Von Michael Janker – Stuttgart. Im November wurde die weitere Rodung des Hambacher Forstes durch den Widerstand einiger hundert AktivistInnen aus ganz Europa und ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster zunächst gestoppt. Im Stuttgarter Stadtteilzentrum Gasparitsch berichtete eine Aktivistin am Donnerstag, 14. Dezember, über die gegenwärtige Situation vor Ort.
Der 12 000 Jahre alte Hambacher Forst, auch „Hambi“ genannt, liegt zwischen Köln und Aachen. Er ist einer der letzten großen Mischwälder Mitteleuropas. In diesem Ökosystem leben 15 streng geschützte Tierarten, unter anderem verschiedene Fledermausarten und die vom Aussterben bedrohte Haselmaus.
Seit 1992 ist der Hambacher Forst geschütztes Flora- und Fauna-Habitat. Das stört allerdings den RWE-Konzern, der dort seit 1978 im großen Stil mit den weltweit größten Baggern umweltschädliche Braunkohle abbaut, nicht weiter. Durch diesen Raubbau an Natur und Mensch sind von den einstmals 6000 Hektar Wald heute nur noch circa 500 Hektar übrig. Auch diese sollen den kapitalistischen Interessen von RWE noch geopfert werden.
Eher Wüstenlandschaft als Wald
Der Tagebau Hambach, bei dem für den Gewinn von einer Tonne Kohle fünf Tonnen Erde zusätzlich abgebaggert werden, ist heute als „größtes und tiefstes Loch Europas“ bekannt, da RWE dort die Braunkohle in 400 bis 500 Metern Tiefe abbaut. Die ganze Tagebauregion, die etwa 10 mal 12 Kilometer groß ist, erinnert eher an eine Wüstenlandschaft als an einen Wald.
Um das Absaufen dieses gigantischen Loches zu verhindern, wird auch das kostbare Grundwasser in enormen Mengen abgepumpt. Das hat nachweislich in Gebäuden bis nach Holland hinein zu Absenkungen geführt, erklärte die Aktivistin im „Gasparitsch“. Für diesen Zweck betreibe RWE über 2000 Pumpen im Revier.
Ständig riesige Dampfwolken
Die abgebaute Braunkohle wird vom Großkonzern auf der eigens dafür gebauten zweispurigen Hambachbahn in die umliegenden Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung transportiert. Diese Kraftwerke nennt man auch „Wolkenmacher“, da sie ständig riesige Dampfwolken ausstoßen.
In diesen Wolken stecke aber jede Menge Dreck. Neben Feinstäuben und Schwermetallen wie Cadmium und Arsen würden bei der Verbrennung der Kohle pro Tag circa 200 000 Tonnen CO2 emittiert. Dieses klimaschädliche Gas ist einer der Hauptfaktoren des Klimawandels. Es trägt damit zum Anstieg des Meeresspiegels und zur zunehmenden Zahl von Hitzewellen und Dürren bei.
Zu diesen sich weltweit auswirkenden Problemen kommen auch lokale und regionale Konflikte und Tragödien. Die in der Abbau-Region lebenden Menschen sind mit Zwangsmaßnahmen konfrontiert. Seit Beginn des Tagebaus wurde eine Vielzahl von Dörfern in dieser Region zerstört. Die Bewohner wurden umgesiedelt, selbst alte Friedhöfe wurden verlegt. Gegenwärtig sind gerade noch zwei Dörfer übrig. Aber auch sie sollen noch dem Tagebau geopfert werden.
Über 30 Baumhäuser und Plattformen
Gegen diese Zwangsmaßnahmen regt sich in der dortigen Bevölkerung schon lange Zeit Widerstand. Es wurden immer wieder Demos und Petitionen initiiert. Seit 2012 ist dieser Widerstand in eine neue Phase getreten. In diesem Jahr kam es durch eine Vielzahl von AktivistInnen zu einer Wald- und Baumbesetzung im Hambacher Forst. Inzwischen gibt es im „Hambi“ über 30 Baumhäuser und Plattformen, die ständig bewohnt werden.
Ein Widerstandscamp wurde eingerichtet, das öko-anarchistisch geprägt ist und in dem die Utopie einer herrschaftsfreien und solidarischen Gesellschaft gelebt wird. Dort gibt es keine Parteien und kein Misstrauen gegen Neuankömmlinge. Die regelmäßig stattfinden Plena werden basisdemokratisch organisiert, und in allen Bereichen des gemeinsamen Lebens im Camp wird geteilt. Auch werden Workshops für Baumhausbau, Klettertraining oder Yoga angeboten.
Anwohner zeigen sich solidarisch
2015 kam es zur Gründung von „Black Cross Rheinland“ zur Unterstützung der von staatlicher Repression betroffenen Aktivistinnen. Im Wald wuchs der Zuspruch und die Unterstützung für die Waldbesetzung. Immer mehr Menschen haben sich entschlossen, aktiver zu werden und in den Hambacher Forst zu ziehen. Auch die Unterstützung von außen nahm ständig zu.
Die Bewohner der umliegenden Dörfer sind sehr solidarisch mit den Aktivistinnen und bringen Lebensmittel, Material und Wasser ins Widerstandscamp, wurde berichtet. Sie ermöglichten den AktivistInnen auf diese Weise, dauerhaft vor Ort zu sein.
Trotz Rodungsstopps droht jederzeit die Räumung
Bei der Infoveranstaltung wurde auch auf verschiedene Arten von Aktionen hingewiesen, die in der Vergangenheit den mächtigen RWE-Konzern mächtig geärgert haben und zu mehr Klimagerechtigkeit und Profitminimierung beitrugen, wie zum Beispiel Baggerbesetzungen, Blockaden der Hambachbahn oder Sitzblockaden wichtiger Zufahrtsstraßen zum Tagebau.
Da trotz des gegenwärtigen Rodungsstopps jederzeit eine Räumung des Camps möglich ist, wurde auch auf die Gefährdung duch Gewaltanwendungen nicht nur staatlicher Behörden, sondern auch des RWE-eigenen Werkschutzes hingewiesen, wie zum Beispiel bei Barrikadenräumungen oder Räumungen von Baumhäusern.
Der Kohleausstieg bleibt das Ziel
Die AktivistInnen im Hambacher Forst appellieren, sie zu unterstützen.
Dies könne direkt vor Ort geschehen, in dem man seinen Rucksack packt und dem Hambacher Forst einen Besuch abstattet. Das stelle rechtlich kein Problem dar, da der Wald, auch wenn er formell dem RWE-Konzern gehört, weiterhin betreten werden dürfe. Auf der Website der Aktivistinnen kann man sich in einen SMS-Verteiler eintragen, um darüber informiert zu sein, ob und wann eine Räumung droht. Man könne aber auch in der eigenen Stadt Bezugsgruppen bilden, um Kundgebungen, Solidemos oder Mahnwachen zu organisieren.
Die Ziele der AktivistInnen im Hambacher Forst sind und bleiben der Kohleausstieg und der entschlossene Kampf um Klimagerechtigkeit und eine solidarische Welt. Auf der Homepage „Hambi bleibt“ gibt es weitere Informationen.
Ein weiterer Vortrag über das Thema ist am 11. Januar 2018 im DemoZ in Ludwigsburg geplant.
Fotos: Beobachter News
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