Von Angela Berger – Stuttgart. Zum 400. Mal und mit über 3500 Menschen fand am 15. Januar die Montagsdemo gegen Stuttgart 21 statt. Auf der Bühne vor dem Hauptbahnhof sprachen Winfried Wolf, Timo Brunke, Christine Prayon und Volker Lösch. Musikalisch begleitet wurde die Kundgebung von „Chain of Fools“ mit mitreißender Rockmusik, die Moderation übernahm Angelika Linckh. Nach Beendigung der Kundgebung fluteten die S21-GegnerInnen die Bahnhofshalle und zelebrierten lautstark den „Schwabenstreich“.
Nach über neun Jahren zeigte sich immer wieder, dass die TiefbahnhofsgegnerInnen mit ihren Warnungen gegen das Großprojekt richtig lagen. Bei der ersten Montagsdemo am 26. Oktober 2009 waren es vier Leute, die vor Stuttgart 21 warnten. Neun Jahre später zeigt eine „Jubiläumsdemo“: Der Widerstand gegen das „blödeste Projekt Europas“ mobilisiert immer noch Tausende.
Alle Altersklassen fordern auf der Straße den Stopp von S21
Die TeilnehmerInnen sind bunt gemischt und aus allen Altersklassen. Die Ingenieure 22, die Geologen, Architekten und auch Zugführer sind dabei. Auch verschieden Gruppen aus den umliegenden Ortschaften sind extra wieder angereist. Noch immer sind viele teilweise im Hintergrund aktiv, sie informieren, füttern die zahlreichen Webseiten, veranstalten Infoabende, und es kommen auch Menschen, die sich im Widerstand gegen Stuttgart 21 gefunden haben, privat zusammen. Wenn man sich in Stuttgart bewegt, sieht man immer wieder die vielen kreativen Buttons, Aufkleber, und ein „oben bleiben“ ist oftmals zu hören.
Immer mehr Planungsfehler und Irrtümer der Betreiber kommen ans Licht. Bei den GegnerInnen des „Immobilienprojekts“ kommt jedoch keine Schadenfreude auf, denn den Schaden haben alle zu tragen. Schon jetzt ist die Schädigung des öffentlichen Nahverkehrs spürbar, und die Belastungen durch die vielen Baustellen sind kaum mehr zu ertragen. In den letzten Wochen kamen noch Meldungen von der nicht zu realisierenden Flughafenanbindung und leeren Versprechungen über direkte Zuglinien dazu.
Des Weiteren wird als nächstes, genauer gesagt am 31. März 2018, Utz-Hellmuth Felcht den Posten als Vorsitzender des DB Aufsichtsrates niederlegen. Die Unruhe in der Führungsetage der DB bleibt also erhalten. Ein Zusammenhang mit S21 kann nicht ausgeschlossen werden. Dazu kommen schon bekannte Kritikpunkte wie zum Beispiel die immer noch ungeklärte Finanzierung, die enorme und gefährliche Gleisneigung und das noch immer fehlende Brandschutzkonzept.
Auf der Pressekonferenz vor der Demonstration forderten die GegnerInnen erneut den sofortigen Stopp von Stuttgart 21. Es solle endlich aufgehört werden zu behaupten, S21 sei unumkehrbar. Die Alternative zu dem Projekt heiße „Umstieg 21“ und könne immer noch realisiert werden. Die bereits ausgehobene Baugrube könne in ein Mobilitätsdrehkreuz umgewandelt werden – mit Fahrrad-Abstellplatz, Fernbusbahnhof und Parkgarage.
Das Projekt ist der Irrtum selbst
Winfried Wolf zitiert in seiner Rede Hegels Satz, „dass die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist“. Die Installation stammt von Joseph Kosuth und wurde 1993 auf der Wand des Bahnhofes angebracht. In dem Jahr, als die ersten Machbarkeitsstudien zu Stuttgart 21 starteten.
Wolf beschränkt sich in seiner Rede auf die sieben größten Irrtümer zu Stuttgart 21. „Das Projekt ist der Irrtum selbst“, von den Argumenten für Stuttgart 21 sei nichts mehr übrig. Die Flucht vieler, die ehemals federführend in das Projekt involviert waren, spreche Bände. Das Projekt würde weiter vorangetrieben, allein um sich selber nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch der Irrtum müsse eingestanden werden, schon allein angesichts der Logik, die Hegel stets forderte.
