Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Die Polizei versuchte immer wieder zu zeigen, wer Herr auf Stuttgarts Straßen ist. Doch warum wurde nicht klar. Mehrfach stoppten die mit Helm und Einsatzmontur ausstaffierten Beamten die Revolutionäre 1. Mai-Demo. Sie ließen die zunächst 900, am Marienplatz noch 630 TeilnehmerInnen jedes Mal weiterziehen. Zuletzt blockierte die Polizei den Zugang zum Linken Zentrum Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach, wo ein Internationalistisches Fest gefeiert wurde. Nach einer Weile zog die Einsatzleitung auch dort die BeamtInnen ab.
Nach Polizeiangaben gab es während der Demonstration „einzelne Rangeleien“ zwischen TeilnehmerInnen und Einsatzkräften. Eine 22-jährige Polizeibeamtin habe von einem Unbekannten einen Schlag mit einem Holzstock in den Unterleib erhalten und sei verletzt worden. Die Demo-Sanitätsgruppe Südwest behandelte sechs TeilnehmerInnen, nachdem die Polizei Pfefferspray eingesetzt hatte.
Unterwegs wurde aus der Demo heraus Pyrotechnik gezündet. Rosa und weißer Rauch stiegen auf, einmal gab es einen lauten Donnerschlag. Alle Aktionen wurden von der Polizei gefilmt – in einem Fall so gewissenhaft, dass eine Beamtin vor lauter Konzentration beim Rückwärtsgehen mit ihrer Kamera gegen ein Straßenschild schlug.
DGB: 4000 TeilnehmerInnen bei der Gewerkschaftskundgebung
Die Polizei, nach eigenen Angaben mit mehreren hundert Einsatzkräften vor Ort, gab eine Zahl von 350 TeilnehmerInnen an der Revolutionären 1.Mai-Demonstration unter dem Motto „Let’s make capitalism history – Für die klassenlose Gesellschaft!“ an. An der Kundgebung des DGB Nordwürttemberg „Wir sind viele. Wir sind eins“ zuvor auf dem Marienplatz hätten sich 2500 Menschen beteiligt. Auf dem Marktplatz waren es nach Gewerkschaftsangaben 4000.
Hauptredner dort war Jörg Hofmann, der Landesvorsitzende der IG Metall. Außerdem sprachen Christina Bäuerle von der IG Metall-Jugend und Volker Mörbe von Verdi. Bis in den Nachmittag gab es trotz des regnerischen Wetters Infostände, Bewirtung und ein Kinderprogramm. Die Stuttgarter Ska-Band „No Sports“ machte Musik.
Rechte Kleinpartei „Deutsche Mitte“ will mitmarschieren
Beim Auftakt der parallel zu dem Fest beginnenden Revolutionären Demo am Schlossplatz versuchte die rechte Gruppierung „Deutsche Mitte“, sich unter die Demonstrierenden zu mischen – ohne Erfolg. „Apropos rechte Hetzer: Vor dem hässlichen Glaskubus stehen einige von ihnen. Hier ist kein Platz für rechte Spinner“, unterbrach der Redner auf dem Bühnenwagen seine Ansprache.
Die Anhänger der Kleinpartei wurden nach kurzem Gerangel abgedrängt und von PolizistInnen weggeführt. Sprechchöre mit Parolen wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ oder „1. Mai – nazifrei“ begleiteten die Aktion.
Polizei stört sich an Transparenten
Unter anderem gab es Redebeiträge der anarcho-syndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union FAU, Ansprachen zur Lage in der Türkei und zum bevorstehenden G20-Gipfel in Hamburg. „Überall kämpfen Leute gegen Krieg, Faschismus, Ausbeutung und Patriarchat“, sagte der Redner. Später gab es auch ein Grußwort aus Rojava. Beifall brandete auf, als eine Delegation aus Waiblingen mit Fahnen und Transparenten auf dem Schlossplatz erschien. Dort hatte es zuvor ebenfalls eine Mai-Kundgebung gegeben (siehe unten).
Die Revolutionäre Demo zog los, wurde aber schon nach wenigen Metern vor dem Schillerplatz von der Polizei gestoppt. Sie bot unter anderem eine Reiterstaffel mit vier Pferden auf, die jedoch nicht zum Einsatz kam. „Ihnen gefallen unsere Transparente nicht. Man findet immer einen Grund, wenn man einen finden will“, hieß es vom Lautsprecherwagen. Eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit rückte in dunkler Montur an und riegelte auch den Durchgang in Richtung Marktplatz ab. Mit Körpereinsatz und Pfefferspray vereitelten die Beamten den Versuch der DemonstrantInnen weiterzuziehen.
