Von Michael Janker – Neckarwestheim. Am Mittwoch, 28. Juni, lief der erste von mindestens fünf Castortransporten von Obrigheim nach Neckarwestheim. Über den Wahnsinn und die Gefahren der Atomenergie ist schon mehr als genug gesagt worden. Scheinbar gibt es aber noch viel gefährlichere Dinge, als drei munter vor sich hin strahlende Castoren, die aus reiner Profitgier auf einem altersschwachen Schiff über den kleinen Neckar geschippert werden. Aus Sicht unseres auf Kapitalinteressen und Repression fixierten Staates sind diese viel gefährlicheren Dinge eindeutig AktivistInnen, die ihr Recht auf die im Grundgesetz doch so hochgehaltene Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen. So landete ich an diesem Tag in Gewahrsam.
An diesem Mittwoch gab es neben wirklich tollen Aktionen einiger KletteraktivistInnen auch in Heilbronn eine informative und kraftvolle Demonstration, an die sich eine mutige Besetzung der Brücke an der Neckarschleuse anschloss (wir berichteten). Diese Aktion führte nicht nur zur enormen Aufregung der massenhaft eingesetzten Cops und der ebenfalls anwesenden Vertreter der Stadt Heilbronn, sondern auch zu wüsten Beschimpfungen und Bedrohungen wütender Autofahrer, die sich wohl in ihrer Freiheit auf Verbreitung von Feinstaub und Mobilität behindert sahen.
Polizei ruft den Notstand aus
Zur Auflösung der Besetzung wurde von den Cops sogar der „Notstand“ verkündet. Super, da lässt Hamburg schon mal grüßen! Vielleicht sollte man zukünftig bei den unzähligen Staus auf unseren überlasteten Autobahnen ebenfalls den „Notstand“ ausrufen. Das damit verbundene Herausprügeln von renitenten Autofahrern aus ihren überhitzten Fahrzeugen sowie die folgenden Platzverweise und Ingewahrsamnahmen würden ordentlich Platz für die nachrückenden Helldriver schaffen.
Am Mittwoch kam es dann, wie es kommen musste. Gegen 11.30 Uhr wurden die AktivistInnen nach und nach von der Brücke getragen, gedrängt und geführt. Streng bewacht von der deutlich in Überzahl befindlichen Polizei ging es für 20 bis 25 AktivistInnen auf den Parkplatz der berühmt-berüchtigten Theresienwiese in Heilbronn – das ist der Ort, wo die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen wurde. Dort folgte nach langer Wartezeit für alle Beteiligten die übliche ED-Behandlung mit hübschen Porträtfotos. Nach meiner Zählung waren sieben Kameras aufgebaut. Die gute Polizei hatte wohl mit einem höheren Andrang gerechnet.
Platzverweis fürs Neckarufer
Zum Abschluss gab es für alle natürlich noch den obligatorischen Platzverweis. Der war erstaunlich umfangreich und schön bunt. Grob gesagt, galt dieser Platzverweis für die gesamte Strecke zwischen Obrigheim und Neckarwestheim jeweils 100 Meter rechts und links des Neckarufers.
Nun bin ich ein überzeugter Anhänger des zivilen Ungehorsams, und lasse mich deswegen von ungerechtfertigten Platzverweisen nicht beeindrucken, auch wenn mir die damit verbundenen Risiken durchaus bewusst sind. Nach einer kurzen Verschnaufpause an der gut organisierten Mahnwache bin ich deshalb zurück zum Neckarufer.
Die Cops besetzten die Brücke
Zu meiner größten Überraschung war zu diesem Zeitpunkt die ganze Brücke besetzt, diesmal aber nicht von AktivistInnen sondern von den Cops. Komisch, dachte ich mir, vorher haben sie sich maßlos darüber aufgeregt, dass eine einzige der vier Spuren besetzt war, jetzt auf einmal haben sie selbst die ganze Brücke in Beschlag genommen und damit den Verkehr komplett blockiert. Vielleicht war dies eine Art von „Super-Notstand“?
Über die Gefühle, die mit Sicherheit nicht nur ich hatte, als das Castorschiff dann endlich aufgetaucht ist und durch die Schleuse gelotst wurde, möchte ich jetzt mal nichts sagen. Ich glaube, dies erübrigt sich. Gegen 15.30 Uhr kam der Castor durch die Schleuse. Ich gebe ehrlich zu, dass ich mich danach mit einem sehr bitteren Gefühl schon auf den Heimweg gen Stuttgart machen wollte, als ich mich auf einmal erneut von einer erstaunlichen Anzahl von Cops umgeben sah, die mich eindringlich darauf hinwiesen, dass ich doch schon einen Platzverweis erhalten hätte. Dumm gelaufen, dachte ich mir da.
Erneut auf der Theresienwiese
In der Folge fand ich mich in einer Art Deja-vu-Erlebnis erneut von sechs Cops umringt auf dem Parkplatz der Theresienwiese wieder. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam dann eigens für meine Wenigkeit ein Gesa-Transporter mit zwei gemütlichen Beamten, die mich dann sicher eingesperrt in die absolute Pampa fuhren, nämlich in das Autobahnpolizeirevier Weinsberg. Dieses Revier liegt tatsächlich im Niemandsland, und ich habe mir ernstliche Sorgen gemacht, wie ich da später wieder ohne Hilfe eines Fährtenlesers nach Hause finde.
