Von Alfred Denzinger – Nürtingen. Wie in den Vorjahren hatten die TeilnehmerInnen an den ausgelassenen Wasserspielen großen Spaß. Das Wetter spielte erneut mit, und so war auch das Zuschauen eine wahre Freude. Die Beteiligung an der 4. Nürtinger Wasserbombenparade sank allerdings erheblich. Kamen im letzten Jahr noch 85 TeilnehmerInnen, fanden sich am Freitag, 4. August, lediglich 40 Menschen zur 50-minütigen „Spritztour“ ein. Transparente mit Hinweisen auf den politischen Hintergrund der Parade gab es nicht.
In seinem diesjährigem Aufruf zur 4. Wasserbombenparade erklärte der Veranstalter: „Die Wasserbombenparade wurde erstmals 2014 organisiert, als Reaktion auf einen völlig unverhältnismäßigen Polizeieinsatz einschließlich Helikopter und versuchter Stürmung der Villa Galgenberg. Seitdem wurde sie jedes Jahr wiederholt. Der Anlass bleibt aktuell. Ob gegen BerufsschülerInnen in Nürnberg, die versuchen, eine Abschiebung zu verhindern, die brutale Räumung von Friedel 54 in Berlin oder die Angriffe auf das antikapitalistische Camp in Hamburg – die Beispiele von Polizeigewalt reißen nicht ab.“
Zwei Streifenwagen der Polizei, die sich dezent im Hintergrund hielten, begleiteten den Umzug, der sich mit heißen Rhythmen aus den Lautsprecherboxen des Begleitfahrzeugs durch die Innenstadt bewegte. Die BeamtInnen begnügten sich wie im letzten Jahr mit der Regelung des Verkehrs und beobachteten das rege Treiben. Nach der Begrüßungsrede, die hier nachgelesen werden kann, ging es vom Busbahnhof über die Steinenbergstraße zur Europastraße. Anschließend ging es weiter zum Ochsenbrunnen auf dem Schillerplatz. Es flogen reichlich Wasserbomben. Der Brunnen diente als „Munitionslager“ zum Nachladen der feucht-fröhlichen Schusswaffen.
Besorgnis über Einführung der unendlichen Vorbeugehaft
Der nächste Zwischenstopp gab es am Marktbrunnen vor dem Rathaus. Wassertechnisch gesehen war das der vorläufige Höhepunkt der „Nass-Demo“. Ein Redner kritisierte das vor kurzem eingeführte bayerische Gesetz, das künftig eine Haft ermöglicht, ohne dass eine Straftat vorliegt. Bereits wegen einer „drohender Gefahr“ sei es möglich, unbefristet in Haft genommen zu werden. Der Redner zeigte sich davon überzeugt, dass dieses vom Münchner Landtag beschlossene Gesetz sicher bald bundesweit eingeführt werden wird.
Vom Marktbrunnen ging es weiter zum Nürtinger Polizeirevier. Hier kam es unter den Augen von zwei Polizeibeamten zu einer regelrechten Wasserschlacht unter den TeilnehmerInnen. Das Polizeirevier selbst blieb verschont. Nur die Straße lieferte ein Bild von der abschließenden Schlacht. Die Versammlungsleitung löste die Demo ordnungsgemäß auf. Die TeilnehmerInnen zogen bei bester Laune – gefolgt von einer Polizeistreife – ab.
Anlass der Aktion war ein übertriebener Polizeieinsatz am 14. Juni 2014. Die Polizei nannte selbst später in ihrer Pressemitteilung zwei Wasserbomben als ausschlaggebenden Grund. An besagtem Abend nahm die Polizei drei Personen äußerst brutal in der Nürtinger Innenstadt fest und griff gegen 1 Uhr nachts das Wohnprojekt Villa Galgenberg an. Hierbei verletzten die Beamten mehrere Personen durch Reizgas, Tritte und Knüppelschläge. Es wurden zirka 20 Polizeifahrzeuge und auch ein Hubschrauber von außerhalb hinzugezogen.
Nach der Demonstration gab es in der Villa Galgenberg von der Londoner Band Meinhof (Crustcore) was auf die Ohren.
Kommentar:
Nur Spaß haben ist nicht genug
Wasserbomben und Party sind eine tolle Sache. Machen wirklich gute Laune und sind bei heißem Wetter eine willkommene Erfrischung. Auch gegen heiße Musik gibt es absolut nichts einzuwenden. Auch die Rede zum kürzlich eingeführten bayerischen Gesetz zur Vorbeugehaft lieferte sicher ein paar richtige und wichtige Impulse. Aber dennoch lag bei der diesjährigen Wasserbombenparade ein seltsames Gefühl der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit, der politischen Kapitulation in der Luft.
Im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stand nicht mehr der politische Hintergrund der Parade, sondern der Spaßfaktor. Auf Transparente mit politischen Botschaften wurde verzichtet. Für PassantInnen war nicht erkennbar, um was es eigentlich ging. Das erinnert sehr an den politischen Verfall des Christopher Street Day (CSD). Auch beim CSD tritt der politische Ursprung in den Hintergrund. Dabei handelte es sich ursprünglich um einen Aufstand von Homosexuellen.
Die Halbierung der TeilnehmerInnenzahl in Nürtingen hat vermutlich einen anderen Grund. Der Veranstalter verzichtete leider auf Livemusik bei der Parade. Die Demonstration von Samstag auf den Freitag zu verlegen, wirkte sich bestimmt auch nicht positiv auf die Beteiligung aus.
Die Chance, bei der 4. Nürtinger Wasserbombenparade eine politische Botschaft zu senden, wurde leider verspielt. Ich freue mich dennoch jetzt schon aufs nächste Jahr.
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