Von unseren ReporterInnen –Stuttgart. Bis zu 5000 Menschen demonstrierten am Samstag, 3. Februar, in Stuttgart gegen den Angriff der türkischen Armee auf Nordsyrien. Zuvor hatte es auch in Tübingen eine Demonstration mit bis zu 400 TeilnehmerInnen gegeben. Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Linken, verurteilte in Stuttgart das Schweigen der Bundesregierung. Er forderte einen sofortigen Stopp deutscher Rüstungsexporte und die Freilassung aller politischen Gefangenen in der Türkei.
Sprechchöre skandierten „Erdogan Terrorist, Erdogan ISSIS-Anführer“. DemoteilnehmerInnen berichteten uns gegenüber von offenem Terror und Anschlägen auf die Fahrzeuge von Kurden in Ludwigsburg. Es sind weitere Demonstrationen angekündigt. Am Mittwoch wollen türkische Nationalisten in Stuttgart auf die Straße gehen.
Nach Polizeiangaben waren am Samstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz etwa 5000 Demonstrantinnen versammelt. Einem Sprecher zufolge blieb es „absolut friedlich“. Zunächst hatten sich etwa 2500 Menschen in der Lautenschlagerstraße versammelt, um gegen den völkerrechtswidrigen Angriff der türkischen Regierung auf Nordsyrien zu protestieren.
Die Demoroute führte über die Theodor-Heuss-Straße zum Rotebühlplatz, wo es eine Zwischenkundgebung gab. Von dort zogen die TeilnehmerInnen auf der Eberhardstraße vorbei am Rathausplatz zum Schlossplatz. Dort sprachen Vertreter verschiedener Organisationen bei der Abschlusskundgebung.
Die UN sollen den Sachverhalt aufklären
Es gab eine kurzzeitige Festnahme, und die Polizei stellte am Ende die Personalien mehrerer DemoteilnehmerInnen fest. Während der Demonstration und der Abschlusskundgebung filmten Beamte ohne ersichtlichen Grund aus weiter Entfernung die Teilnehmerinnen. Eine Rednerin forderte sie auf, dies unverzüglich einzustellen.
Die türkische Armee geht seit rund zwei Wochen in Nordsyrien gegen die Kurdenmiliz YPG vor. In Stuttgart forderten die Menschen eine sofortiges Ende des türkischen Angriffskriegs. Die Demonstrierenden verlangten Aufklärung durch die UN. Sie sehen im Vorgehen der türkischen Regierung einen weiteren Völkermord.
Großmächte lassen Kurden fallen
Die Kurdenmiliz YPG hat große Gebiete entlang der syrisch-türkischen Grenze in der Hand. Die Türkei bezeichnet die YPG als „Terroristen“ und betrachtet sie als verlängerten Arm der verbotenen Arbeiterpartei PKK. Im Kampf gegen die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) hatten westliche Mächte gern auf die Kämpfer der YPG zurückgegriffen und sich mit ihnen verbündet.
Nun hätten Amerika, Russland und Deutschland die Verteidigungseinheiten der YPG im Kampf für ein demokratisches Afrin gegen die Türkei fallen gelassen, sagte eine Rednerin beim Demoauftakt in Stuttgart in der Lautenschlagerstraße. Das zeige einmal mehr, wie wichtig die Region in Nordsyrien für eine Stabilität sei.
„Deutsche Rüstungsexporte sofort stoppen“
Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Linken, verurteilte das Schweigen der Bundesregierung und forderte einen sofortigen Stopp deutscher Rüstungsexporte. Riexinger ging auch in seiner Rede auch auf den inhaftierten türkischen HDP-Abgeordneten Selahattin Demirtaş ein. Er forderte die Freilassung aller politischen Gefangenen in der Türkei.
