Von unseren ReporterInnen – Pforzheim. Bis zu 600 Menschen demonstrierten am Samstag, 13. Mai, in der Pforzheimer Innenstadt und vor dem Landesabschiebegefängnis, um ein Zeichen gegen die Abschiebepraxis der Landes- und Bundesregierung zu setzen. Sie forderten, alle Abschiebegefängnisse sofort zu schließen, und solidarisierten sich mit den Geflüchteten in der Pforzheimer Abschiebehaftanstalt. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Parteien und anderen Organisationen unter der Leitung des AntiRA-Netzwerks Baden-Württemberg. Die Polizei war vor Ort mit einer starken Mannschaft. Einige BeamtInnen behinderten – offenbar aus Unwissenheit – die Pressearbeit. Die PolizistInnen schienen wenig Ahnung von Presserecht und Pressefreiheit zu haben.
Bei der landesweiten Demonstration gegen das Pforzheimer Abschiebegefängnis waren viele Geflüchtete auszumachen. Ein Großteil von ihnen aus Afghanistan, Afrika, den Balkanländern und anderen Krisenregionen. Hintergrund der Versammlung waren unter anderem das geplante Gesetz „zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, das Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan, die Sammelabschiebungen nach Afghanistan, die Dublin-Abschiebungen und das geplante Dublin IV-Abkommen sowie die regelmäßigen Sammelabschiebungen vom Flughafen Karlsruhe Baden-Baden in die Balkanländer.
„Keine Abschiebegefängnisse, keine Abschiebungen nirgendwohin“
Bei der Auftaktkundgebung am frühen Nachmittag am Waisenhausplatz forderte Brigitte Kiechle, Moderatorin und Sprecherin des AntiRA-Netzwerks Baden-Württemberg, die Abschiebungen von Geflüchteten zu beenden und das Pforzheimer Abschiebegefängnis sofort zu schließen. „Keine Abschiebegefängnisse, keine Abschiebungen nirgendwo!“ betonte sie kämpferisch.
Abschiebehaft sei ein massiver Eingriff des Staates in das Leben, in der Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Geflüchteten und MigrantInnen. Flucht und Migration seien kein Verbrechen. Deshalb müssten das Abschiebegefängnis in Pforzheim und alle anderen Abschiebegefängnisse aufgelöst werden. Kiechle kritisierte die Unmenschlichkeit bei Abschiebungen und forderte: „Nein zur Deportation, nein zu Abschiebungen!“
Abschiebehaft steht im Gegensatz zur Willkommenskultur
Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim und Sprecher für die Initiative gegen Rechts Pforzheim betonte, die Lebensumstände der Flüchtlinge im Pforzheimer Gefängnis seien bedrückend und aussichtslos. Abschiebehaft stehe in direktem Gegensatz zur Willkommenskultur und trage dazu bei, die Geflüchteten zu kriminalisieren.
Mit Blick auf das Schicksal der Geflüchteten sagte Schmidt: „Wir hören immer wieder die schrecklichen Berichte über die Heimatländer unserer Freunde: Verfolgung, Kriege, bestialische Angriffe mit Giftgas, Morde an Kindern und Familien und lebensbedrohende Armut. Unter größter Anstrengung und Gefahr haben sie sich nach Deutschland gerettet. Wir können und wollen einfach nicht fassen, dass diese Menschen in ein Gefängnis mitten in unserer Stadt gesperrt und wieder abgeschoben werden sollen“.
Keine Politik auf dem Rücken Geflüchteter
Schmidt forderte die Verantwortlichen der Stadt und des Landes auf, einen menschlichen Umgang mit den Geflüchteten zu praktizieren und eine Kriminalisierung der Menschen in Abschiebehaft sofort zu unterlassen. Er forderte außerdem vom neu gewählten Oberbürgermeister der Stadt Peter Boch (CDU), sein Versprechen wahr zu machen und wirklich ein Bürgermeister aller Menschen in Pforzheim zu werden.
„Wir fordern Sie auf, Herr Boch: Machen Sie keine Politik auf dem Rücken der geflüchteten Menschen. Lassen Sie sich nicht zum Handlanger der AfD machen und erklären Sie vor allem den vielen AfD-Wählern in Pforzheim, warum man keine Angst haben muss vor Menschen aus anderen Ländern, mit anderer Hautfarbe oder anderen Religionen“, sagte Schmidt weiter. Pforzheim solle eine Stadt sein, in der sich geflüchtete Menschen wohlfühlen und keine Angst vor Abschiebung und Inhaftierung haben müssen.
