Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Gut 120 Menschen kamen am Samstag, 6. Januar – dem Vortag der großen Gedenkdemonstration am Ort des Geschehens in Dessau – in der Stuttgarter Innenstadt zusammen. Sie erinnerten ebenfalls an den 13. Todestag Oury Jallohs und forderten, seinen Tod in einer Polizeizelle endlich aufzuklären. Zu der Kundgebung „Oury Jalloh, das warMord!“ am Nachmittag auf dem Schlossplatz hatten das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) und die VVN-BdA Stuttgart aufgerufen.
Neben Janka Kluge von der VVN-BdA und einem Vertreter des AABS (siehe unten) sprachen in Stuttgart auch Seán Mcginley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und der Flüchtlingsaktivist Rex Osa. Die Kundgebung stieß auch bei Passantinnen auf starkes Interesse. Viele hatten schon vom Fall Oury Jalloh und begrüßten es, dass auf das mutmaßliche Verbrechen an dem Flüchtling aus Sierra Leone aufmerksam gemacht wird.
Themen der Ansprachen waren neben dem Tod Jallohs selbst der Rassismus, den auch Vertreter der Behörden oft an den Tag legten und der sich gerade gegenüber MigrantInnen äußere. Die Verstrickung von Mitarbeitern der Verfassungsschutzbehörden in die Verbrechen des NSU waren ebenfalls Thema. Offenbar wurden Einkünfte und Kontakte von V-Leuten dazu genutzt, den NSU aufzubauen, überdies die Aufklärung der Verbrechen durch das Vernichten von Akten behindert.
Janka Kluge von der VVN-BdA geht davon aus, dass die Matratze Jallohs in seiner Zelle angezündet und Brandbeschleuniger verwendet wurde, um zu vertuschen, dass er erschlagen worden war. Nachdem die Behörden mehr als ein Jahrzehnt behauptet hatten, Jalloh hätte sich selbst in Brand gesteckt, gehen von einem solchen Ablauf inzwischen mehrere Gutachter und auch Ermittler selbst aus (siehe auch „Gedenken an Oury Jalloh in Dessau„).
Schuldig gemacht hätten sich aber nicht nur die Polizisten. Kluge warf der Staatsanwaltschaft vor, alles unternommen zu haben, um nicht wirklich ermitteln zu müssen. Auch bei den Ermittlungen zu den Verbrechen des NSU hätte sich dieser Korpsgeist gezeigt, kritisierte Kluge und führte unter anderem Beispiele aus Baden-Württemberg an (siehe unten im Wortlaut). Ohne die Hartnäckigkeit der Gedenkinitiative wäre der mutmaßliche Mord an Oury Jalloh längst vergessen.
Der Redner des AABS warf der Polizei „Racial profiling“ vor, die gezielte und damit diskriminierende Kontrolle von Ausländern. Ein weiterer Vorwurf war, dass Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei Täter aus den eigenen Reihen systematisch deckten und die Verbrechen vertuschten. Überdies sei der Feuertod Oury Jallohs kein Einzelfall gewesen. Schon 1997 und 2002 hätten Menschen ihre Ausnüchterung in der Zelle in Dessau nicht überlebt.
Die Rede von Janka Kluge, VVN-BdA, imWortlaut:
„Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, liebe Passanten,
wir haben uns heute versammelt, um an den Tod von Oury Jalloh zu erinnern. Er war ein Asylbewerber aus Sierra Leone und lebte in Dessau. Am 7. Januar 2005 wurde er verhaftet. Er hat in einem Park zwei Frauen gebeten ihr Handy zu benutzen. Sie hatten sich belästigt gefühlt und die Polizei gerufen. Diese hat darauf eine Gruppe von Menschen aus Schwarzafrika, unter ihnen Oury Jalloh, festgenommen. Er war kurz zuvor wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Weil er sich wehrte, als er in die Wache gebracht wurde, ist er mit Fesseln an Händen und Füßen fixiert worden. Die Zelle ist nach Angaben der Polizei jede halbe Stunde überprüft worden. Obwohl er durchsucht worden ist, soll es ihm gelungen sein ein Feuerzeug aus der Tasche zu holen und seine Kleider, oder die feuerfeste Matratze anzuzünden.
Verschiedene Brandgutachten haben ergeben, dass es ohne Brandbeschleuniger gar nicht möglich gewesen ist so einen Brand zu legen. Obwohl die Zelle überwacht wurde hat die Polizei nicht reagiert. Weil er bei einem Telefonat nicht gestört werden wollte, hat ein Polizeibeamter den Lautsprecher am Monitor leiser gedreht. Kurz darauf hat der Dienstgruppenleiter den angegangenen Feueralarm ganz ausgeschaltet. Obwohl Oury Jalloh gefesselt war, haben Männer der Feuerwehr, die den Brand gelöscht haben, ausgesagt, dass sie den Leichnam Oury Jallohs ohne Fesseln und ausgestreckt gefunden haben.
