Kommentar von Ferry Ungar – 40 Jahre nach dem Tod des Arbeitgeberpräsidenten und Obernazis Hanns Martin Schleyer würdigen verschiedene Akteure dieses „Opfer“ auf absolut undifferenzierte Weise. Nun kann man über manche Aktionen der RAF in den 1970er Jahren bestimmt sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Kann über den Sinn und/oder den Unsinn der Roten Armee Fraktion debattieren. Eines sollte man aber anlässlich des Todes dieses NSDAPlers ganz sicher nicht unwidersprochen hinnehmen: die Hetze gegen Linke und die Gleichsetzung von NSU und RAF sowie die Ehrung eines niederträchtigen SS-Mannes.
Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die damaligen RAF-Mitglieder dazu aufgerufen, ihr Schweigen zu brechen. „Wenn Sie das Rückgrat besitzen, das Sie bei anderen so oft bezweifelt haben, dann reden Sie, dann legen Sie die Taten in allen Einzelheiten offen“, soll Steinmeier bei einer Veranstaltung zum Tod Schleyers in Berlin gesagt haben. Er sprach von einer moralischen Pflicht und von einer Schuld gegenüber den Angehörigen der Opfer. Die Täter, Tatort und Tatzeit sind bis heute unbekannt. Steinmeier will sich durch die NSU-Morde in den vergangenen Jahren oft an das „Terrorjahr 1977“ erinnert fühlen. „Die Terrorzelle des NSU mordete lautlos, sie kam von ganz rechts, nicht von ganz links, soweit die Zuschreibungen heute noch greifen.“
Wenn man schon unbedingt reden muss, sollte man einfach mal Ahnung haben
Die Opfer des NSU waren einfache Leute mit einem Migrationshintergrund. Sie wurden nach rassistischen Grundsätzen und ansonsten völlig willkürlich von den Nazi-Terroristen ausgewählt und hingerichtet. Die linksgerichtete RAF zielte auf führende Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft – wobei sie den Tod von einzelnen Begleitpersonen in Kauf nahmen. Beispielweise stand der Angriff auf das Hauptquartier der US-Army in Europa in Heidelberg im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg.
Was will uns dieser Bundespräsident mit seiner Gleichsetzung eigentlich sagen? Links und rechts ist dasselbe? Ist er jetzt völlig wirr? Oder ist Steinmaier ein Vertreter von Extremismusquatsch, also der Extremismustheorie, wonach links und rechts gleichgesetzt wird? Hat der oberste Vertreter eines Staates, der mitverantwortlich für tausende Tote im Mittelmeer ist, das Recht, von einer moralischen Verpflichtung ehemaliger RAF-Mitglieder zu reden? Hat er das „moralische“ Recht, dies von ehemaligen RAFlern zu verlangen? Ich spreche ihm dieses „moralische Recht“ ab. Er sollte sich viel eher dafür einsetzen, dass die Fluchtursachen beseitigt werden, für die Deutschland die Mitverantwortung trägt: wirtschaftliche Ausbeutung und Waffenlieferungen. Das ist seine moralische Verpflichtung gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen.
Das „Opfer“ ist kein Ehrenmann, sondern vor allem Täter
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ehrt auf seiner Facebookseite Schleyer für seine Verdienste. 40 Jahre nach seinem Tod „gedenken wir seiner und erinnern uns an seine großen Verdienste für die deutsche Wirtschaft. Er wird stets als meinungsstarke und streitbare, aber auch als gestaltende und vermittelnde Persönlichkeit in Erinnerung bleiben.“
Kein Wort zu seinen Taten während der NS-Zeit, sondern nur Lobgesang für dieses „Opfer“. Der BDI tut so, als hätte es nur den Arbeitgeberpräsidenten Schleyer gegeben. Völlig ausgeblendet bleibt dessen Handeln im deutschen Faschismus. Ohne Leute wie diesen „ehrenhaften“ Schleyer wäre dieser Verbrecherstaat gar nicht in der Lage gewesen, den Holocaust umzusetzen – das absolute Grauen zur Realität werden zu lassen.
Nein, Schleyer war ganz sicher kein Ehrenmann, sondern ein Teil des Nazi-Terrors, der sicher für über 60 Millionen Tote verantwortlich ist – manche Stellen schätzen die Opferzahl gar auf bis zu 80 Millionen. Personen wie Schleyer haben keine Ehrung verdient, sondern unsere tiefste Verachtung. Ob er seinen Tod verdient hat, ist eine ganz andere Frage. Ich bin grundsätzlich gegen die Todesstrafe.
Hitlerjugend, SS, NSDAP – Schleyer, der Obernazi
Ich will noch einen ganz kleinen Blick auf einige Lebensabschnitte dieses „Opfers“ werfen. Was war das eigentlich für ein Mensch, dass man nach ihm sogar Stuttgarts bekannteste Veranstaltungshalle benennt?
Bereits 1931 Mitglied der Hitlerjugend und ab 1933 in der SS – sogenannte Schutzstaffel der NSDAP. Diese Truppe war unter anderem für den Betrieb der Konzentrationslager verantwortlich und war das wichtigste Terror- und Unterdrückungsorgan des NS-Regimes. Die SS war maßgeblich an der Planung und Durchführung des Holocaust und weiterer NS-Kriegsverbrechen beteiligt. Sie wurde nach 1945 als verbrecherische Organisation verboten.
Der „Ehrenmann“ Schleyer war NSDAP-Mitglied und Mitglied im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB). Er hatte diverse Nazi-Positionen in Prag inne und eine führende Position beim „Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren“ (ZVI). Dieser Verband war unter anderem für die „Arisierung“ der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern für das Deutsche Reich zuständig.
Vieles spricht dafür, dass diesem „RAF-Opfer“ die Verantwortung für den Mord an 41 Menschen im Jahr 1945 in Prag zuzurechnen ist. Die damaligen Opfer waren Männer, kleine Kinder und Frauen – darunter zwei Hochschwangere. Nach dem Krieg wurde Schleyer als sogenannter „Mitläufer“ eingestuft. Und nach so einem Faschisten werden bei uns Bauwerke benannt. Einfach widerlich.
Mir gefällt es jedenfalls nicht, dass in unserem Land Nazis geehrt werden.
Das ist eine Schande für uns alle!
Folge uns!