Stuttgart. Der DGB, die IG Metall und Verdi setzten im Vorfeld der Bundestagswahl ein Zeichen. Sie riefen für Donnerstag, 22. Juni, zu einer Kundgebung unter dem Motto „Gerechtigkeit für alle“ auf dem Stuttgarter Schlossplatz auf. Ihre Forderungen: mehr Mitbestimmung, faire Löhne, die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung und eine bessere Rentenpolitik. Laut Veranstalter kamen etwa 1000 TeilnehmerInnen. Am Tag darauf beteiligten sich etwa 120 GewerkschafterInnen, Wissenschaftler und andere Interessierte an einem DGB-Forum zur Zukunft der Arbeit.
Zu der Kundgebung kamen auch Beschäftigte der Automobilbranche aus Sindelfingen und Untertürkheim. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Stuttgart Uwe Meinhardt forderte, die Altersversorgung als gesellschaftliche Aufgabe auch in Zukunft paritätisch zu finanzieren.
- Uwe Meinhardt, IG Metall
- Cuno Brune-Hägele, Verdi
Auch Cuno Brune-Hägele, Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Stuttgart, ging auf die Rentenpolitik ein: „Ohne Stabilisierung und Anhebung des Rentenniveaus werden immer mehr Menschen in Altersarmut landen. Diese droht insbesondere Frauen in Teilzeitarbeit – selbst bei durchschnittlichen Einkommen“, erklärte er. Verdi fordere deutliche Lohnsteigerungen und eine Umkehr in der Rentenpolitik. Verdi hatte erst am Montag bei einer Pressekonferenz vor drohender Altersarmut selbst in einem reichen Land wie Baden-Württemberg gewarnt, sollte das Rentenniveau wie von Bundesregierung und Bundestag geplant weiter sinken (siehe „Verdi startet Aktionswoche für bessere Renten„).
DGB-Forum: Forderungen an Bundesregierung und Arbeitgeber
Am Freitag, 23. Juni, veranstaltete der DGB Baden-Württemberg ein Forum „Arbeitswelt und Gesellschaft der Zukunft: solidarisch, gerecht, offen“. Rund 120 Gäste aus Betrieben, Verwaltungen, aus den Gewerkschaften und aus der Wissenschaft diskutierten im Willi-Bleicher-Haus die aus Beschäftigtensicht wichtigsten Anforderungen an die künftige Bundesregierung, aber auch an die Arbeitgeber.
Bei der Eröffnung der ganztägigen Veranstaltung sagte der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann nach einer Mitteilung des Gewerkschafts-Dachverbands: „Die Zukunft der Arbeitswelt und unserer Gesellschaft ist gestaltbar. Unsere Demokratie ist stark, die Konjunktur läuft gut und der Staat ist bestens finanziert. Deshalb ist eine gerechte und solidarische Gesellschaft keine Utopie.“
Martin Kunzmann: Bessere Arbeitsbedingungen für alle möglich
„Wir können den technologischen Wandel dazu nutzen, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen – und zwar möglichst für alle Beschäftigten und nicht nur für hochspezialisierte Fachkräfte“, forderte Kunzmann weiter: „Dies ist möglich, wenn sich die Politik für eine moderne Mitbestimmung und eine höhere Tarifbindung einsetzt.“
Gleiches gelte für die Aus- und Weiterbildung: Lebenslanges Lernen von der Kita bis zum Ruhestand dürfe kein Privileg für einige wenige sein. Ausreichend Fachkräfte könne die Wirtschaft nur gewinnen, wenn genügend junge Menschen ausgebildet werden. Es sei beschämend, dass nur noch 20 Prozent der Betriebe dieser Verpflichtung nachkommen. Überdies müsse die Qualität der Ausbildung in einigen Berufen dringend verbessert werden. Nur wenn die Beschäftigten in die Umwälzungsprozesse eingebunden würden und mitbestimmen könnten, werde Arbeit 4.0 zum Erfolgsmodell.
