Interview von Hüseyin Dogru – Manbij/Syrien. Weshalb kämpft eine Frau von 24 Jahren, Mutter zweier vier und fünf Jahre alter Kinder, gegen den IS? Das fragten wir Qamar aus dem syrischen Manbij. Sie führte vor dem Krieg ein ganz normales Leben. Als ihr Mann im Kampf gegen den IS fiel, schloss sie sich ebenfalls den Syrian Democratic Forces (SDF) an, um nicht selbst dem IS-Terror zum Opfer zu fallen und ihre Kinder zu schützen.
Was hast du vor dem Krieg gemacht und wie kam es dazu, dass du dich dem Kampf angeschlossen hast?
Mein Name ist Qamar. Ich bin 24 Jahre alt. Vor dem Krieg führte ich ein normales Leben und arbeitete an einem Kunstinstitut für Frauen. Zu Beginn der Krise lebte ich in Damaskus, im Sayda Zainab Distrikt. Als die Krise Sayda Zainab erreichte, verschlechterte sich die Lage, worauf wir in unsere Heimatstadt Manbij flüchten mussten. Nach einiger Zeit kam der IS Terror auch hier an, und sie übernahmen Manbij. Sie nahmen meinen Mann fest, weil er statt zu beten eine Zigarette geraucht hatte. Er saß ungefähr zehn Tage im Gefängnis.
Als er entlassen wurde, war sein Körper durch die Folter im Gefängnis entstellt. Das war der Grund, weshalb er sich der Syrian Democratic Forces (SDF) anschloss, um später gegen den IS zu kämpfen. Alles wegen einer Zigarette. Die Menschen hier gingen in die Moschee, nicht weil sie Angst vor Gott hatten, sondern weil sie Angst vor dem IS hatten. Trotz alledem sind wir Muslime. Der IS legt die Religion anders aus, das wiederum führte dazu, dass die Menschen den Glauben an Gott und an die Religion verloren.
Nach einer Weile gelang es uns, nach Aleppo zu fliehen, und wir ließen uns dann in Khan Touman nieder. In dieser Zeit schloss sich mein Mann der SDF an. Er war Mitglied der Jund Al-Harameen Einheit, mit denen er acht Monate zusammen war, bis er im Kampf gegen den IS als Märtyrer fiel. Danach machte sich der IS auf die Suche nach mir. Ich hatte nun weder einen Mann noch Brüder, nur zwei Kinder. Der einzige, der mich beschützt hatte, war mein Mann.
Der IS suchte nach mir und sagte, ich wäre die Frau eines Abtrünnigen und dürfe nicht zurück in meine Heimatstadt [Manbij]. Sie hatten vor, mich als Sabaya [Sexsklavin] mitzunehmen, da ich die Frau eines Abtrünnigen war und keinen Mann mehr hatte. Sie haben ein System, das sie Jihad Nukah [sexueller Jihad] nennen, welches ihnen das Recht zuspricht, eine Frau jeden Monat an einen anderen Mann weiter zu reichen [verheiraten].
Wieso hast du dich dem bewaffneten Kampf angeschlossen?
Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas tun musste. Ich musste mich beweisen. Ich musste mich selbst und meine Kinder beschützen. Daraufhin schloss ich mich den Einheiten der SDF an. Zuerst nahm ich als Zivilist an der Offensive in Manbij teil. Da ich die Straßen und Plätze gut kannte, habe ich die Einheiten durch die Stadt geführt. Nachdem Manbij befreit worden war, entschied ich, dass es genug für mich war. So beschloss ich, zurück in meine Heimatstadt zu gehen. Die Situation meiner Familie und meiner Kinder hatte sich nun verbessert. Die Stadt war besser, demokratischer.
Daraufhin kehrte ich zu meinem zivilen Leben zurück und fing an zu arbeiten, um meinen Kindern etwas bieten zu können. Nach einer Weile begannen die Menschen mir zu sagen, dass ich jung sei, und andere wiederum fingen an, Gerüchte über mich zu verbreiten. Mir wurde gesagt, es sei das Beste zu heiraten. Aufgrund dessen heiratete ich das zweite Mal. Er war mein Cousin.
Bevor wir heirateten, hatte ich ihm meine Bedingungen unmissverständlich dargelegt, meine Kinder nie zu verlassen. Ihr Vater ist im Kampf gefallen, und wenn ich sie nun verlassen sollte, wäre ihre Zukunft ruiniert. Solang ich am Leben bin, sollen sie nicht in ein Waisenhaus müssen. Ihr Onkel hatte sich auch nicht um sie gekümmert. Deswegen hatte er [mein Cousin] meine Bedingungen akzeptieren müssen.
Nach einer Woche Ehe fand ich heraus, dass mein Ehemann ein Drogensüchtiger ist und viel Alkohol konsumiert. Er wurde des Öfteren ohnmächtig und war schizophren. Er sagte, dass ich meine Kinder verlassen soll, und wurde immer grausamer zu mir. Er fügte mir unbeschreibliche Dinge zu. Ich konnte das weder mir noch meinen Kindern zumuten. Ich widersprach seinem Wunsch, verlangte die Scheidung und verließ ihn letztendlich.
Nun habe ich ein neues Leben mit meinen Kindern begonnen. Seit ich hier bin, habe ich mich der Asayish [Sicherheitskräfte] angeschlossen. Ich bin seit acht Monaten eine Asayish und wurde seit einem Monat dem Militärkrankenhaus zugewiesen. Ich habe mein Bestes gegeben, um an die Front zu gehen, statt hier in der Basis zu bleiben. Aber sie ließen mich nicht an die Front. Sie sagten, dass ich zwei Kinder hätte und es aufgrund dessen nicht möglich sei.
Daraufhin hatte ich mich an die Front geschlichen. Ich half, meine verwundete Genossen zu verarzten. Das tat ich bis zum Ende der Offensive. Als ich nichts mehr zu tun hatte, kehrte ich zurück zur Basis und warte seitdem auf die nächste Offensive, an der ich teilnehmen kann.
Wie war oder ist es, eine Mutter und zur selben Zeit eine Kämpferin zu sein?
Um ehrlich zu sein, war es etwas ganz Normales. Natürlich waren hier und da einige Schwierigkeiten. Das kann und werde ich auch nicht leugnen. Letztendlich bin ich eine Frau mit zwei Kindern. Manchmal konnte ich meine Kinder für eine lange Zeit nicht sehen. Auf der anderen Seite wiederum hatte ich mich dieser Sache verpflichtet. Ich möchte leben, und das möchten meine Kinder ebenso. Nach dem Krieg möchte ich mit meinen vier und fünf Jahre alten Kindern ein glückliches und zufriedenes Leben führen.
Siehe auch:
Husekizil.blogspot.de
Twitter: @hussedogru
Fotos: © Hüseyin Dogru
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