Von unserer Redaktion – Ulm. „Politik in der Mittagspause – Gespräch mit Sigmar Gabriel“: Unter diesem Motto hatte die Ulmer SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis am Montag, 7. August, eingeladen. Im voll besetzten Foyer des Kornhauses folgten knapp 300 Menschen einer halbstündigen Rede des Außenministers und Stellvertreters der Kanzlerin.
Neben anderen wichtigen Themen, die den Wahlkampf der Partei begleiten, war einer der Hauptpunkte der Rede von Sigmar Gabriel „Chancen für Kinder und Jugendliche“. Sie seien die Zukunft, in sie müsse investiert werden. Wenn es nach Gabriel geht, 6 Prozent jährlich in Bildung statt 2 Prozent in Rüstungsausgaben, wie von den USA gefordert. Gabriel bemängelte zudem den schlechten Zustand von Schulen in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt. Anfangen müsse man damit, die schönsten Schulen in den schlechtesten Wohngegenden zu bauen, um Ausgrenzung zu verhindern, und eine große Zahl weiterer Ganztagsschulplätze einrichten.
Kritik an Börsensendung
Gabriels Ton und Wortwahl haben sich geändert. So scheint er sich wieder mehr auf die Themen zu besinnen, die die Sozialdemokratie über Jahrzehnte ausgemacht haben. CETA und TTIP, eine seiner Hauptthemen früher als Wirtschaftsminister, brachte er – vielleicht auch bewusst – nicht zur Sprache. Stattdessen kritisierte er die tägliche Sendung „Börse vor Acht“ in der ARD. An dieser Stelle wäre es seiner Meinung nach sinnvoller, auch mal über die jährlichen Zahlen vorzeitiger SchulabgängerInnen zu berichten oder die immer noch niedrige Bezahlung in Pflegeberufen. Themen, die wesentlich mehr Bürgerinnen und Bürger interessieren sollten als Informationen für gezielte Aktienanleger. Die Genossinnen und Genossen im Saal begrüßten diese Aussage mit viel Beifall.
Deutschland soll Friedensmacht bleiben
Den Frieden in Europa zu erhalten, war ein weiteres zentrales Thema in Gabriels Rede. Dass China, Japan, die Vereinigten Staaten sowie Rußland und die NATO aufrüsten, sei ein Schritt in keine gute Richtung. Nach Vorstellungen der CDU/CSU sollen in den nächsten Jahren 70 Milliarden Euro pro Jahr in die Rüstung fließen. Finanzieren wolle man dies durch Kürzung der Sozialausgaben – für Gabriel ein „No-Go“. Wer glaubt, dass Frieden mit Militär und Waffen durchsetzbar sei, liegt seiner Meinung nach falsch. Deutschland und Europa müssten Friedensmacht bleiben und sich nicht durch Donald Trump zum Aufrüsten leiten lassen.
Mauern halten keine Menschen ab
Ein weiterer Irrtum sei, so Gabriel, dass Sicherheit über Militär erreicht werde. Terrorismus könne nur bekämpft werden, wenn man ihm den Boden entziehe und Menschen in den betroffenen Ländern wieder sicher wären. Man müsse beispielsweise mehr mit Afrika zusammenzuarbeiten, indem man auch hier in Bildung, Infrastruktur und Entwicklung investiert, um Frieden zu schaffen. Hohe Mauern zu bauen und zu denken, dass niemand mehr kommt, sei falsch.
Italien wird allein gelassen
In der Flüchtlingspolitik begehe man den gleichen Fehler wie 2015, erklärte Gabriel. „Italien wird die Grenzen öffnen, und die gleichen Länder werden wieder Flüchtlinge aufnehmen.“ Hier müsse man die Länder in die Verantwortung nehmen, die sich bisher geweigert haben, Flüchtlinge aufzunehmen.
Kritik an der Türkei
Deutschland stehe für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Deshalb wäre es aus Sicht Gabriels auch unabdingbar, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort abzubrechen, sollte die Todesstrafe wieder eingeführt werden. 50 Prozent der in der Türkei lebenden Menschen finden Erdogans Kurs Gabriel zufolge jedoch nicht richtig. Deshalb sei es wichtig, mit diesen Menschen zu reden. Durch sie bestehe noch Hoffnung auf einen Wandel. Gabriel kritisierte auch die Inhaftierung vieler Journalistinnen und Journalisten in der Türkei. Es könne nicht angehen, dass die Pressefreiheit in diesem Maße eingeschränkt werde.
Inhaftierter Journalistin drohen bis zu 15 Jahre Haftstrafe
Gabriel äußerte sich am Rand der Veranstaltung auch zum Fall der aus Ulm stammenden und in der Türkei inhaftierten Journalistin Mesale Tolu. „Wir halten den wirtschaftlichen Druck aufrecht“, kündigte er an. Man stehe zudem mit den Anwälten Tolus in Kontakt und habe konsularische Unterstützung erreicht. Es wäre jedoch falsch, eine härtere Gangart einzulegen oder gar die Gespräche abzubrechen. „Das hilft Frau Tolu überhaupt nicht“, sagte Gabriel. Es bestehe dadurch vielmehr die Gefahr, dass die Journalistin noch länger im Gefängnis sitzen müsse. Der Minister verwies darauf, dass insgesamt neun deutsche Staatsbürger derzeit in der Türkei in Haft sind – meist wegen des Vorwurfs, Terroristen zu unterstützen.
Im direkten Gespräch
Nach Gabriels Rede konnten die Zuhörer und Zuhörerinnen Fragen stellen. Die SPD hatte vor dem Kornhaus in bewährter Tradition Biertische und -bänke aufgestellt. Auch wenn die Zeit relativ knapp war, nutzen einige diese Möglichkeit der Kommunikation – quasi auf Tuchfühlung und in Augenhöhe.
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