Von Andreas Scheffel – Stuttgart. Nach G20-Protesten im Juli diesen Jahres in Hamburg, erreicht die Kriminalisierung von Linken erneut einen Höchststand. Es wurden nun bundesweit in 25 Objekten Razzien durchgeführt – auch in Stuttgart. Es scheint so, dass nach der bisher schwachen Beweisführung der Strafverfolgungsbehörden nun linksgerichtete Strukturen gezielt ins Visier genommen werden. In Stuttgart wurde nicht das Linke Zentrum Lilo Herrmann durchsucht – dies hatten fälschlicher Weise mehrere Medienhäuser berichtet – sondern lediglich das Zimmer einer Bewohnerin in einer der Wohngemeinschaften im selben Haus. Bei dieser Durchsuchung wurde die Wohnungstür von Spezialeinsatzkräften der Polizei mit einem Rammbock aufgebrochen. Im Zuge der Durchsuchung wurden jedoch keine Waffen gefunden, wie andere Medien berichteten. Soll hier bewusst allgemein Stimmung gegen linke Strukturen – und im speziellen gegen das Linke Zentrum Lilo Herrmann gemacht werden? Allem Anschein nach ist dem wohl so.
Das Lilo Herrmann-Haus, welches in seinen Räumlichkeiten viele Organisationen integriert, stand erneut im Fadenkreuz der Ermittler. Im Zuge der Durchsuchung wurden ein Privat-PC, ein Handy, Flyer und ein Autoschlüssel beschlagnahmt. Zeitgleich wurde eine weitere „linke Wohngemeinschaft“ in Stuttgart durchsucht.
Angriff auf das Zentrum und die politische Linke in Stuttgart
Das Linke Zentrum Lilo Herrmann war nach eigenen Angaben im Vorfeld der G20-Proteste ein wichtiger Anlaufort für all diejenigen, „die eine andere, eine menschenwürdigere Gesellschaft anstreben“. In den Räumlichkeiten fanden Info-Veranstaltungen, Bündnistreffen und Solidaritätskonzerte statt. Viele Gruppen, Initiativen und Organisationen die das Zentrum nutzen, haben wohl nach Hamburg mobilisiert. „Dass das den Behörden ein Dorn im Auge ist, war uns bewusst“, erklärte Jens Heidrich, Sprecher des „Lilos“. Das Zentrum sehe sich einer Repressionswelle ausgesetzt und wertet das Vorgehen der Behörden als einen Angriff auf das Lilo-Herrmann-Haus und die gesamte politische Linke in Stuttgart.
Rondenbarger Protestzug als Anlass?
Anlass der morgendlichen Durchsuchung soll eine Demonstration im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg während der G20-Proteste am 7. Juli gewesen sein. Dort griffen Polizeieinheiten einen Protestzug gegen den G20-Gipfel an, so der Sprecher des Zentrums weiter. Dabei seien mindestens 14 AktivistInnen zum Teil schwer verletzt und mehrere festgenommen worden. Unter den Festgenommenen habe sich auch Fabio V. befunden, der ohne konkrete Vorwürfe knapp vier Monate in Untersuchungshaft saß. Die Polizeigewalt in Rondenbarg könne auch nicht im Nachhinein unter den Tisch gekehrt werden, folgert Heidrich. Es sei offensichtlich, dass die Durchsuchungsmaßnahmen am 5. Dezember der Versuch der Hamburger Polizei sei, von den polizeilichen Übergriffen während der Proteste um den G20-Gipfel und insbesondere des Protestzuges im Rondenbarg abzulenken. Die Durchsuchungen seien daher nichts anderes als eine „Flucht nach vorne und der Versuch die wahren Geschehnisse umzudeuten“. Schließlich sei Polizei und Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Geschehnisse um Rondenbarg, zumindest öffentlich praktisch mit dem Rücken zur Wand gestanden, so ein weiterer Sprecher.
Rote Hilfe e.V. verurteilt Razzien gegen G20-GegnerInnen
Der Polizeieinsatz am Rondenbarg war bundesweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem die Sendung „Panorama“ über den Ablauf des Einsatzes berichtet hatte. Die Filmaufnahmen zeigen ein völlig anderes Bild von den Geschehnissen, als von der Polizei zunächst dargestellt. Zahlreiche AktivistInnen wurden teilweise schwer verletzt. Dies geschah während, als auch nachdem die Demonstration in kürzester Zeit aufgelöst worden war. Sowohl hier, als auch an vielen anderen Stellen wurden Grundrechte massiv eingeschränkt und zahlreiche AktivistInnen, aber auch JournalistInnen und Unbeteiligte durch körperliche Polizeiübergriffe in Mitleidenschaft gezogen. Statt dies konsequent aufzuarbeiten, wurden nun diese Durchsuchungen mit teilweise martialischem Auftreten durchgeführt. „Es scheint auch in diesem Fall um die Einschüchterung der linken Bewegung zu gehen. Des Weiteren drängt sich der Verdacht auf, dass der Rondenbarg-Einsatz im Nachhinein gerechtfertigt werden soll“, so Heiko Lange, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.
