Kassel. Das Verwaltungsgericht Kassel hat alle Anträge der Antifaschistin Silvia Gingold auf Löschung der über sie geführten Verfassungsschutzakte sowie auf Einstellung ihrer geheimdienstlichen Beobachtung abgelehnt. Das Gericht sah Anhaltspunkte dafür, die „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Entfaltung verfassungsfeindlicher Aktivitäten“ durch Gingold hindeuten. So habe die pensionierte Lehrerin mit Lesungen bei vermeintlich linksextremistischen Organisationen diese „nachhaltig unterstützt“ und sich für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschtInnen (VVN-BdA) engagiert.
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) entgegnet diesem skandalösem Urteil:
„Verfassungsfeindlich ist nicht das Engagement für Frieden, soziale Gerechtigkeit und gegen rechte Hetze, sondern das Agieren der Inlandsgeheimdienste, die vollends zu Unrecht den Namen „Verfassungsschutz“ tragen. Diese Behörden sind nicht nur aufgrund ihres nicht zu kontrollierenden Eigenlebens, sondern auch aufgrund ihrer vielfältigen Verstrickungen in die extrem rechte Szene die größte Gefahr
für unsere Verfassung.“
Die DKP führte weiter aus, wem ernsthaft daran gelegen sei, die rechte Szene zurückzudrängen und nachhaltig zu bekämpfen, müsse bei den Schlapphüten anfangen und für die Auflösung der bundesdeutschen Spitzeldienste eintreten.
Dazu erklärt Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP:
„Es ist besonders perfide, dass der Inlandsgeheimdienst ausgerechnet eine Frau diffamiert und kriminalisiert, die sich seit ihres Lebens für Frieden und gegen Krieg, Rassismus und Neonazis engagiert. Auch vor dem Hintergrund der Familiengeschichte von Silvia Gingold, die Tochter der verstorbenen antifaschistischen Widerstandskämpfer und Kommunisten Etti und Peter Gingold ist, ist das Vorgehen des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz besonders skandalös.“
Auf der anderen Seite der Barrikade
Dass ausgerechnet die ehemalige Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen, die in Hessen gemeinsam mit dem national-konservativen Landesverband der CDU die Landesregierung stelle, offenbar keinerlei Probleme mit den anhaltenden Skandalen des dortigen Landesamtes habe, sei nicht nur bemerkenswert, sondern spräche zugleich auch für sich. Die Grünen machten sich immer öfter zum Handlanger der politischen Rechten und ihrer Repressionsorgane. Aufrichtiger Partner im Kampf gegen den zunehmenden Abbau von Grund- und Freiheitsrechten sei sie schon seit Jahren nicht mehr. Sie stehe auf der anderen Seite der Barrikade!
Die DKP erklärte weiter, dass sich Kommunistinnen und Kommunisten auch zukünftig nicht von dem reaktionären Konglomerat aus Geheimdiensten, etablierten Parteien und Justizapparat einschüchtern lassen würden. „Wir verteidigen das Erbe des antifaschistischen Widerstandes entschlossen gegen die Schlapphüte, Schreibtischtäter und die politischen Scharfmacher in der Landes- und Bundespolitik und erklären unsere Solidarität mit den Opfern der politisch motivierter Verfolgung, die sich immer aggressiver gegen die politische Linke in diesem Land richtet. Wir fordern, die Überwachung und Diffamierung von Kommunisten, Antifaschisten und Demokraten umgehend einzustellen.“
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, erklärte nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts:
„Das Skandalurteil des Verwaltungsgerichts Kassel über die Rechtmäßigkeit der weiteren Beobachtung von Silvia Gingold durch den Verfassungsschutz sagt weniger etwas über die Gesinnung der Friedensaktivistin und Antifaschistin aus, als über die Verfasstheit des bundesdeutschen und insbesondere des hessischen Staatsapparates. Überraschen kann das nicht. Haben doch maßgebliche Initiatoren der völkisch-nationalistischen AfD ihre Wurzeln im Stahlhelmflügel der Hessen-CDU“.
Urteil als Inbegriff der Klassenjustiz
Das Gericht sah objektive Anhaltspunkte dafür, die „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Entfaltung verfassungsfeindlicher Aktivitäten“ durch Silvia Gingold hindeuten. So habe die pensionierte Lehrerin mit Lesungen bei vermeintlich linksextremistischen Organisationen diese „nachhaltig unterstützt“ und sich für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) engagiert.
Jelpke weiter: „Weil sie auf einer von der Linkspartei durchgeführten Lesenacht in einem linken Zentrum aus der Autobiographie ihres Vaters, eines jüdischen Widerstandskämpfers gegen die Nazis, gelesen hat, nimmt das Gericht Silvia Gingold kurzerhand in Mithaftung für die Ziele der insgesamt 15 mitveranstaltenden Gruppierungen. Das ist nichts anderes als das Konstrukt von Kontaktschuld.
Es ist nicht verfehlt, dieses Urteil als Inbegriff der Klassenjustiz zu bezeichnen. Denn hier sichert sich die herrschende Klasse gegen Kritik von links ab. Der hessische Verfassungsschutz, dem das Gericht hier beipflichtet, stört sich insbesondere am „orthodox-kommunistischen Antifaschismus“ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA). Wer als Antifaschistin Faschismus und Neofaschismus nicht losgelöst von den Wurzeln im Kapitalismus sehen will und in der Konsequenz für eine sozialistische Gesellschaftsordnung eintritt, ist nach dieser Auffassung bereits verfassungsfeindlich.
Antifaschistin, Linksextremistin, Linksterroristin – alles dasselbe
Dass es in dem Urteil an einer Stelle fälschlicherweise heißt, Silvia Gingold werde vom Verfassungsschutz im Bereich `Linksterrorismus´ (gemeint ist `Linksextremismus´) gespeichert, zeigt nur, wie die hessische Justiz bei allem, was links ist, ohne weitere Differenzierung rot sieht.
Nach diesem Urteil stellt sich die Frage: Wer sind die wahren Verfassungsfeinde?
Nicht Silvia Gingold und die VVN-BdA sind eine Gefahr für die demokratische Grundordnung, sondern der hessische Verfassungsschutz!
Aktuell bleibt damit das Motto einer Demonstration aus dem Jahr 2012, deren Unterstützung Silvia Gingold als Beweis ihrer Verfassungsfeindlichkeit angekreidet wird: `Staatliche Unterstützung für Nazis beenden – Verfassungsschutz auflösen!´“
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