Von unseren ReporterInnen – Hamburg. Es war fröhlich, bunt und laut: 76 000 Gipfel-GegnerInnen zogen nach Angaben der Veranstalter am Samstag, 8. Juli, bei der Demo „Grenzenlose Solidarität statt G 20“ durch Hamburgs Innenstadt. Sie kritisierten ungerechte Strukturen des Welthandels und die Ausbeutung der Länder des Südens, den zögerlichen Kampf der Industriestaaten gegen den Klimawandel, das Elend in der Dritten Welt. Es war ein machtvolles Zeichen. Die von der Polizei angegebene Teilnehmerzahl von 20 000 war deutlich zu niedrig, und es ist kaum nachvollziehbar, wie es zu einer solchen Angabe kommt.
Die Stimmung war ausgelassen, die Kritik an der Politik der G 20 vielfältig. Der Abschluss des G-20-Protests verstand sich auch als Antwort auf zum Teil maßlose Polizeigewalt gegen Sitzblockaden oder gegen die Auftaktdemonstration „Welcome to hell“ am Donnerstag. Er setzte aber auch ein Gegengewicht gegen Zerstörungen und Plünderungen in der Nacht zum Samstag und dann noch einmal zum Sonntag ohne erkennbaren politischen Gehalt.
Im Zug des Protestes gegen die Politik der G 20 gab es Sitzblockaden (siehe „Die Inszenierung der Macht brechen„), aber auch eine Bildungsstreik- und eine Fahrraddemonstration. Doch trotz der vielfältigen Inhalte und Formen des Protests dominierten die Bilder brennender Barrikaden und eingeworfener Schaufenster die Medienberichte und die meisten Diskussionen.
Was genau geschah am Abend und in der Nacht auf Samstag im Schanzenviertel im Bereich des alternativen Zentrums Rote Flora, während die beim Gipfel versammelten Staatsgäste streng bewacht in der Elbphilharmonie Beethoovens 9. Symphonie hörten? Stundenlang veranstaltete eine schwer einzuordnende Ansammlung vom Randalierern und Abenteurern ein merkwürdiges Happening.
Selfies vor brennenden Barrikaden
Barrikaden brannten, Schaufenster wurden eingeworfen, Geschäfte geplündert. Schaulustige machten Selfies vor brennenden Barrikaden, Anwohner verfolgten entsetzt das Geschehen. Immer wieder gab es einen lauten Knall, wenn Böller ins Feuer geworfen wurden. Die Flammen loderten auf, manchmal gab es ein Feuerwerk.
Die Polizei berichtet von Flaschen- und Steinwürfen auf ihre Beamten und vom Beschuss mit Zwillen. Unklar bleibt, weshalb sie über Stunden an diesem Brennpunkt und anderen nicht einschritt, auch Massen von Touristen während des Spektakels völlig ungehindert aufs Schulterblatt ließ. Geschäfte wurden geplündert, am Samstagmorgen bot sich im Schanzenviertel ein Bild der Zerstörung.
Einsatzleiter spricht von 476 verletzten Polizeibeamten
Als Grund für ihr Zögern führte die Polizei an, sie habe schwere Gewalttaten gegen ihre Beamten gefürchtet – etwa, mit auf Dächern gehorteten Gehwegplatten oder Molotow-Cocktails beworfen zu werden. Am frühen Samstagmorgen erklärte sie: „Aufgrund der anhaltenden Krawalle war die Polizei mit einem großen Aufgebot an Spezialeinsatzkräften im Bereich des Schanzenviertels gegen die militanten Personen vorgegangen.“ Das Spezialeinsatz-Kommando SEK hielt offenbar auch Maschienenpistolen und Sturmgewehre im Anschlag. Ein Haus wurde der Polizei zufolge mit Spezialkräften gestürmt. Dort habe es 13 Festnahmen gegeben
Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudde teilte am Sonntag bei einer Pressekonferenz mit, 476 Beamte seien bei dem G-20-Einsatz verletzt worden. Es habe 186 Festnahmen, 226 Gewahrsamnahmen und 37 Haftbefehle gegeben. Im Schanzenviertel ging sie nach eigenen Angaben auch am frühen Morgen noch gegen „Störer“ vor, ehe sich die Lage beruhigte. Über die Zahl verletzter DemonstrantInnen gibt es weiterhin keine Angaben.
Anwaltlicher Notdienst berichtet von Behinderungen
In der Gefangensammelstelle in Hamburg-Harburg befanden sich nach Angaben der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke am Samstagabend 290 Personen. Sie kritisierte, dass es Probleme gebe, ihnen die Nummer des anwaltlichen Notdienstes zu übermitteln. Bei einer Pressekonferenz im alternativen Internationalen Medienzentrum hatte Heinecke am Samstagmorgen berichtet, mit welchen Schwierigkeiten der Anwaltliche Notdienst zu kämpfen hat, um die Festgehaltenen angemessen zu vertreten.
Die Versuche der Staatsanwaltschaft, Haftbefehle zu erwirken, seien zwar im Wesentlichen gescheitert. Dennoch müssten die in Gewahrsam Genommenen damit rechnen, bis zum Ende des Gipfels festgehalten zu werden.
Mehreren Journalisten die Akkreditierung verweigert
Renate Angstmann-Koch vom Bundesvorstand der dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) in Verdi krisitierte Einschränkungen der Pressefreiheit, Behinderungen von Medienvertretern und Übergriffe auf JournalistInnen. Mehreren Journalisten war die Akkreditierung für das offizielle Pressezentrum des Gipfels mit fadenscheiniger Begründung entzogen oder verweigert worden – so auch unserem Chefredakteur Alfred Denzinger (siehe „Angriff auf die Pressefeiheit„).
Die dju hat Widerspruch eingelegt und will Klage vor Berliner Verwaltungsgerichten einreichen. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass ein bestimmtes Spektrum von der Berichterstattung ferngehalten werden soll“, erklärte Angstmann-Koch. Bis Samstagnachmittag wurden 15 ähnlich gelagerte Fälle bekannt. Die dju verurteilte das Vorgehen des Bundeskriminalamts in einer Pressemitteilung scharf.
Auch Aktivisten griffen Journalisten an
Auch bei verschiedenen Aktionen der Polizei – so etwa am Samstagnacht im Schanzenviertel – habe es Pressebehinderung und Drohungen gegen Journalisten durch die Polizei gegeben, die Presseausweise nicht akzeptieren wollte, erklärt Angstmann-Koch. Das sei nicht akzeptabel, „die Deutungshoheit über das Geschehen kann nicht bei der Polizei und ihren Pressestellen liegen“.
Sie verurteilte auch Übergriffe, etwa Steinwürfe, von Aktivisten gegen Pressevertreter wie Fotografen und Kameraleute: „Pressefreiheit gilt ungeteilt. Das Recht auf freie Berichterstattung muss respektiert werden – ob von der Polizei, von Neonazis bei Pegida-Aufmärschen oder Linksautonomen“.
Bilder vom Donnerstag, 6. Juli 2017
Weitere Bilder vom Freitag, 7. Juli
Weitere Bilder vom Samstag, 8. Juli
Weitere Bilder rund um die Proteste in Hamburg
Weiter Bilder, Videos und ein Kommentar zu den Ereignissen um die G 20-Proteste folgen in den nächsten Tagen.
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