Von unseren ReporterInnen – Heidelberg. Rund 90 TeilnehmerInnen, unter ihnen auch 30 bis 40 Korporierte, kamen am Sonntag, 22. Oktober, trotz Regenwetters zu einem antifaschistischen Stadtrundgang in Heidelberg und lauschten aufmerksam den Ausführungen von Michael Csaszkóczy. Der Veranstalter hatte schon im Vorfeld die Teilnahme in „Couleur“ – mit Mütze und Band in den Farben einer Studentenverbindung – untersagt. Die Korporierten hielten sich an die Vorgabe.
Bemerkenswert waren die Mitglieder verschiedener Verbindungen, die am Ende der Führung anmerkten, das Vorgetragene sei ja alles richtig. Aber nach einer bestandenen Mensur überwiege gegenüber dem Neonazi auf dem Stuhl vis-à-vis das Verbundenheitsgefühl nach dem gemeinsamen Erlebnis. Da sei es einfach angemessen, mit ihm als „liebem Waffenbruder“ zu trinken und zu feiern.
Der Stadtrundgang der Antifaschistischen Initiative Heidelberg / interventionistische Linke (AIHD/iL) führte zu Schauplätzen verbindungsstudentischer Geschichte in der Heidelberger Altstadt. Er beleuchtete Ursprünge und Entwicklung der Korporationen und thematisierte ihre Verflechtungen mit der rechten Szene. Auf der Facebook-Einladung der AIHD/iL war zu lesen: „Korporierte sind auch beim Stadtrundgang willkommen. Couleur Spazierenführen gibt’s allerdings nicht.“
Heidelberger Korporationen: stramm rechts
Der Stadtrundgang führte nicht nur zu Verbindungshäusern, sondern auch zu markanten Orten, die sowohl die Stadtgeschichte als auch die Geschichte der Heidelberger Korporationen geprägt haben. So wurde am ehemaligen „Badischen Hof“, wo 1848 die Vorversammlung zum Paulskirchenparlament getagt hatte, auf das endgültige Scheitern der republikanisch-demokratischen Strömung in der Burschenschaftsbewegung eingegangen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es in der Burschenschaft sowohl antifeudal-demokratische als auch völkisch nationalistische Tendenzen gegeben, die nicht immer leicht zu trennen waren. Die Ausgrenzung des radikaldemokratischen Neckarbundes markierte die endgültige Niederlage des progressiven Elements innerhalb der Heidelberger Korporationen. In der Weimarer Republik waren die Verbindungen bereits stramm rechts und fühlten sich als die um ihre Privilegien gebrachten „Eliten des alten Kaiserreichs“.
Saalschlachten in der Harmonie
In der ehemaligen Harmonie-Bürgergesellschaft (bis vor kurzem Harmonie-Kino) gab es in dieser Zeit Saalschlachten zwischen linken und rechten Studenten. Es ging um die sogenannten Gumbelkrawalle.
Der pazifistisch und sozialistisch eingestellte Statistikprofessor Emil Julius Gumbel, der jüdischer Herkunft war, wurde vom korporierten Heidelberger Waffenring so lange verfolgt und diffamiert, seine Vorlesungen wurden so lange gestört und gesprengt, bis die Universitätsleitung nachgab und ihm 1932 die Lehrerlaubnis entzog – lange vor der Machtübergabe an die Nazis.
Anstoßen auf die Judenverfolgung
Auch bei der Durchsetzung des „Rasseantisemitismus“ spielten die Heidelberger Verbindungen – insbesondere der Verein Deutscher Studenten (VDSt) mit seinem schwarz-weiss-rot beflaggten Verbindungshaus in der Plöck – eine wichtige Rolle. Der VDSt war als eine Art von „Unterstützungsverein“ für den reaktionären preußischen Geschichtshofschreiber Treitschke gegründet, als dieser mit seinem Diktum „Die Juden sind unser Unglück“ für energischen Widerspruch in der akademischen Welt sorgte.
Der Satz zierte später jede neue Ausgabe des Nazhetzblattes „Stürmer“. Bei dieser Station des Stadtrundganges taten sich die heutigen VDSt-Mitglieder besonders abstoßend hervor, als sie mit ihren Oettinger-Bierflaschen anstießen, als es um die Judenverfolgung im Dritten Reich ging.
