Stuttgart. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Mittwoch, 15. November, mit den Stimmen von CDU, Grünen und SPD eines der schärfsten Polizeigesetze Deutschlands beschlossen. Die FDP-Fraktion lehnte das Gesetz ab, die AfD votierte uneinheitlich. Aus Sicht der Linken, die dem Landtag nicht angehört, werden mit der Gesetzesverschärfung „unter dem Mantel des Antiterrorkampfs die Freiheiten und Rechte der Bürgerinnen und Bürger mit Füßen getreten“. Die Piratenpartei spricht von einer „ganz großen Koalition der Überwacher“.
Das Gesetz erweitert die Befugnisse der Polizei erheblich. Ihr ist künftig nicht nur wie schon bisher erlaubt, SMS mitzulesen, sondern sie darf auch präventiv Chats überwachen und dazu mittels Trojanern Nachrichten schon auf dem Handy oder dem PC abfangen. Überdies sind künftig Fußfesseln für Verdächtige und „intelligente Videoüberwachung“ mit automatischer Bildauswertung „verdächtiger“ Szenen erlaubt. Überdies darf die Polizei Granaten einsetzen.
„Die Veränderungen am Polizeigesetz sind nach der massiven Kritik durch Richter und Datenschutzbeauftrage weiter unzureichend (siehe hierzu „Dieses Gesetz ist eine Schande„). Das Gesetz bleibt ein Angriff auf Bürgerrechte und ein Schritt in Richtung einer verdachtsunabhängigen Überwachung von Bürgerinnen und Bürger“, erklärte Dirk Spöri, Landessprecher der Linken. Die sogenannte „intelligente“ Videoüberwachung bedeute eine „Massenüberwachung in Orwellschem Ausmaß“.
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Linke: „Die Grünen sind keine Bürgerrechtspartei mehr“
Welche Folgen ein solches Gesetz mit sich bringe, habe das Vorgehen der Polizeibehörden gegen die Internetplattform Indymedia in Freiburg gezeigt. Nebenbei seien Daten des Freiburger Studierendenrats beschlagnahmt worden und immer noch im Besitz der Polizei. Landesinnenminister Thomas Strobl gehe nicht gegen Terrorismus vor, sondern gegen unliebsame linke Kritikerinnen und Kritiker“.
Keine dieser Maßnahmen sei eine Antwort auf Terrorismus. „Seit Jahren wurden Überwachung ausgebaut und Bürgerrechte abgebaut, geholfen hat es nichts“, so Spöri. Aus Sicht der Linken wäre es stattdessen nötig, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten nicht mehr mit Soldatinnen und Soldaten und Waffen aus Baden-Württemberg zu befeuern: „Und es wäre nötig, keine Menschen mehr nach Afghanistan oder in andere Kriegs- und Krisengebiete abzuschieben.“ Spöri kritisiert besonders die Zustimmung der Landtags-Grünen zu dem Gesetz. Sie seien „längst keine Bürgerrechtspartei mehr. Ob soziale Rechte oder Freiheitsrechte: diese Landesregierung ist kein Schutz, sondern eine Gefahr für die BürgerInnen im Land.“
Piraten: Gesetz trägt nicht zur Sicherheit bei
Ähnlich negativ bewerten die Piraten das sogenannte „Anti-Terror-Paket“. Es müsste ehrlicherweise „Überwachungspaket“ heißen, da es „mit einer Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen – wie zum Beispiel dem Staatstrojaner oder der intelligenten Videoüberwachung – tief in die Grundrechte der Bürger eingreift“. Ob die Maßnahmen tatsächlich gegen Terror helfen, sei dagegen „nicht belegt und äußerst fragwürdig“, kommentiert Philip Köngeter, Vorsitzender der Piratenpartei Baden-Württemberg: „Dieses Gesetz macht Baden-Württemberg nicht sicherer, sondern nimmt den Bürgern wieder ein Stück Freiheit.“
Von CDU und SPD sei nichts anderes zu erwarten gewesen. Beide Parteien machten seit Jahrzehnten auf Landes- wie auf Bundesebene bürgerrechtsfeindliche Politik, so Köngeter weiter. „Und auch die Grünen zeigen mal wieder, dass ihnen Bürgerrechte nur im Wahlkampf wichtig sind. Sobald sie in der Regierung sitzen, beschließen und initiieren sie weitere Überwachungsgesetze“. Dies lasse vermuten, dass Bürgerrechte auch bei den Jamaika-Verhandlungen „lediglich als Verhandlungsmasse dienen“.
Piraten: Staatstrojaner gefährdet IT-Sicherheit
Die „intelligente Videoüberwachung“, also das automatisierte Auswerten der aufgenommenen Bilder, bewirke, dass Menschen sich möglichst unauffällig verhielten, um nicht verdächtig zu wirken. „Ein massiver Verlust der individuellen Freiheit wäre die Folge“, so Köngeter weiter. Die „Quellen-TKÜ“ (Telekommunikationsüberwachung) sei in Wirklichkeit „staatliche Schadsoftware, welche eine große Gefahr für die Sicherheit informationstechnischer Systeme darstellt – insbesondere, wenn gefährliche Sicherheitslücken von staatlicher Seite deshalb zurückgehalten und ausgenutzt werden.“
Die Pläne zum Staatstrojaner beabsichtigen Sicherheitslücken nicht etwa zu schließen, sondern bewusst zu erhalten, so dass sie von interessierten Behörden ausgenutzt werden können. „Das Geheimhalten solcher Schwachstellen ermöglicht natürlich auch Kriminellen, dieselben Lücken zu nutzen. So schaffen Staatstrojaner also nicht mehr Sicherheit, sondern gefährden im Gegenteil die IT-Sicherheit von uns allen.“
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