Obduktionen ergaben danach, dass er eine gebrochene Nase hatte und die Trommelfelle der Ohren verletzt waren. Bei dieser ersten Untersuchung des Tatorts wurde kein Feuerzeug gefunden. Erst in einer späteren Liste der Reservatenkammer ist ein leicht beschädigtes Feuerzeug aufgetaucht. Die Polizisten taten alles um zu vertuschen, dass in der Polizeizelle Oury Jalloh brutal erschlagen wurde. Als sie dann bemerkten, dass er lebensgefährlich verletzt ist, nahmen sie ihm die Fesseln ab, überschütteten ihn mit Brandbeschleuniger und verbrannten ihn. Die Gutachten ergaben, dass es müssen mindestens zwei Liter Brandeschleuniger gewesen sein müssen. Eher sogar mehr.
Schuldig gemacht haben sich aber nicht nur die Polizisten, sondern auch die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat alles unternommen um nicht wirklich ermitteln zu müssen. Schließlich ist bei einem Verfahren, wegen unterlassener Hilfeleistung der Polizist Andreas S. zu einer Geldstrafe von etwas über 10 000 Euro verurteilt worden. Die Strafe wurde großzügiger weise von der Gewerkschaft der Polizei bezahlt.
Angeblich ist die Polizei ein Spiegel der Gesellschaft. Ich behaupte aber, dass rassistische Einstellungen bei den Beamten verbreiteter sind, als beim Rest der Bevölkerung. Und da ist er schon erschreckend hoch.
Ein Beispiel aus der Region. Mehrere Polizisten aus Baden-Württemberg waren Mitglied im rassistischen Ku-Klux-Klan. Obwohl V-Leute dies dem Verfassungsschutz in Baden-Württemberg gemeldet haben, wurde keine Konsequenz gezogen. Sie bekamen schließlich eine Abmahnung.
Neben dem Rassismus in den Reihen gibt es aber noch ein weiteres Problem. Es ist der alte Korpsgeist, der noch immer vorhanden ist. Der interne Druck ist so hoch, dass kaum ein Polizist, oder eine Polizistin es wagt gegen andere auszusagen. Das zeigt der Mord an Oury Jalloh. Es gibt aber noch andere Beispiele und wir müssen dabei nicht auf die neuen Bundesländer schauen.
Auch bei der zähen und noch lange nicht vollständigen Aufklärung über die Verbrechen des NSU und ihrer Strukturen zeigte sich dieser Korpsgeist.
Ein Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes meldete sich nach der Veröffentlichung der Phantombilder bei seinem ehemaligen Arbeitgeber und berichtete, dass 2003 ein Informant aus der Naziszene mit dem Decknamen Erbse, ihm bei einem Treffen von einer Gruppe namens NSU berichtet habe und auch der Name Mundlos gefallen sei. Also vor der sogenannten Selbstenttarnung des Kerntrios.
Vor dem Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags hat der Informant Erbse ausgesagt und jedes Wissen über den NSU bestritten. Er wurde in Handschellen vorgeführt, weil er wegen mehrerer Delikte in Haft war. Nach seinen Schilderungen hat die Polizei gezielt einseitig ermittelt um ihn hinter Gitter zu bekommen.
Nach ihm hat der ehemalige Verfassungsschutzbeamte, der ihn damals befragte vor dem Ausschuss ausgesagt. Er erinnerte sich noch sehr gut an das fast dreistündige Gespräch mit dem Informanten und, dass er die Bezeichnung NSU erwähnt hat. Außerdem hat er fünf Namen genannt, unter denen auch ein Mundlos war. Der Beamte macht sich heute noch Vorwürfe diese Hinweise nicht ernst genommen zu haben. An die Einschüchterungsversuche, die er davor vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags öffentlich gemacht hat, wollte er sich nicht mehr erinnern. War er bei der Anhörung vor dem Bundestag noch voller Elan, gab er bei der Anhörung in Stuttgart das Bild eines gebrochenen Mannes ab. Er ist dienstunfähig geschrieben. Wer, oder was ihm geschehen ist, wollte er nicht sagen. Seine Angst war zu groß.
Ungefähr ein Jahr später hat sich Erbse auf ein Gespräch mit dem Journalisten Thomas Moser eingelassen. Jetzt sagte er, dass die ursprüngliche Darstellung gestimmt hat und er bei Gesprächen mit Nazis aus Heilbronn den Begriff NSU und die Namen gehört hat. Beim Untersuchungsausschuss hat er falsch ausgesagt, weil er im Gefängnis unter Druck gesetzt worden ist. Zwei Beamte haben ihn kurz vor der Anhörung im Gefängnis aufgesucht und ihn so unter Druck gesetzt, dass er falsch ausgesagt hat.
Ein ähnlicher Vorgang stand gestern in der Presse. Ein Mitarbeiter der Justiz in Dessau hatte im November 2013 auf einer Polizeistation in Dessau ausgesagt, dass der Polizist Andreas S. früher Mitglied einer Betriebsfeuerwehr gewesen ist und Erfahrung im Umgang mit Brandbeschleunigern hatte.