Catharina Clay fordert Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
Catharina Clay, die Landesbezirksleiterin der IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) Baden-Württemberg, ergänzte: „Wir dringen darauf, dass das Betriebsverfassungsgesetz an die neuen Betriebs- und Beschäftigungsformen angepasst wird. Die überfällige Modernisierung wäre das Signal, dass die Beteiligung der Menschen im Betrieb auch künftig ein Grundsatz unserer Gesellschaft ist. Demokratie endet nicht am Werkstor. Dieser Konsens sollte wieder überall gelebt werden.“
Der DGB verstehe seine laufende Rentenkampagne als Weckruf an die Politik. „Der Sozialstaat hält unsere Gesellschaft zusammen. Wenn Millionen von künftigen Rentnerinnen und Rentnern mit ein paar hundert Euro Rente auskommen müssen, versagt das System der solidarischen Alterssicherung. Es wurde einst gegründet, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen, dann aber Anfang des Jahrtausends massiv geschwächt. Die Politik sollte diesen kapitalen Fehler schnell korrigieren – auch weil die private Vorsorge keine Alternative ist.
Martin Gross: Gesetzliche Rente nicht weiter schwächen
„Deshalb müsse das Niveau der gesetzlichen Rente sofort auf dem aktuellen Wert von 48 Prozent stabilisiert und dann im nächsten Schritt auf etwa 50 Prozent erhöht werden. Außerdem müssten die Beschäftigten bei den Krankenversicherungskosten entlastet werden. Die nächste Bundesregierung sollte endlich die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung beschließen“, forderte Kunzmann.
Martin Gross, Landesbezirksleiter von Verdi Baden-Württemberg: „Mit dieser Bundestagswahl entscheidet sich, ob wir den dringend benötigten Kurswechsel in der Rentenpolitik bekommen. Wer nicht will, dass sogar im wohlhabenden Baden-Württemberg langfristig fast die Hälfte der Rentnerinnen und Rentner auf den Gang zum Sozialamt angewiesen ist, der muss jetzt Farbe bekennen. Unser Nachbar Österreich beweist, dass es anders geht. Pseudobetriebsrenten, die via Entgeltumwandlung die Arbeitgeber nochmals entlasten und die gesetzliche Rente weiter schwächen, sind das Gegenteil einer guten Lösung.“
Sozialer Zusammenhalt muss gestärkt werden
Die Stärkung der Demokratie und damit auch die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der Arbeitswelt sind für den DGB und die Gewerkschaften angesichts der sich verstärkenden Spaltung der Gesellschaft zentrale Anliegen. Martin Kunzmann: „Die sich öffnende Schere zwischen Benachteiligten und Wohlhabenden, die Fliehkräfte in Europa und das Erstarken der Rechtspopulisten wollen und können wir nicht hinnehmen. Extremismus, Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung sind leider Phänomene, die auch in Betrieben und Verwaltungen vorkommen. Deshalb wollen wir den Kolleginnen und Kollegen helfen, sich gegen solche Tendenzen zu wehren und sie dabei unterstützen, Respekt und Solidarität zu leben. Sie sollen sprachfähig sein angesichts von verbalen Rundumschlägen und falschen Behauptungen, mit denen sie sich konfrontiert sehen.“
Neoliberalismus und Populismus grenzen aus
In der abschließenden Diskussionsrunde sagte Prof. Hans-Jürgen Bieling vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen: „Die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern sind sehr stark durch die Kontroverse zwischen neoliberalen Weltbürgern und nationalistischen Populisten bestimmt. Beide Perspektiven sind auf unterschiedliche Weise ausgrenzend, während es solidarischen Konzeptionen schwer fällt, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Aber es gibt Ansatzpunkte, dies zu ändern.“
Weitere Bilder von der Kundgebung auf dem Schlossplatz
- Körpa Klauz umrahmte die Kundgebung musikalisch
- Martin Kunzmann im Dialog mit dem Foto-Journalisten Jo Röttgers
- Philipp Vollrath, DGB
- Cuno Brune-Hägele, Verdi
- Uwe Meinhardt, IG Metall
- Körpa Klauz
- Reiner Hofmann, DIE LINKE
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