Von unseren ReporterInnen – Pforzheim. Es war ein stürmischer Abend am Donnerstag, 23. Februar, in Pforzheim. Doch weder der starke Wind noch der Protest verhinderte, dass etwa 70 Neonazis den Jahrestag des Bombenabwurfs der Alliierten im Jahr 1945 auf die Stadt erneut missbrauchten, um auf dem Pforzheimer Wartberg strammzustehen. Als sie ihre Fackeln anzündeten, stob wegen des Windes Funkenregen. Vom Berg und vom Feld neben dem Aufmarschgelände knatterten Batterien von Feuerwerk: Zum Ärger der versammelten Anhänger des „dritten Wegs“, der Berserker und der NPD war es AntifaschistInnen gelungen, nahe an den Ort der „Mahnwache“ vorzudringen.
Allerdings waren etwa ein Drittel weniger Nazi-Gegnerinnen vor Ort als im Vorjahr. Die Polizei sprach von 180 Demonstrierenden, nach unserer Schätzung waren es etwa 300. Über das Stadtgebiet waren an dem Jahrestag etwa 900 BeamtInnen verteilt, die das Geschehen unter Kontrolle halten sollten. Auf dem Parkplatz vor dem Freibad auf dem Wartberg standen hinter Zäunen neben Polizeibussen ein Wasserwerfer und ein Räumfahrzeug bereit. Wie in den Vorjahren warteten auch Polizeihunde und eine Reiterstaffel auf ihren Einsatz. Ein Hubschrauber überflog das Gelände, das mit mehreren Reihen Hamburger Gittern gesichert war.
Auch der DGB hatte zu einer Demonstration aufgerufen
Die Protestierenden gegen die Fackelmahnwache passierten bewusst das martialische Polizeiaufgebot auf dem Parkplatz am Wartberg nicht. Dennoch drangen Nazi-Gegnerinnen dieses Mal weiter als in den Vorjahren zu den versammelten Fackelträgern vor. Dabei half ihnen eine Finte. Sie hatten ihren Demozug am Bahnhof gestartet, stießen dort auch auf die bürgerliche Demonstration, zu der der DGB aufgerufen hatte. Man grüßte sich freundlich – durchaus ein Zeichen, dass sich die Lager der Nazi-GegnerInnen aufzuweichen beginnen.
Die AntifaschistInnen unterbrachen ihren Weg vom Bahnhof zum Wartberg jedoch nicht wie in den Vorjahren zu einer Kundgebung vor dem Hotel Hasenmayer, sondern liefen ohne Verzögerung weiter, nachdem der Versammlungsleiter die Kundgebung für beendet erklärt hatte – und zwar nicht hoch entlang der Wartburgallee in Richtung Freibad, sondern parallel durch die Schauinslandstraße am Hang entlang und dann auf einer kleinen Stichstraße nach oben. Bis die Polizei darauf reagieren konnte, waren die Nazi-GegnerInnen von zwei Seiten dicht an die Fackelmahnwache herangerückt.
Fackelträger ärgern sich über Störung
Das Nachsehen hatten allerdings die Versorger aus Stuttgart. Sie hatten seit Stunden ihr Zelt gegen den starken Wind verteidigt, brachten dann aber die mitgebrachten Speisen und Heißgetränke kaum unter die Leute.
Die Anhänger des „Freundeskreises ein Herz für Deutschland“ ärgerten sich erkennbar über den antifaschistischen Protest. Es blieb ihnen aber nicht viel mehr, als wütend die Medienvertreter zu fotografieren, die von der Polizei aufs abgesperrte Gelände geführt worden waren. „Keine Provokationen“, mahnten die Beamten auch in diesem Jahr.
Polizei kesselt Nazi-GegnerInnen am Bahnhof ein
Für ihren Rückweg formierten die AntifaschistInnen eine Spontandemonstration. Sie verlief zunächst friedlich. Als der Zug vor dem Bahnhof anhielt, kam es jedoch zu für Beobachter unverständlichen Eingriffen der Polizei. Sie bildete einen Kessel. Einem Demonstrierenden wurde ins Gesicht geschlagen. Aus der zweiten Reihe eine Polizeikette heraus traten einzelne Beamte gegen die DemonstrantInnen am Fronttransparent. Auch einer unserer Fotografen wurde behindert, als er einen Verletzten fotografieren wollte.
