Von Angela Berger – Stuttgart. Laut Veranstalter kamen 47 DemonstrantInnen am frühen Samstagnachmittag, 16. September, in der Lautenschlagerstraße in Stuttgart zusammen. Der Sea-Watch-Aktivist Mattes Szodrak hatte eine Demonstration unter dem Motto „Seenotrettung ist kein Verbrechen“ angemeldet, um erneut an die Situation im Mittelmeer zu erinnern.
Obwohl die Demoroute angemeldet war, befand der anwesende Polizeibeamte, der Demozug solle auf dem Gehweg laufen. Es seien zu wenig Teilnehmer da. Bei mehr als 50 Personen wäre es etwas anderes. Doch es gelte, die Verhältnismäßigkeit für eine Sperrung der Theodor-Heuss-Straße zu wahren. Nach längerer Diskussion einigte man sich, bis zur Zwischenkundgebung am kleinen Schlossplatz auf dem Gehweg zu bleiben und danach auf die Straße zu wechseln, falls sich noch Personen anschließen sollten.
Jedes Schiff ist zur Hilfe bei Seenot verpflichtet
Bei der Zwischenkundgebung blieben dann doch einige, wenn auch wenige Passanten stehen und hörten Mattes Szodrak zu. Der Rettungsassistent war selbst schon zweimal im Einsatzgebiet im Mittelmeer. Das Thema lässt ihn ernst werden, obwohl er immer versucht sei, schwere Situationen leicht zu nehmen. Vermutlich ist das auch notwendig bei diesem Beruf. Er berichtet, dass man manche Eindrücke nur mit Humor ertragen könne.
Jedes Schiff, das einen Notruf erhält oder von einer Notsituation auf See erfährt, sei dazu verpflichtet zu helfen. Szodrak berichtet auch von den neuen Entwicklungen auf der Fluchtroute durch das Mittelmeer, von sichtbaren und unsichtbaren Mauern und von der Ignoranz einiger.
Schreckliche Zustände in libyschen Lagern
Die EU spreche über die „Schließung“ der Mittelmeerfluchtroute, während dort weiterhin fast jeden Tag Menschen ihr Leben verlören. Dabei scheine es, als würden die meisten Menschen hierzulande einfach nur begrüßen, dass weniger geflüchtete Menschen in Europa ankommen. Entscheidend scheine allein die Zahl zu sein. Doch dass weniger Menschen ankommen, heiße nicht, dass weniger Menschen versuchten, vor Krieg, Ausbeutung, Gewalt und Hunger zu fliehen.
Hilfsorganisationen berichten zunehmend von Lagern, die mit Geldern aus der EU auf libyschem Boden errichtet werden. Diese scheinbar elegante Lösung sei jedoch keine, denn die Lager seien menschenunwürdig. Die Menschen würden auf ihrer Flucht verhaftet und interniert.
Organisierter Menschenhandel
In einem offenen Brief schrieb „Ärzte ohne Grenzen“ über die Zustände in Libyen: „Vor dem Hintergrund dessen, was in Libyen geschieht, sind solche Erfolgsmeldung bestenfalls Heuchelei und schlimmstenfalls zynische Komplizenschaft bei organisiertem Menschenhandel.“
Die Präsidentin der „Ärzte ohne Grenzen“ Joanne Liu hatte sich vor Ort ein Bild gemacht. Sie berichtete darüber, dass dort besonders schwangere Frauen in Gefahr seinen. Sie würden von ihren Männern getrennt und in den Lagern vergewaltigt. Dies berichtete „Focus“ vor wenigen Tagen.
Auch die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am 11. September einen Artikel mit einem Verdacht: „Bezahlt Italien dubiose libysche Milizen?“. Dr. Tankred Stöbe, Notarzt und Internist, berichtet aus erster Hand von den schrecklichen Bedingungen, die in den Lagern herrschen.
- Foto: Fabian Melber
- Foto: Fabian Melber
- Foto: Fabian Melber
Angesichts des Elends sehen viele einfach weg
Doch im der Vorwahlwoche und in den Wahlduellen ist wohl kein Platz für diese Bilder und für dieses Problem. Viele wollen das Leid und Elend der Menschen in anderen Ländern nicht sehen. Wollen nicht an die Fluchtursachen erinnert werden. Genau deswegen hatte Mattes Szodrak die Idee zu dieser Demonstration. „Wir haben uns heute zusammengefunden, um auf die Zustände im Mittelmeer vor der libyschen Küste aufmerksam zu machen. Während wir hier shoppen gehen, Eis essen können oder genüsslich eine Latte Macchiato schlürfen, sterben Menschen auf dem Weg in ein besseres Leben“, sagte er.
Und weiter: „Sie wollen keinen Luxus, sie wollen ein Leben in Frieden, in Freiheit und in körperlicher Unversehrtheit. Sie möchten ihre Familien und ihr eigenes Leben schützen, so machen Sie sich auf dem Weg über die tödlichste Grenze die wir seit langem haben. Wer kann es einem Familienvater verübeln, mit seiner Familie zu fliehen. Diese Reise antritt weil er hofft, dass deine Familie glücklich werden kann. Solange wir die Länder ausbeuten, Waffen verkaufen und Milizen unterstützen darf keiner von uns die Augen vor dem Elend verschließen.“
Vortrag in Kornwestheim
Am Freitagabend, 29. September, hält Mattes Szodrak bei den interkulturellen Wochen in Kornwestheim einen weiteren Vortrag. Veranstalter ist der Ökumenische Arbeitskreis Asyl Kornwestheim, Beginn um 19 Uhr im Paulusgemeindehaus, Rosensteinstraße 18.
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