2 Nr. 3 heranzog. Dieser Paragraph hätte einen solchen Tatbestand als sexuelle Handlung klassifiziert, wenn „der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt“ (StGB § 177).
Im Sinne des Angeklagten
Dem Angeklagten hätte mit § 177 eine Freiheitsstrafe gedroht. Sie hätte ihm, der vor Gericht glaubwürdig wirkend seine Reue bekundete, zwar sicher keine Lehre mehr sein können. Doch so trat im Verlauf der Verhandlung die allgemeine Verharmlosung sexueller Übergriffe gegenüber Frauen deutlich zutage.
Kurz vor der richterlichen Entscheidung hatten der Verteidiger, die Staatsanwältin und die Richterin während der Verhandlung darüber diskutiert, welcher Paragraph anzuwenden sei. Dabei drehte sich die Diskussion um die Anregung des Verteidigers, möglichst einen Paragraphen zu finden, der keinen Eintrag in das Führungszeugnis des Angeklagten zur Folge habe. Er bange als Pflegekraft um seinen Beruf.
Staatsanwältin: Keine Absicht, die Frau zu erniedrigen
So bezeichneten Richterin und Verteidiger den von der Zeugin als „einem Würgegriff ähnlich“ beschriebenen Arm um ihren Hals als „Umarmung“. Die Staatsanwältin sagte in ihrem Plädoyer über den Angeklagten: „Er hat ihr nicht an den Busen gefasst, um sie einer Erniedrigung auszusetzen“.
Die Betroffene hatte nach dem Übergriff im Festzelt-“Göckelsmaier“ den Sicherheitsdienst alarmiert und später bei der Polizei Anzeige erstattet. Der junge Mann hatte sich nach der Tat zurück an den Biertisch gesetzt.
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