Von Lotta Thalmann – Kandel. Die nationalistische Bewegung „einProzent“/Der Marsch2017 rief für Dienstag, 2. Januar, zu einem Gedenkmarsch im pfälzischen Kandel für die 15-jährige Mia auf, die vermutlich von ihrem früheren Freund getötet wurde. Der Grund: Der mutmaßliche Täter ist ein Flüchtling aus Afghanistan. Es ging den Rechten offenkundig nicht um ein würdevolles Gedenken und um ehrliche Anteilnahme an der Trauer der Angehörigen. Anstandslos instrumentalisierten sie den Tod des Mädchens für ihre Zwecke.
Über 400 – nach Angaben des Anmelders Marco Kurz 600 – Angehörige des rechten Spektrum nahmen teil, unter ihnen viele Rechtsextreme, Leute vom 3. Weg, NPD, Karlsruhe wehrt sich, Identitäre, AfD-Anhänger und Mitglieder von Hooligangruppierungen.
Der angebliche Schweigemarsch verlief keinesfalls schweigsam. Es wurde auch munter geplaudert und gelacht. An der Stadthalle wurde „Merkel muss weg“, „wo ist der Bürgermeister?“, „wo wohnt der Bürgermeister“ und „wo ist die Kirche?“ gerufen. Im Anschluss ließen die versammelten Neonazis ihre Masken fallen. Etwa 80 bürgerliche und linke Trauernde, die eine Mahnwache abhielten, wurden von der Polizei aufgefordert, für die zurückkehrenden Rechten Platz zu machen, damit sie ungestört an der Gedenkstätte vor dem Drogeriemarkt, in dem die Jugendliche starb, mit vielen Kerzen und Kondolenzbekundungen „trauern“ könnten. Niemand wollte sich abseits stellen so wie zu Beginn, als Neonazis den gesamten Platz beherrschten.
Hasstiraden von Neonazis
Im Vorfeld berichteten die Kandeler, die mit ihren Kerzen und bunten Regenschirmen gleichzeitig zur Trauerkundgebung ein Zeichen setzen wollten, mit welch mulmigen Gefühl sie den verbalen Hasstiraden der Neonazis schon ausgesetzt waren. Eine Gruppe mit sechs Menschen, die zur Mahnwache wollten, musste sich im Cafe des Edeka in Sicherheit bringen, weil sie von 40 Identitären bedroht wurden.
Ein Teil war nicht bereit, den Neonazis für deren aus ihrer Sicht verlogene Trauerfarce Platz zu machen. Denn deren Hetze machte selbst vor den Eltern der getöteten Mia nicht halt. So machte ihnen etwa der Anwalt Dr. Maximilian Krah von der AfD schwere Vorwürfe. Ebenso tobt auf der FB-Seite des Verbandsbürgermeisters ein wutenthemmter Shitstorm, weil er zur Besonnenheit und vor fremdenfeindlicher Hetze warnte.
Die Neonazis wurden laut und grölten. Sie griffen die Menschen auch körperlich an, zerstörten Eigentum wie eine teure Sehbrille oder regenbogenfarbene Regenschirme. Sie waren zur Abgrenzung von den Neonazis genutzt worden und lösten offenbar niederste Instinkte aus. Jederzeit war es möglich an den Gedenkplatz zu gehen, entgegen der Behauptungen der Neonazis. Auf Videos auch deutlich ersichtlich (siehe unten). Vor einem Aldi-Geschäft wollte einer der Rechten auf eine Frau losgehen. Die Polizei war jedoch schneller.
Überforderung der Polizei bestärkt Neonazis
Ohne deren Eingreifen hätte es Verletzte und weitere Opfer gegeben. Aber die Polizei war auch überfordert und unterbesetzt. Sie ließen den rechten Mob gewähren, anstatt ein klares Zeichen zu setzen, das in Kandel solch ein Lynchgehabe nicht erwünscht oder geduldet wird. Die Polizei wurde ebenso angegangen, sie hätten „keine Eier“, weil sie Linke beschützen statt ihnen den Garaus zu machen. Die Neonazis fühlten sich durch die Zurückhaltung der Polizei offensichtlich in ihrem Tun bestärkt. Ein Großteil der Neonazis agierte aggressiv und hemmungslos. Sie brüllten hasserfüllt im Chor „Haut ab, haut ab – wir sind das Volk – Volksverräter – Schande, Schande“ oder „Jeder hasst die Antifa“. Es hagelte zudem Gewaltandrohungen und Beleidigungen.
Es gab Applaus von BürgerInnen die eigentlich nicht den Neonazis zugeordnet wurden. Es war nicht mehr eindeutig ersichtlich, wer zu wem gehörte. Sicher war nur, wer den Platz nicht mehr verließ, weil dort die meiste Polizei stand. Es gab keinen sicheren Weg mehr nach draußen. Vereinzelt wurden Jugendliche unter Begleitschutz aus der grölenden Menge begleitet.
Ein Fellbacher fühlte sich in Kandel wohl
Zuletzt beschimpfte Michael Stecher von der Initiative „Fellbach wehrt sich“ noch lauthals SPD, Grüne und „die Terrorgruppe Antifa“. Es gab auch Betrunkene unter den Rechten – Männer wie Frauen. Zur Krönung ihre angeblichen Trauerbekundungen wurde die Deutschlandhymne gesungen und anschließend geklatscht. Die Polizei musste den trauernden Menschen aus der anderen Gruppe Begleitschutz zu ihren Autos gewähren. Der Bahnhof wurde gesichert, da mit gezielten Angriffen von Neonazis zu rechnen war.
Weitere Infos zu diesem rechten Aktivisten aus Fellbach gibt es hier. Im Video unten sieht man ihn ab Minute 0:27 in Aktion.
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