Riexinger konnte nach eigenen Angaben Demirtaş bisher nicht besuchen, da die türkische Regierung dies nicht zulasse. Die Einsätze der AWACS (Airborne Warning And Control System) der Nato unter deutscher Beteiligung müsse sofort gestoppt werden. Es dürfe nicht sein dass deutsche Soldaten an Kriegshandlungen teilnehmen, so Riexinger weiter.
Anschläge auf Kurden in Ludwigsburg
Die Afrin-Offensive erschwert auch in Deutschland das Zusammenleben von Kurden und Türken. In den letzten Tagen und Nächten sei es in Ludwigsburg zu regelrechtem Terror und Anschläge auf Kurden gekommen, berichteten mehrere DemoteilnehmerInnen unserer Redaktion unabhängig voneinander. So soll es Ende Januar vermehrt Anschläge auf Fahrzeuge gegeben haben. Bei mehreren Fahrzeugen seien die Reifen zerstochen, Außenspiegel demoliert und eine Vielzahl von Kratzspuren hinterlassen worden sein.
Kurden in Ludwigsburg fühlen sich auf der einen Seite durch die deutsche Justiz kriminalisiert und auf der anderen Seite nicht ausreichend geschützt. Es liege auf der Hand, dass für die Beschädigungen und Angriffe eine aktive Terrorzelle türkischer Nationalisten verantwortlich sei, so ein Geschädigter. „Wir wollen hier in Frieden leben, doch sehen wir auch, wie der deutsche Staat uns unterdrückt, kriminalisiert und es zulässt, dass wir Kurden hier in Deutschland solchen Verfolgungen durch Anhänger von Erdogan ausgesetzt sind“, erklärte er.
Weitere Kundgebungen und Demonstration geplant
Von Montag, 5. Februar, bis zum 9. Februar sind tägliche Mahnwachen von 15 bis 17 Uhr mit anschließenden Kundgebungen auf dem Stuttgarter Schlossplatz geplant. Am Samstag, 10. Februar, soll es eine weitere Großdemonstration in Stuttgart geben, teilten die Organisatoren mit. Für Mittwoch haben türkische Nationalisten eine Kundgebung in Stuttgart angekündigt. Mehrere Organisationen rufen dagegen zum Protest auf.
Krieg zwingt Menschen zur Flucht
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte unterdessen die Regierung in Ankara auf, Schutzsuchende nicht mit Waffen zu vertreiben. Die Kämpfe in Afrin zwängen noch mehr Menschen in die Flucht. Human Rights Watch beschuldigt das türkische Militär, im Grenzgebiet auf syrische Flüchtlinge zu schießen. „Syrer, die auf der Suche nach Sicherheit und Asyl zur türkischen Grenze fliehen, werden mit Kugeln und Beschimpfungen zur Umkehr gezwungen“, wird die stellvertretende Direktorin für die Region Naher Osten, Lama Fakih, auf der Internetseite der Organisation zitiert.
IPPNW fordert Freilassung türkischer ÄrztInnen
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW ist in großer Sorge um die verhafteten Mitglieder des Türkischen Ärzteverbandes TTB (Turkish Medical Association). „Wir fordern Außenminister Sigmar Gabriel auf, sich gegenüber seinem türkischen Kollegen für die Freilassung der ÄrztInnen sowie den Schutz der Mitglieder, Angestellten und des Büros des TBB einzusetzen. Es ist tragisch, dass Menschen, die sich für Frieden und die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei einsetzen, immer stärkeren staatlichen Repressionen ausgesetzt sind“, erklärt die stellvertetende IPPNW-Vorsitzende Susanne Grabenhorst in einer Presseerklärung.
Nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurden führende Mitglieder des TTB festgenommen, nachdem sie sich kritisch zur türkischen Militäroffensive in Syrien geäußert hatten. Der Präsident des Ärztebundes und sieben weitere Personen seien in Gewahrsam genommen worden. Der Verband hatte am 24. Januar 2018 eine Erklärung veröffentlicht, in dem er die Beendigung des türkischen Militäreinsatzes in Afrin forderte.
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