Ganz so unbedeutend war dieses Revier dann aber doch nicht. Wie sich nämlich herausstellte, war es das Hauptquartier der für den Castortransport eingesetzten Cops. Dort herrschte dementsprechend ein munteres Treiben. Tische und Bänke waren in der warmen Sonne aufgestellt und gut besetzt. Augenscheinlich war auch die Verpflegung bestens organisiert, es gab sogar vegetarische Maultaschen, wie ich später erfuhr. Das Ganze hatte das Flair eines entspannten Sommerfestes.
Es war mir eine Ehre …
Übrigens war ich dort nicht der einzige Delinquent; wie sich später zeigte, wurden auch die KletteraktivistInnen dorthin deportiert. Ich kam mir fast schon ein wenig schäbig vor, dass ich wegen eines popeligen Platzverweises die tatsächliche Ehre hatte, mit diesen wirklich mutigen Leuten den Gewahrsam zu teilen.
Als ich dort ankam und aus dem Gesa-Bus stieg, wurde ich erstmal in einer Fahrzeughalle zwischengelagert, um danach in die geheiligten und gut ausgestatteten Räumlichkeiten des Reviers verbracht zu werden. Dort fand ich mich im Büro zweier Kripo-Beamter wieder, die mich einer Art Verhör unterzogen, welches vor allem in der Frage bestand, ob ich verletzt sei. Da konnte ich nicht viel dazu sagen, abgesehen von meinem seelischen Zustand war ich körperlich ganz fit.
Bett aus Stein und ein Loch im Boden
Etwas mehr Sorgen machte mir der Hinweis der zwei Kripo-Leute, dass mein Gewahrsam vermutlich bis Mitternacht andauern würde. Wie gesagt, das Revier liegt im Nirwana, um die angedeutete Uhrzeit meiner Freilassung wäre der Heimweg verdammt schwierig geworden.
Hernach ging es erstmal in eine Gewahrsamszelle. Solche Gewahrsamszellen sehen überall gleich aus. Ein vergittertes Fenster, eine Schlafstatt aus Stein wie bei den alten Römern und ein Loch im Boden. Ohne zarte Gemüter verängstigen zu wollen, aber dieses Loch ist tatsächlich für menschliche Bedürfnisse gedacht. Immerhin gab es einen echten Luxus, da in der Zelle drei Becher Wasser standen. Einen Wasserhahn sucht man dort nämlich stets vergeblich.
Freiluft-Runde im Käfig
Zu meiner Überraschung war ich dort nur circa eine halbe Stunde. Danach ging es an die frische Luft. Auf dem Gelände des Reviers war nämlich vermutlich extra zu diesem Anlass eine Art Freiluftkäfig aufgebaut, in den ich dann hineingesteckt wurde. So müssen sich die RAF-Gefangenen in den Siebzigern gefühlt haben, wenn sie im obersten Stock von Stammheim ihre Runden gedreht haben, dachte ich da bei mir.
Na ja, ein Affe im Zoo hat vielleicht das gleiche Gefühl, da ich erneut ebenfalls von einem halben Dutzend Beamten bewacht und bestaunt wurde. Die waren natürlich vor dem Käfig, genau wie der Besucher im Zoo. Ich habe später übrigens nachgerechnet, wie viele Beamte alleine für mich an diesem Tag verbraucht wurden. Ich bin so auf 30 Cops gekommen. Beachtlich.
Eine Banane bekam ich nicht
Die Stimmung im und vor dem Käfig war sehr relaxt. Die Sonne schien, ich hatte eine Bank im Käfig, die Cops davor. Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch den für den Castor-Transport eingesetzten Polizeihubschrauber bewundern, der dort munter startete und landete.
Die Cops, die mich da bewacht haben, waren tatsächlich ganz nette Leute. Als ich gesagt habe, dass ich mich wie ein Affe im Käfig fühle, und deshalb nach einer Banane fragte, wollten sie mir wirklich eine bringen. Ich habe mich dann aber für einen Kaffee entschieden, den ich schwarz mit Zucker trinken musste, da es keine Sojamilch gab. Er war aber trotzdem lecker, und auf den Heimweg habe ich später noch einen Coffee-to-go mitbekommen.
Der Heimweg war gesichert
Nach diesem amüsanten Intermezzo, ging es dann aber überraschend schnell wieder in die Freiheit. Gegen 18.30 Uhr wurde ich mit den mahnenden Worten doch solche „unnützen“ Aktionen künftig zu unterlassen, da sie doch nur Zeit und Geld kosten, in den lauen Sommerabend entlassen. Der Heimweg war gesichert, vor allem auch, weil sich in solidarischer Weise vor dem Revier eine Mahnwache für die Gefangenen befand.
Übrigens habe ich am Freitag, 30. Juni, im direkten Zusammenhang mit dem Gewahrsam ein Einschreiben des Amtsgerichts (AG) Heilbronn erhalten. Holla, dachte ich mir, die sind diesmal aber schnell mit dem Strafbefehl. Aber weit gefehlt: Es handelte sich um einen Beschluss des AG Heilbronn vom 29. Juni bezüglich meiner Ingewahrsamnahme.
In Bausch und Bogen zerrissen
Nun ist es mit der Sprache der Juristen ja immer so eine Sache. Aber es lässt sich doch recht gut erkennen, dass der zuständige Richter zumindest in meinem Fall erhebliches Magendrücken hatte. Im Grunde hat er die Entscheidung der Cops, mich in Gewahrsam zu nehmen, in Bausch und Bogen zerrissen.
Man sieht sich beim nächsten Castor. Leider.
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