Kamerateam der ARD filmte für „Tagesthemen“
Mehrfache Durchsagen der Polizei legten nahe, dass sich die Einsatzleitung an zu langen Seitentransparenten störte, die ohne Zwischenraum festgehalten wurden. Der Sprecher auf dem Lautsprecherwagen erinnerte empört an „4000 Polizisten in Köln“, die den Parteitag der AfD geschützt hätten: „Und hier hat die Polizei nichts Besseres zu tun, als uns, die wir für eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft demonstrieren, Ärger zu machen.“
„Wir haben es die letzten 14 Jahre hingekriegt, wir werden es auch heute hinkriegen“, beruhigte der Redner die Wartenden. In der Tat: Die BFE-Einheiten zogen ab, die Demonstration wurde fortgesetzt, zog vorbei am DGB-Fest auf dem Marktplatz zum Rotebühlplatz. Die Transparente schienen die Polizei nicht mehr weiter zu stören. Eine Rolle könnte dabei gespielt haben, dass ein Kamerateam der ARD vor Ort war, das Aufnahmen für die „Tagesthemen“ machte, und man Gewalt vermeiden wollte.
Farbbeutel in Richtung Bank
Nach einer Zwischenkundgebung wurden an der Ecke Silberburgstraße und Rotebühlstraße rote Luftschlangen aus Krepppapier geworfen. Es knallte, Konfetti flog durch die Luft. „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“, wurde skandiert – aber auch „Siemens, Daimler, Deutsche Bank, der Hauptfeind steht im eignen Land“. Unter anderem forderten die Demonstrierenden die Aufhebung des PKK-Verbots.
Kurz vor dem Marienplatz zierte eine YPG-Fahne auf einer Baustelle einen Kran. An einer Hauswand hingen Plakate zur Frauenbefreiuung. Bei einer Zwischenkundgebung am Eingang zur Böblinger Straße ging es vor allem um Gentrifizierung. Auf Höhe der Commerzbank flogen Beutel mit roter Farbe. Einige trafen Helme und Uniform von PolizeibeamtInnen.
Polizei blockiert Zugang zu linkem Zentrum
Auf dem Erwin-Schöttle-Platz endete die Demo. „Wir waren heute auf der Straße für eine ganz andere Gesellschaft“, sagte der Redner auf dem Lautsprecherwagen und erklärte die Versammlung für beendet. Wie in den Vorjahren schloss sich eine Ansprache der RAS (Revolutionären Aktion Stuttgart) an. Dann zogen die Demonstrierenden die Böblinger Straße entlang. Ihr Fronttransparent nahm die ganze Fahrbahnbreite in Anspruch, Straßenbahnen mussten warten.
Die Polizei wich derweil langsam zurück und postierte sich vor dem Linken Zentrum Lilo Herrmann, wo am Nachmittag trotz Regens drinnen und draußen ein Internationalistisches Fest gefeiert wurde. Die Einsatzkräfte blockierten geraume Zeit die Zugänge. Sie ließen sich regelrecht zwischen der Festgesellschaft im Haus und den DemoteilnehmerInnen einkesseln. „Haut ab“, wurde skandiert. „Geht weg von unserem Zentrum“, hieß es vom Lautsprecherwagen. „Hier ist das linke Internationalistische Fest. Die Polizeigewerkschaft hat sich nicht angemeldet und hat auch keinen Zutritt.“ Schließlich zogen die Einsatzkräfte ab, ohne dass es weitere Vorkommnisse gegeben hätte.
Entspanntes Fest im Gasparitsch
Auch im Zentrum Gasparitsch in der Rotenbergstraße wurde am 1. Mai in entspannter Atmosphäre und mit Musik gefeiert, getrunken und gegessen. Es gab ein Politprogramm im Keller, einen Stadtteilspaziergang und eine Spontan-Demo. Das Zentrum und Initiativen wie „Rechtspopulismus stoppen“ oder die FAU stellten sich vor. Thematisch ging es auch um Solidarität mit Rojava und den G20-Gipfel in Hamburg.
1.Mai- Kundgebung auch in Waiblingen
Auch in Waiblingen im Rems-Murr-Kreis hatte es eine Kundgebung zum 1. Mai gegeben. Dort sprach Christa Walz, die Kreisvorsitzende des DGB Rems-Murr. Ein weiterer Redner war der Europaabgeordnete der Linken und Gewerkschafter Thomas Händel, und es sprach auch ein Vertreter der Jugendgewerkschaft. Es waren bis zu 150 TeilnehmerInnen vor Ort. Ein Teil von ihnen fuhr weiter nach Stuttgart, um sich der Revolutionären 1. Mai-Demonstration anzuschließen.
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