Möglicherweise wollten die Beamten einen Demonstrierenden mit Motorradhelm herausgreifen. Nach Angaben eines von uns befragten Polizeisprechers vor Ort hätten die Einsatzkräfte wissen wollen, wie es weitergeht, um den Einsatz in Ruhe zu Ende zu bringen. Im Gespräch habe es Auseinandersetzungen gegeben.
Vier Personen vorläufig festgenommen
Im später veröffentlichten Polizeibericht heißt es, dass an dem Abend vier Personen vorläufig festgenommen worden seien. Zwei aus dem rechten Spektrum habe die Polizei schon bei der Anreise im Bahnhof wegen Verstößen gegen das Waffengesetz festgehalten. Ein Gegendemonstrant sei festgehalten worden, weil er Pyrotechnik abgebrannt haben soll, ein anderer wegen Beleidigung: Er soll einen Polizeibeamten angespuckt haben. Außerdem habe ein Angreifer einen Polizisten gegen das Knie getreten und ihn dienstunfähig gemacht.
Von den Nazi-GegnerInnen hätten sich einige vermummt und andere versucht, Polizeiabsperrungen zu überwinden. Im Bereich des Wartbergs seien Pyrobatterien abgebrannt und pyrotechnische Gegenstände in Richtung der Polizeibeamten geworfen worden. Das Antikonfliktteam der Polizei habe mehrmals dazu aufgefordert, solche Verstöße zu unterlassen. „Letztlich bewährte sich ein konsequentes Einschreiten der Einsatzkräfte, so dass weitere Ausschreitungen unterblieben“, lautete das Fazit der Polizei, die von einem eher ruhigen Abend sprach.
Polizei: „Lautstarkes und ungebührliches Verhalten“
Den Vorfall vor dem Bahnhof beschreibt der Polizeibericht so: „Aus einer Gruppe von etwa 150 Demonstranten des linken Lagers vor dem Bahnhof, von einem Antikonfliktteam bezüglich ihres lautstarken und ungebührlichen Verhaltens angesprochen, reagierten einige Personen aggressiv und gingen die Beamten körperlich an. Ein zu Hilfe hinzugekommener Einsatzbeamter erhielt von einem noch nicht ermittelten Angreifer einen Tritt gegen das Knie und wurde in der Folge dienstunfähig. Ansonsten waren im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen – soweit zur Stunde absehbar – keine Verletzten zu beklagen.“
Ohne Störungen seien dagegen die anderen, zum Teil schon am Nachmittag abgehaltenen Versammlungen verlaufen. Zunächst gab es eine offizielle Feier der Stadt Pforzheim auf dem Hauptfriedhof zum Gedenken an den Bombenabwurf mit etwa 300 TeilnehmerInnen. Ebenso viele waren am frühen Abend bei der städtischen Veranstaltung „Lichtermeer“ auf dem Marktplatz. An einer Versammlung und Demonstration „Friedensweg“ der evangelischen Kirche von der Brettener Straße zum Marktplatz beteiligten sich etwa 150 Menschen. Dem Aufruf des DGB zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz und Demonstration folgten nach Polizeiangaben etwa 100 Nazi-GegnerInnen.
OB Hager verurteilt „krude und menschenverachtende Ideologie“
Pforzheims OB Gert Hager hatte an dem Tag unterschiedslos an alle Opfer des Bombenabwurfs erinnert. „Die grauenhafte Vernichtungslogik eines von Nazi-Deutschland entfachten Krieges machte keinen Unterschied zwischen den Menschen – er traf alle und würde auch uns heute alle treffen“, stellte er klar. Man müsse wertschätzen, dass man sich seit dem Ende des 2.Weltkrieges in Deutschland in einer einmaligen Lage befinde „, sagte Hager. „Die Menschen in Aleppo oder in Mossul würden vieles dafür geben, um in Frieden leben zu können. Sie, deren Städte heute ebenso zerbombt werden wie es Pforzheim zum schrecklichen Schicksal geworden war, sie wollen nur eines: in Frieden leben.“
Den Neonazis auf demWartberg rief er zu: „Die dort stehen mit Fackeln an einem Tag wie heute – welch perfide Erinnerung an die Machtdemonstrationen der Nationalsozialisten – die dort oben stehen und in ihrer ewigen Engstirnigkeit eben nicht ein friedliches und freiheitliches Zusammenleben wollen. Sie missbrauchen unseren Gedenktag, ja – sie pervertieren ihn auf das Schändlichste. Sagen wir ihnen das, sagen wir ihnen, dass wir sie mit ihrer kruden und menschenverachtenden Ideologie eben nicht in unserer Stadt haben wollen.“
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!