Stuttgart. Erfolg für Siegmar Herrlinger vor dem Stuttgarter Landesarbeitsgericht: Der Automobilhersteller Porsche nahm die gegen ihn ausgesprochenen fristlosen Kündigungen wegen angeblicher „Schmähkritik“ – unter anderem auf einer Betriebsversammlung im Dezember 2016 in Weissach – zurück. Dabei ging es in erster Linie um Abgasmanipulationen der Automobilindustrie. Die Kammer hatte am Dienstag, 19. Dezember, über die Kündigungsschutzklage des langjährigen Porsche-Beschäftigten und IT-Fachmanns verhandelt.
Als der Richter signalisierte, dass die Firma unterliegen würde, knickte Porsche ein. Die Firma übernimmt auch die Gerichtskosten. Das Arbeitsverhältnis wird bis Ende des Jahres, dem Renteneintritt Herrlingers, fortgesetzt und ordnungsgemäß abgerechnet.
Offenbar wollten die Porsche-Vertreter mitten in einer hochpolitischen Auseinandersetzung vermeiden, in einem Urteil bescheinigt zu bekommen, dass auch in einem Betrieb wie Porsche die Meinungsfreiheit nicht ausgesetzt ist.
Kundgebung vor dem Arbeitsgericht
Vor der Verhandlung gab es auf dem Platz vor dem Arbeitsgericht eine Solidaritätskundgebung mit etwa 60 TeilnehmerInnen, unter ihnen viele KollegInnen Herrlingers aus dem Automobilbereich. Auch der Gerichtssaal war proppenvoll.
Porsche hatte die Kündigung Herrlingers nach 39 Beschäftigungs-Jahren sicherheitshalber gleich zweimal – am 11. September und am 16. Oktober – ausgesprochen. Der Anwalt der Firma blieb auch vor Gericht dabei, sie sei gerechtfertigt gewesen. Herrlinger habe sich der „Schmähkritik“ schuldig gemacht. Daran ändere es auch nichts, dass er seine Kritik als Bundestags-Kandidat der MLPD während des Wahlkampfs aussprach.
Porsche: Besonderes „Schuld- und Treueverhältnis“
Es sei eine Beleidigung, von Ausbeutung und Unterdrückung bei Porsche zu sprechen. Von Vergiftung durch Abgasmanipulationen zu reden, sei die Unterstellung bewusst herbeigeführten Mordes. Der Anwalt wies auch den Ausdruck „Geheimkartell der Automobilindustrie“ zurück, da es sich bei dem Vorwurf um einen Straftatbestand handle.
Solche Äußerungen seien grob pflichtwidrig gegenüber dem Arbeitgeber, zu dem ein „Schuld- und Treueverhältnis“ bestehe. Auch sei keine Abmahnung erforderlich gewesen: Herrlinger sei von seinem Standpunkt überzeugt und habe auch keinen Abstand von ihm genommen. Der Betriebsfrieden sei gestört und die Gewerkschaft angegriffen worden, begründete der Anwalt die fristlose Kündigung.
Der Richter hatte schon zu Beginn deutlich gemacht, dass diese Vorwürfe aus seiner Sicht die beiden fristlosen Kündigungen nicht rechtfertigen.
Abgasmanipulation ist keine Bagatelle
In Ihren Erwiderungen hoben Siegmar Herrlinger und sein Rechtsanwalt darauf ab, dass es keine Bagatelle sei, was sich die Automobilindustrie bei den Abgasmanipulationen geleistet habe. Es seien Menschen hintergangen worden, denen der Diesel als umweltfreundliches Fahrzeug verkauft wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten festgestellt, dass Tausende noch leben könnten, wenn der Schadstoffausstoß tatsächlich nur so hoch gewesen wäre wie vorgetäuscht. Diese Kritik ist sachbezogen und keine Schmähkritik.
Nur weil sich die Geschäftsleitung von Porsche gestört fühlt, sei der Betriebsfrieden nicht gestört, so Herrlinger und sein Anwalt weiter. Die Begriffe „Ausbeutung und Unterdrückung“ seien wissenschaftliche Fachbegriffe des Marxismus, die sich darauf bezögen, dass Arbeiter niemals den Gegenwert des von ihnen geschaffenen Mehrwerts erhalten. Die Zulässigkeit der Verwendung dieser Begriffe sei schon lange gerichtlich geklärt.
Herrlinger bestand auf Rücknahme der Kündigungen
Der Richter schlug eine Einigung vor, die beinhaltet hätte, dass aus der Kündigung keine Rechte für Porsche mehr bestehen- etwa das Gehalt der letzten Monate einzubehalten. Herrlinger und sein Rechtsanwalt bestanden aber darauf, dass die Kündigungen – auch wegen ihrer diskriminierenden Wirkung – zurückgenommen werden: „Wir wollen ein Urteil“. Nach einer Pause schienen die Rechtsvertreter von Porsche jedoch wie ausgewechselt und zogen die Kündigungen zurück.
Herrlinger und seine KollegInnen werteten die Kapitulation von Porsche als Sieg. Doch die Machtverhältnisse seien so, dass es sich die Firma leisten könne, einen Beschäftigten, der eine unliebsame Diskussion entfachen könnte, monatelang aus dem Betrieb fernzuhalten und notfalls dafür Strafzahlungen zu leisten. Porsche habe durchsetzen können, dass Herrlinger monatelang nicht in den Betrieb konnte. So sei ein Klima der Einschüchterung der Belegschaft entstanden, das von den Kollegen erst noch verarbeitet werden müsse.
Umstrittene Rolle der IG Metall und des Betriebsrats-Chefs
Der Richter hatte angemerkt, dass Die Abgasmanipulationen Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen sind, und dass Whistleblowing (Information der Öffentlichkeit über verbrecherische Praktiken im eigenen Betrieb) erlaubt ist – im Gegensatz zu dem von den Porsche-Vertretern dargelegten Verständnis von Meinungsfreiheit, die am Fabriktor ende.
Die UnterstützerInnen Herrlingers thematisierten auch die Rolle der IG Metall, die dem IT-Fachmann nach seinen Angaben keinen Rechtsschutz gewährte (was die Bezirksverwaltung der IG Metall allerdings bestreitet), und des Porsche-Betriebsratsvorsitzenden Uwe Hück, der sich in der Auseinandersetzung auf die Seite der Firma geschlagen habe. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung im Betrieb und die Aufhebung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse der IGM gegen die MLPD sollte auch in der aktuellen Tarifrunde zum Thema gemacht werden“, forderten die Versammelten.
Siehe auch „Porsche, der Dieselskandal und die Meinungsfreiheit„, ein Kommentar von Wolfgang Hänisch.
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