Bücherverbrennung auf dem Universitätsplatz
Von einer inhaltlichen Distanz zu den Nazis konnte auch nach 1933 keine Rede sein: Die Bücherverbrennung auf dem Universitätsplatz fand noch weitgehend unter der Regie der Verbindungen statt. Die Brandreden hielten zwei Korporationsverteter (einer davon Gustav Adolf Scheel, der spätere „Reichsstudentenführer“), die Freitreppe war den Verbindungen und ihren Chargen vorbehalten und beim Entzünden des Scheiterhaufens wurde das Burschenschaftslied „Burschen heraus!“ gesungen.
Musterknabe Hanns Martin Schleyer
Eine ganze Reihe von Korporierten, die in Heidelberg studiert hatten, bestimmte das ideologische Leben des NS-Staates wesentlich mit, auch wenn die Verbindungen selbst sich nach und nach unter sanftem Druck der Nazis formell in NS-Kameradschaften umwandelten. Zu ihnen gehörte der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der Reichsstudenteführer Gustav Adolf Scheel, der Reichsfilmintendant Fritz Hippler, aber auch der SS-Funtionär und Chefarisierer der besetzten Ostgebiete Hanns Martin Schleyer (siehe hierzu auch „War Schleyer nur ein Opfer?„). Dieser wird bis heute oft als Musterbeispiel eines Corpsstudenten gefeiert. Bemerkenswert, denn als Student trat er bereits nach zwei Semestern wieder aus dem Corps Suevia aus, weil dieses sich nicht schnell genug von den letzten beiden verbliebenen „Alten Herren“ jüdischer Herkunft trennen wollte. Damit war seine Karriere in der NSDAP gesichert. Weiterhin protegiert durch seinen „Fuxmajor“ aus dem Corps stieg er zunächst zum politischen SS-Funktionär und später zum Leiter des Präsidialbüros der Deutschen Industrie in Böhmen und Mähren. Seine spätere Karriere als oberster Wirtschaftsführer der BRD knüpfte nahtlos an dieses Milieu an. Auch in das Corps Suevia wurde er sofort nach Kriegsende als Ehrenmitglied wieder aufgenommen.
Stehen „wie eine deutsche Eiche“
An den Häusern der Landsmannschaft Teutonia wurde die disziplinierende und gemeinschaftsstiftende Funktion des studentischen Fechtens und der hierarchiegebundenen Trinkrituale und Rangordnungen im Korporationswesen hingewiesen. Beim sogenannten „Schlagen“ geht es keineswegs um Sportfechten, sondern darum, nicht zu zucken, zu stehen „wie eine deutsche Eiche“ und den „Kopf hinzuhalten“ für die Gemeinschaft.
Normannia: Burschenschaft mit Kontakten zum NSU-Umfeld
Eine Stippvisite bei der völkisch ausgerichteten Burschenschaft Normannia durfte bei diesem Stadtrundgang nicht fehlen. Burschenschaften sehen sich selbst explizit als den politisch ausgerichteten Flügel des Verbindungswesens. Die Normannia fällt seit Jahrzehnten immer wieder durch neonazistische und antisemitische Skandale auf. Ihre Kontakte reichen bis ins NSU-Umfeld. So war einer ihrer Alten Herren Vorsitzender der JLO – Junge Landsmannschaft Ostpreußen, die die europaweit größten Neonaziaufmärsche in Dresden organisierte.
Seine Frau gehörte der Naziband „Eichenlaub“ an, die in der Zeitschrift „Blood and Honour“ zur Unterstützung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Untergrund aufrief. Bis heute ist die Normannia voll akzeptiertes Mitglied im Heidelberger Waffenring der schlagenden Verbindungen. Eine Distanzierung von ihr verbietet der „Comment“, das Regelwerk, nach dem sich die nachwachsenden Korporiertengenerationen zu verhalten haben.
Antifaschistisches Straßenfest statt Maiansingen
Ihren Abschluss fand die Stadtführung am Marktplatz, wo vor zwanzig Jahren das nationalistische Maiansingen der Heidelberger Verbindungen (Deutschlandlied mit allen drei Strophen) nach zunehmenden antifaschistischen Protesten endgültig beendet wurde. Stattdessen findet seitdem in der Walpurgisnacht das Antifaschistische Straßenfest der AIHD/iL in der Altstadt statt (siehe hierzu „Kein Platz für völkische Gesinnung„).
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