Die Welt, der ja nicht nachgesagt werden kann, dass sie linksradikal oder links ist, hat gestern über den Vorfall berichtet:
„Im April 2014 wiederholte der Justizmitarbeiter demnach seinen Vorwurf in einer SMS an das Polizeirevier, erneut unter Alkoholeinfluss. Gegen ihn sei ein Disziplinarverfahren wegen übler Nachrede eingeleitet worden, er habe seine Aussagen zurückgezogen, heißt es in dem Bericht. Bei einer Befragung im Oktober 2014 durch die Staatsanwaltschaft habe er keine weiteren Aussagen gemacht.“
Es ist deutlich zu spüren wie das System der Einschüchterung nach innen funktioniert.
Der Mord an Oury Jalloh wäre schon längst vergessen, hätte es nicht eine Initiative gegeben, die nicht locker gelassen hat und immer wieder Aufklärung gefordert hat. Sie haben Veranstaltungen und Kundgebungen durchgeführt, aber auch neue Gutachten zur Untersuchung der angeblichen Selbsttötung von Oury Jalloh in Auftrag gegeben. Für all das haben sie mehr als 100 000 Euro ausgegeben.
Ihr Beispiel und ihre Hartnäckigkeit soll uns ein Beispiel in einem Kampf für eine bessere, nicht rassistische Welt sein.“
Die Rede des AABS im Wortlaut:
„Verhaftet – Verbrannt – Vertuscht! – Liebe Passantinnen und Passanten,
morgen jährt sich erneut der Mord an Oury Jalloh. Der aus Sierra Leone geflohene Oury Jalloh wurde in Dessau festgenommen und in einer Ausnüchterungszelle ans Bett gefesselt. Verbrannt.
13 Jahre lang wurde seine Verbrennung als Suizid oder als Unfall dargestellt. Beweismittel wurden vernichtet und Gutachten nicht anerkannt.
Die Initative Oury Jalloh übte durchgehend Kritik an den Verfahren aus.
Mit Veranstaltungen, Demonstration und selbst finanzierten Gutachtern klären sie über den Mord auf und üben Druck aus. Dieses Jahr musste der Staatsanwalt die offensichtliche Tötung durch Polizisten einräumen.
Bis dahin wurden systematisch die Täter gedeckt und diejenigen, die Aufklärung forderten, schikaniert. Geldstrafen, Abhörung und Entziehung von Gewerbelizenzen sind nur Beispiele.
Oury Jalloh ist nicht der erste, der in dieser Zelle in Dessau ermordet wurde. Schon 1997 und 2002 überlebten Menschen ihre Ausnüchterung in dieser Zelle nicht.
Aber auch Dessau ist kein Einzelfall. Immer wieder tötet die Polizei. Und viele mehr werden regelmäßig schwer verletzt. Die Täter kommen in der Regel glimpflich davon. Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei gehen Hand in Hand. Systematisch werden die Täter gedeckt und die Taten vertuscht – wer sagt schon gern gegen die eigenen Kollegen aus…
Die Opfer der Polizeigewalt sind meist sozial Benachteiligte, also Obdachlose und Menschen mit Migrationshintergrund. Oft werden diese bei angeblich Verdachtsunabhängigen Personenkontrollen festgenommen.
Bei diesen Kontrollen gehen Polizisten häufig nach rassistischen Vorurteilen vor. Durch dieses „Racial Profiling“ genannte verfahren wird auch die Kriminalitätsstatistik von Menschen mit Migrationshintergrund erhöht; wenn verstärkt MigrantInnen kontrolliert werden, ist es kaum Verwunderlich, dass Straftaten nur bei diesen festgestellt werden.
Dies bestärkt vorhandene Vorurteile gegen MigrantInnen. Rassistisches Stammtischgeschwätz ist nicht harmlos. Wir konnten beobachten, wie rechte Parteien mit ihrer Stimmungsmache die Regierung vor sich her treiben. Der Rassismus wird von diesen dann in Institutionen und Gesetzen verankert und ausgeführt. Abschiebungen und rassistische Polizeikontrollen veranlassen schließlich nicht die NPD oder die AfD, sondern die CDU, die SPD, die FDP und auch die Grünen!
Damit werden MigrantInnen von staatlicher Seite diskriminiert. Wir konnten auch beobachten, wie die Hetze von Bild und Konsorten Rassismus zur Normalität erklärte. Eine Zunahme von rassistischen Verhalten im Alltag, Übergriffen auf nicht-weiße und Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünften sprechen für sich. Dies darf nicht weiter verharmlost werden!
Wir alle müssen dagegen aktiv werden. Es gilt diesem Rassismus entschlossen entgegen zu treten. Und zwar überall: in den Medien und Parlamenten, in den Kneipen, den Schulen, beim Weihnachtsessen mit der Familie oder in der U-Bahn. Wenn ihr rassistische Kontrollen beobachtet, mischt euch ein und benennt in aller Öffentlichkeit, was da vor sich geht!
Daneben müssen wir den antifaschistischen Widerstand organisieren, um den Rechten von Afd, Pegida, Dritter weg und co. die Straße zu nehmen.
Damit sich nie wieder der Fall Oury Jalloh wiederholt. Oury Jalloh – Das war Mord! Stoppt den Rechtsruck in der BRD!“
Folge uns!