Kloß im Hals der Demokratie
Timo Brunke, der „Wortakrobat“, forderte die Projektbetreiber auf, „den dicken Kloß im Hals der Demokratie endlich auszuspucken“. Statt dessen würden sie darauf herumkauen, und er quelle immer weiter, aber es werde nie ein Brot aus ihm. S 21 sei wie ein Popel, desto tiefer man pople, desto popliger werde das Projekt.
Grün? – Schwarz wie die Nacht
Christine Prayon, die viele aus der „Heute Show“ und aus der „Anstalt“ kennen, ließ „fiese Sprüche“ über die Grünen los:
„Eine gegrillte Paprika mag von oben grün aussehen, doch wendet man sie, ist sie schwarz wie die Nacht.“
Es habe sich ja so viel verändert in den letzten Jahren. Stuttgart hat sich „unter einem grünen Bürgermeister und einer grünen Landesregierung von einer fußgänger -und fahrradfeindlichen, zu einer autofreundlichen Stadt entwickelt“. Es könne ja sein, dass Stuttgart 21 das sinnloseste und dümmste Großprojekt Deutschlands sei. Auch wenn es nach finanziellen , städteplanerischen, sicherheitstechnischen, ethischen, moralischen und rationalen Kriterien ein falsches Projekt sei, sei es doch in der Logik des Systems – absolut richtig. In der Logik des Kapitalismus könne es gar nicht scheitern. Unter Zuhilfenahme „alternativer Fakten“ werde das Projekt durchgesetzt, notfalls mit nackter Gewalt.
Ganz ohne Ironie lobte sie das Durchhaltevermögen der S21-GegnerInnen und sprach ihren Respekt aus.
„Stuttgart 21 auf die Müllhalde“
„Seit über 30 Jahren wird von unten nach oben umverteilt, und wenn diese Politik der Unvernunft und Unsolidarität nicht so fest zementiert wäre, wäre das offensichtlich neoliberale Projekt Stuttgart 21 längst dahin befördert worden, wo es dringlichst hingehört: in die Abfallgrube, die Müllgrube, auf die Schutthalde, den Müllhaufen, den Schrottplatz, die Müllkippe, den Abfallhaufen, die Müllhalde, auf die Sondermülldeponie der größten Drecksprojekte des 21sten Jahrhunderts“, so Theaterregisseur Volker Lösch.
Er war der letzte Redner auf dieser Kundgebung und aus Berlin angereist. Seine Worte lösten den Jubel der GegnerInnen aus. Er sprach vom Scheitern des marktradikalen Kapitalismus, vom Wachstumszwang, der tödlich sei für das Weltklima, und von der Wohlstandselite, die gerade dabei sei, die Lebensgrundlagen aller Menschen zu zerstören.
Der Widerstand sei „beispiellos, außerordentlich, bewundernswert, eindrucksvoll, ungeheuer, enorm, groß, unglaublich, imponierend, unvorstellbar, kolossal, hervorragend, imposant, bedeutsam, herrlich, wertvoll, bedeutend, unvergleichlich, phänomenal, krass, sensationell, unnachahmlich, umwerfend, ohnegleichen, extraordinär, extrem, überwältigend und sagenhaft.“
Kommentar: Langer Atem
Noch immer scheint es Mächtige zu geben, die das Projekt nicht aufgeben wollen, und vermutlich auch nicht aufgeben können. Vom Gesichtsverlust einmal abgesehen hängen sicherlich auch noch manche Versprechen vom Weiterbau ab. Anders ist es wohl nicht zu erklären, warum alle Warnungen in den Wind geschlagen werden.
Doch die Gegner des Projekts haben einen langen Atem, ihre Überzeugungen scheinen felsenfest, weitaus fester als so mancher Untergrund in Stuttgart. So gab es im Laufe der Jahre sogar einen Machtwechsel in der Landesregierung. Ohne das Bündnis gegen Stuttgart 21 hätte es wohl keinen Wechsel der Landesregierung zu Grün-Rot gegeben. Die meisten S21-GegnerInnen nehmen den Grünen aber übel, dass sie das für ihren Wahlsieg ausschlaggebende Projekt nach 2011 nicht stoppten – trotz der Abwahl der CDU an der Regierungsspitze nach fast 60 Jahren.
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