Abschiebung in den Tod stoppen
Der Historiker Gerhard Brändle wies für den DGB Pforzheim auf die düstere Geschichte des Gefängnisses in Pforzheim hin. Von ihm aus wurden in der NS-Zeit Jüdinnen und Juden, NazigegnerInnen und Personen aus dem Widerstand in den Tod deportiert. „Geschichtslos“ nannte er die Einrichtung eines Abschiebegefängnisses in einem „Gebäude mit einer ganz schlimmen, schrecklichen, vor allem mörderischen Geschichte.“
Abschiebung bedeutete damals Abschiebung in den Tod, sagte Brändle und verglich die Situation der Jüdinnen, Juden und NazigegnerInnen mit dem Schicksal der Geflüchteten heute. Er forderte einen Stopp der Abschiebung der Geflüchteten in den Tod. „Hinter der Mauer sind Freunde, Unschuldige und teilweise bereits lange in Deutschland lebende Menschen, die vor Krieg geflohen sind“, sagte Ali Soltani vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Er forderte daraufhin einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und der Waffenexporte in Krisenländer.
Kundgebung vor dem Abschiebegefängnis
Ein Höhepunkt der Demonstration, die vom Waisenhausplatz durch die Innenstadt zog, war die Kundgebung vor dem Abschiebegefängnis. Dort zeigten die DemonstrantInnen ihre Solidarität mit den Geflüchteten in Abschiebehaft, die vor den vergitterten Fenstern ihrer „Zellen“ standen. „Afghanistan ist nicht sicher, stoppt Abschiebungen“ skandierten die Demonstrierenden lautstark.
Emotional wurde es, als die Geflüchteten im Abschiebegefängnis durch Sprechchöre die solidarischen Rufe der Demonstrierenden erwiderten. Geflüchtete „in solchen Käfigen“ einzusperren, sei einfach unmenschlich, sagte eine ältere Demonstrantin sehr empört. „Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall“ riefen die Demonstrierenden lautstark. Ein Redner des Offenen antirassistischen Treffens Karlsruhe ging auf die vielfältigen Fluchtgründe ein. Neben Krieg und Hunger, politischer, rassischer, geschlechtsspezifischer oder religiöser Verfolgung führe auch der Export von hochsubventionierten Nahrungsmitteln zu Flucht. Der Export, die bestehenden und geplanten „Freihandelsabkommen“ und die sogenannte Klimakatastrophe zerstörten zunehmend die Lebensgrundlage vieler Menschen.
Polizistin droht Presseleuten mit Platzverweis
Nach der Kundgebung vor der Abschiebehaftanstalt zog die geräuschvolle und bunte Demonstration in Richtung Haus des Jugendrechts, wo die Abschlusskundgebung geplant war.
Am Hauptbahnhof provozierte eine Gruppe von Rechten die DemonstrantInnen durch fremdenfeindliche und beleidigende Äußerungen. Unter anderem fielen die Worte: „Gute Heimreise“.
Als unser Team das Geschehen dokumentieren wollte, verlangte ein Polizist Einsichtnahme in die Aufnahmen, die unser Chefredakteur gemacht hatte. Da es dafür keine Rechtsgrundlage gibt, erhielt der Polizist sie jedoch nicht. Seine Kollegin drohte Alfred Denzinger mit Platzverweis. Sie forderte unser Team auf, den Platz zu verlassen, weil die Polizei zu wenig Kräfte zur Verfügung hätte, um die aufgebrachte rechte Gruppe zu bändingen. Gut war, dass die TeilnehmerInnen der Demonstration die rechte Gruppierung ignoriert hatten. Damit vereitelten sie das offenkundige Ziel der Rechten, die Demonstration zu stören.
Weitere Demonstration für Geflüchtete in Heidelberg geplant
Bei der Abschlusskundgebung vor dem Haus des Jugendrechts forderte Walter Schlecht vom Antirassistischen Netzwerk Baden-Württemberg, die Freilassung der im Abschiebegefängnis Inhaftierten. Freiheitsentzug sei die härteste Strafe, die das hiesige Rechtssystem überhaupt kennt. Er verurteilte die Inhaftierung von Menschen, die zu keinem Zeitpunkt eine Straftat begangen haben.
Zum Abschluss gab es kämpferische Redebeiträge von afrikanischen Geflüchteten von „Refugees for Refugees“. Sie sprachen sich gegen die Zerstörung ihre Herkunftsländer aus und betonten, dass sie das Recht hätten, hierher zu kommen und hier zu bleiben. Sie forderten Bewegungsfreiheit für alle Geflüchteten.
Die Anwesenden wollen keine Ruhe geben, bis die Abschiebegefängnisse geschlossen sind. In ihrem Schlusswort kündigte Moderatorin Brigitte Kiechle eine weitere Demonstration für Geflüchtete unter dem Motto „Freiheit und gleiche Rechte für Geflüchtete und alle Unterdrückten“ am Samstag, 27. Mai, 14 Uhr, auf dem Friedrich-Ebert-Platz in Heidelberg an.
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!