Argumentation der Polizei auf wackligen Füßen
Hierzu erklärt Lange weiter: „Wir verurteilen die Razzien auf das Schärfste und fordern die Herausgabe der beschlagnahmten Speichermedien. Hier wird wohl offenbar versucht, eine Demonstration gegen den G20-Gipfel zu einer insgesamt gewalttätigen Gruppe zu stilisieren, um alle AktivistInnen auch ohne konkrete Beschuldigung wegen Landfriedensbruchs verurteilen zu können. Es wird auf eine diesbezügliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom vergangenen Jahr verwiesen. Nicht erwähnt auf der Pressekonferenz der Polizei wurde allerdings, dass sich diese BGH-Entscheidung auf gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Gruppen von Fußball-Hooligans bezieht und ganz explizit nicht auf politische Demonstrationen. Damit steht diese Argumentation noch nicht einmal auf wackligen Füßen. Die Verfahren gegen Angeklagte wie zum Beispiel Fabio V. müssten demnach sofort mit Freispruch beendet werden.“
Demonstration nach Razzien
Mehrere Gruppen und Initiativen hatten nach den Durchsuchungen am 5. Dezember zu einer spontanen Solidaritätskundgebung noch am Abend in der Stuttgarter Innenstadt mobilisiert. Über 100 Personen begegneten den polizeilichen Einschüchterungsversuchen mit Solidarität und kämpferischer Stimmung. Grußworte vom Kreisvorstand der Linken, der Verdi-Jugend Stuttgart, Linksjugend solid und von Attac fanden großes Gehör. Die Polizei hielt sich im Hintergrund.
Wir dokumentieren nachstehend den Redebeitrag der Linksjugend:
„Die Widersprüche des Kapitalismus liegen auf der Hand: Armut, Hunger, Umweltzerstörung, lebensverkürzende Arbeitsbedingungen usw. sind die schmutzigen, offenen Geheimnisse eines für alternativlos gehaltenen Kapitalismus. Die G20 sind die größten Profiteure des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Die steigende Zahl armer Menschen wird übertüncht mit Milliardengewinnen auf der anderen Seite der Reichtumsverteilung. Weil trotz kurzen Straucheln durch die Krise die Gewinne nicht ausbleiben, ist eine Bewältigung der Krise vom Tisch: Es geht nur noch um ihr Management.
Wir haben weitere Angriffe auf unsere Lebensstandards und auf elementare soziale Rechte zu erwarten. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass kein noch so langes Gespräch zwischen den Herrschenden dazu in der Lage wäre, den erschreckend schnell voranschreitenden Klimawandel, die Verschmutzung und Zerstörung unserer Umwelt oder die überall geführten Kriege für Rohstoffe, Konzernprofite und geopolitischen Einfluss zu stoppen. Wer will, dass damit Schluss ist, sollte selbst aktiv werden!
Der von uns und vielen anderen geführte aktive Kampf gegen dieses Wirtschaftssystem wird auch trotz der Repressionen gegen Genossinnen und Genossen entschlossen solidarisch weiter geführt!
Unsere Wut auf ihre Ordnung werden wir uns nicht verbieten lassen und ihre Ordnung ist auf Sand gebaut.
Wir lassen uns nicht einschüchtern!
Die Linksjugend steht euch im Kampf bei!
Hoch die internationale Solidarität!“
Alle Fotos: Linkes Zentrum Lilo Herrmann
Rede von Luigi Pantisano für den Kreisvorstand der Partei DIE LINKE:
„Im Namen des Kreisvorstands der Partei DIE LINKE Stuttgart möchte ich den von der Polizeirazzia betroffenen Aktivist_innen meine Solidarität aussprechen.
Wir müssen uns die Absurdität der heutigen Razzia vor Augen führen: Gestern noch mussten wir in der Presse lesen, dass in Deutschland aktuell über 500 gewaltbereite Neonazis untergetaucht sind!
UND was machen die Polizeibehörden heute?
Nicht etwa eine groß angelegte Fahndung nach diesen kriminellen Rassisten – NEIN – sie haben nichts besseres zu tun als Aktivist_innen der G20-Proteste zu kriminalisieren, in dem Sie in Begleitung der Springer-Presse Razzien in Privatwohnungen und im Lilo-Hermann-Haus durchführen.
Eine Frage habe ich an die Innenminister aus Bund und Land: HABT IHR NICHT BESSERES ZU TUN? Beispielsweise diese 500 untergetauchten Neonazis aufzuspüren?
UND warum wurden diese Razzien gerade jetzt durchgeführt?
Ganz einfach: Die Polizei ist mächtig in Bedrängnis. Langsam geht der Öffentlichkeit ein Licht auf, was in Hamburg passiert ist. Das aktuellste Beispiel ist Fabio, der in Hamburg übermäßig Lange und grundlos in U-Haft gehalten wurde.
Diese Razzia heute ist eine billige Nebelkerze und der Versuch von den Fehlern und dem brutalen Vorgehen der Polizei beim G20 Gipfel abzulenken. Diese Nebelkerze wird ins leere Laufen, wie auch schon das Verbot von Indymedia.
Liebe Polizei, Liebe Innenminister: UNSEREN Widerstand könnt Ihr nicht verbieten! Wir werden weiter auf die Straße gehen, immer und überall dort, wo es gilt gegen Ungerechtigkeit aufzustehen und Widerstand zu leisten.
Vielen Dank.“
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