Hamburg. Die Hamburger Polizei hat Fotos und Videos angeblicher oder tatsächlicher G20-Randalierer ins Netz gestellt und damit eine der größten Öffentlichkeitsfahndungen in der Geschichte der Bundesrepublik eröffnet. Die Folgen des Internet-Prangers waren schon in den ersten Tagen verheerend.
Christiane Schneider gab als Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Erklärung zum Auftakt der öffentlichen Fahndung ab. Seither wird sie massiv bedroht.
Die Bild-Zeitung unterstützte die Fahndung der Hamburger Polizei nach angeblichen G20-Straftätern und druckte am 19. Dezember Bilder der Verdächtigen. Es folgte eine beängstigende Hetze in den Kommentaren sozialer Medien. Eine junge Frau wurde als „Krawall-Barbie“ verunglimpft. Sie wird wohl so schnell ihres Lebens nicht mehr froh. Selbst wenn ihre Unschuld erwiesen würde – ihr Foto stünde für immer im Netz.
Die Hetzjagd gegen Linke hatte bereits vor dem G20-Gipfel begonnen. Ihren ersten Höhepunkt fand sie noch während und unmittelbar nach den Ereignissen rund um das Treffen der „Mächtigen dieser Welt“ (siehe „Die Hetzjagd hat begonnen„). Was kommt wohl als nächstes?
Massenfahndung statt Debatte über polizeiliche Verfehlungen
„Die Prioritätensetzung der Sicherheitsbehörden spricht für sich: Während fast 500 Neonazis mit offenen Haftbefehlen seit Jahren untergetaucht sind, macht die Hamburger Polizei öffentlichkeitswirksam Jagd auf G20-Gegner“, erklärte Ulla Jelpke nach der von der Hamburger Polizei eröffneten G20-Fotofahndung: „Steckbriefe wie zu Zeiten der RAF-Hysterie und Telefonhotlines öffnen Denunziantentum Tür und Tor. Eine solche Massenfahndung trägt weniger zur Aufklärung von Straftaten als zur Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas bei“.
Die Bundestagsabgeordnete und Innenpolitikerin der Linksfraktion weiter: „Wie schon bei den bundesweiten Razzien bei G-20-Gegnern vor zwei Wochen (wir berichteten) geht es der Hamburger Polizei mit der Fotofahndung darum, durch die Schaffung des Feindbildes von ‚gewalttätigen Linksextremisten‘ von ihren eigenen schweren Verfehlungen während des G-20-Gipfels abzulenken. Als parlamentarische Beobachterin habe ich in Hamburg miterlebt, wie die politisch Verantwortlichen und die Polizei während des G20-Gipfels von Anfang an auf Eskalation setzten. Grundrechte wurden in weiten Teilen der Hansestadt außer Kraft gesetzt, zahlreiche friedliche Demonstranten in Folge von Polizeieinsätzen schwer verletzt, Journalisten von der Polizei bei der Ausübung ihres Berufes behindert. Wer die Gewalt beim G20-Gipfel beklagt, darf zu den Umständen, die soweit geführt haben, nicht schweigen.“
Auch Rote Hilfe protestiert gegen Aufruf zur Denunziation
Gezeigt werden Aufnahmen, die während Polizeieinsätzen an der Elbchaussee, am Rondenbarg, oder im Schanzenviertel entstanden sind. Die Polizeiführung hatte die Internetfahndung bereits im Vorfeld angekündigt.
Heiko Lange, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe, erklärte zum Fahndungsaufruf der „SOKO Schwarzer Block“ , „diese Art der Verfolgung von vermeintlichen oder tatsächlichen linken AktivistInnen ist eine Vorverurteilung und nichts anderes als ein Aufruf zur öffentlichen Denunziation, was unser Verein scharf verurteilt“.
Lange erklärte weiter, die Rote Hilfe begrüße, „dass zahlreiche Medien sich geweigert haben, hierfür Bildmaterial zur Verfügung zu stellen. Es ist skandalös, dass MedienvertreterInnen und Bevölkerung dazu aufgefordert werden, Hilfspolizei zu spielen. Dies kann für die abgebildeten Personen gefährliche Konsequenzen haben und scheint wohl bewusst einkalkuliert zu sein. Es handelt sich aus unserer Sicht um eine PR-Show, um die Deutungshoheit über die Geschehnisse, insbesondere den Polizeiangriff auf die Demonstration am Rondenbarg zurückzugewinnen. Diese war ohne Vorwarnung angegriffen und aufgelöst worden, wobei zahlreiche AktivistInnen zum Teil schwere Verletzungen erlitten. Während der gesamten Proteste gegen den G20-Gipfel ist es zu zahlreichen Rechtsbrüchen und Körperverletzungen durch Polizeikräfte auch auf JournalistInnen gekommen. Diese sind ausreichend belegt.“
Die Rote Hilfe fordert eine bundesweite Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Betroffenen Personen rät der Verein, mit Rechtshilfegruppen oder Anwaltskanzleien Kontakt aufzunehmen und Ruhe zu bewahren.
Die Pressemitteilung von Christiane Schreiber (Linke) im Wortlaut:
„Erstens. Die dem Fahndungsaufruf vorangestellten Filme zeigen teilweise Bilder von bedrückender Gewalt. Welcher genaue Tatbeitrag den abgebildeten Personen zugeschrieben wird, erschließt sich nicht. Damit werden diese praktisch für alle dokumentierten Straftaten in dem jeweiligen Zusammenhang verantwortlich gemacht. Das ist Stimmungsmache und ich frage mich, wie ein solches Vorgehen durch ein Gericht abgesegnet werden konnte.
Zweitens. Bisher galt in Hamburg, dass die Öffentlichkeitsfahndung, erst recht im Internet, das letzte Mittel der Polizei ist. Aus gutem Grund, denn sie greift tief in Grundrechte von Menschen ein, die einer Straftat verdächtig, aber nicht überführt sind. Stehen die Bilder erst einmal im Internet, auf Facebook und Twitter, kann die Polizei ihre Verbreitung und den Umgang damit nicht mehr annähernd kontrollieren. Egal ob die abgebildeten Personen einmal verurteilt oder freigesprochen werden, ihnen kann die lebenslange Stigmatisierung drohen.
Drittens. Wie nebenbei wird die Demonstration der 76 000 am 8. Juli („G20 Not Welcome!“) aufgrund eines begrenzten Zwischenfalls, der vom Veranstalter beendet werden konnte, zu einer der „gewalttätigen Versammlungen“ erklärt. Senat und Polizei haben von Anfang an versucht, diese Demonstration zu kriminalisieren, und obwohl die Demonstration bis auf diesen von wenigen TeilnehmerInnen verursachten Zwischenfall absolut friedlich war, wird der Kriminalisierungsversuch mit der Öffentlichkeitsfahndung fortgesetzt.“
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