Von Anne Hilger – Stuttgart. Der Ort war gut gewählt. Rund achtzig Nazi-GegnerInnen aus einem breiten politischen Spektrum kamen am Samstagnachmittag, 10. Februar, ins Kunstgebäude am Stuttgarter Schlossplatz. In nächster Nähe zum baden-württembergischen Landtag, in dem die AfD die drittstärkste Kraft ist, berieten sie über Strategien gegen den Rechtsruck. Sich zusammenschließen, protestieren, aufklären, widersprechen standen als Konzept am Ende der Diskussion. Und vor allem: nicht warten, bis es zu spät ist und Hass, Hetze und Ausgrenzung zur Normalität geworden sind.
Am Anfang stand eine Demonstration am Tag vor der Bundestagswahl. Über 1700 Menschen gingen im Frühherbst in Stuttgart gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck auf die Straße (siehe „Kein Platz für Hass und Ausgrenzung„). Dann wurde am 24. September 2017 die AfD mit 92 Abgeordneten in den Bundestag gewählt. Das ließ dem Journalisten, Kolumnisten und Flaneur Joe Bauer, einer Stuttgarter Institution, keine Ruhe. Per Mail nahm er Kontakt mit dem Aktionsbündnis „Stuttgart gegen Rechts“ auf, das die Demo organisiert hatte. Gemeinsam mit ihm lud Bauer zu dem offenen Forum am Samstag ein (siehe „Strategien gegen den Rechtsruck„).
Im Foyer gab es Infomaterial, dazu Kaffee und Hefekranz von den Versorgern. In der Kuppelhalle eröffneten die Freestyle-Rapper Toba Borke und Pheel den Nachmittag. Der Württembergische Kunstverein sei ein symbolischer Ort, sagte Joe Bauer in seiner eindrucksvollen Eröffnungsrede. Das Kunstgebäude sei schon lange ein wichtiger Platz für die politische Diskussion und außerparlamentarische Oppositionelle in Stuttgart und der Kunstverein ein Beispiel dafür, „wie die Kunst, wie Kulturarbeiter Haltung zeigen mit ihrer Unterstützung demokratischer Aktionen“.
Das Gebäude wurde ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg eröffnet. Es habe 1920 der Regierung des „zwielichtigen SPD-Politikers Friedrich Ebert“ als Zufluchtsort nach dem Kapp-Putsch der Rechtsextremisten gedient, sagte Bauer. Im März 1920 tagte dort die Nationalversammlung und knapp 100 Jahre später, von September 2013 bis Anfang Mai 2016, das Landesparlament, weil sein eigentliches Gebäude renoviert wurde.
Sprache der Unmenschlichkeit
Im Stuttgarter Landtag ist die AfD die drittstärkste Fraktion nach Grünen und CDU, also – was viele kaum glauben können – noch vor der SPD, betonte Bauer: „Das ist die Realität vor unserer Haustür.“ Er riet dazu, Landtagssitzungen zu besuchen, um sich „dem Ton, der Sprache, den Propagandastrategien der Völkischen und Rechtsnationalen“ auszusetzen. „Die Verbreitung ihrer oft widerlichen Sprache ist selbst zum Zweck der Kritik gefährlich, weil sich die Öffentlichkeit schnell an diese Sprache der Unmenschlichkeit gewöhnt und sie als normal empfindet“, warnte Bauer vor dem „Sound der Rechten.
Bauer beschäftigt sich „als Journalist und Stadtspaziergänger“ auch mit der Stadtgeschichte. Er habe vor kurzem Orte aufgesucht, die mit der Vernichtung der Juden in Stuttgart zu tun haben. Beim Blick auf solche Orten geht es ihm weniger „um die oft floskelhaft erwähnte Vergangenheitsbewältigung“, sondern um Spuren, die direkt in die Gegenwart führen, erklärte er.
Holocaustleugner im baden-württembergischen Landtag
„Das verstörendste Mahnmal in dieser Stadt ist für mich der real existierende Landtag“, bekannte Bauer. Dort dürfe der Arzt, Holocaust-Leugner und AfD-Politiker Dr. Wolfgang Gedeon heute Reden halten — „ein Mann, dem Antisemitismus-Forscher nachsagen, seine Schriften seien vergleichbar mit denen Alfred Rosenbergs, einem Hauptverantwortlichen der Nazis für die Vernichtung der Juden. Der wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet.“
Die Demonstration des Aktionsbündnisses „Stuttgart gegen Rechts“ am Tag vor der Bundestagswahl sei mit ihrem Mix aus Protest und Aufklärung sehr überzeugend und aufbauend gewesen, sagte Bauer. In den Wortbeiträgen habe „ein guter analytischer Ton“ geherrscht, der die AfD „nicht auf ihre Flüchtlingshetze reduzierte, sondern ihre durch und durch menschenverachtende Politik mit ihren völkischen und neoliberalen Inhalten analysierte“. Daher habe er mit den Initiatoren Kontakt aufgenommen.
Nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat heißt
Joe Bauer zitierte Erich Kästner, der die Nazis lange unterschätzt hatte: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.“
Aus Bauers Sicht „haben wir die verdammte Pflicht – und da trete ich mich in den eigenen Hintern – gegen den Rechtsruck etwas zu unternehmen“. Er wolle nicht eines Tages die Frage „Was hast du damals getan?“ mit dem Hinweis beantworten, „na ja, ich hab mal was auf Facebook gepostet“. Er wünsche sich, dass mit dem Nachmittag im Kunstverein „etwas beginnt, das weitergeht“.
Aktionsbündnis will einen statt zu spalten
Das Aktionsbündnis gegen Rechts, sagte Dominik Schmeiser, umfasst ein breites Spektrum linker Initiativen, Parteien, antifaschistischer und gewerkschaftlicher Gruppen. Es habe den Protest gegen die sogenannten „Demos für Alle“ organisiert, gegen den AfD-Bundesparteitag 2016 und gegen Initiativen wie „Fellbach wehrt sich“.
Das Aktionsbündnis wolle Anlaufpunkt für alle sein, die kein Interesse an einer Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas haben und den Rechtsruck nicht zulassen wollen, überdies Informations- und Aufklärungsarbeit leisten und „die moralische Empörung mit Inhalten füllen“. Das Bündnis verstehe sich als „Gegenöffentlichkeit zu einem Klima der Ausgrenzung, eines gesellschaftlichen Rollbacks und der Entsolidarisierung“.
„Proaktiv“ sei das Lieblingswort im Bündnis. Was es Schmeiser zufolge besonders macht: „Wir einen statt zu spalten.“ Da sitze „die antifaschistische Jugend mit der Kretschmann-Jugend“, also den Anhängern des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, zusammen. Es gehe darum, Menschen zu unterstützen und zu motivieren, ihnen überdies Infrastruktur für ihre Protest gegen Rechts zu bieten. „Das macht uns zu einem sehr belastbaren, schlagkräftigen und kreativen Bündnis.“
Viele Menschen begriffen es als ihre Pflicht, aktiv zu werden – so die Erfahrung des Aktionsbündnisses in den letzten Monaten. Oft wüssten sie jedoch nicht, wie und mit wem sie es anpacken sollten. Die nächsten Stunden dienten dem Austausch in Workshops über drei Themen: Analyse, Aktion und Vernetzung, wobei es beim dritten Thema besonders um Kunst und Kultur ging. Unter der Leitung zweier Moderatoren und einer Moderatorin wurde jeweils lebhaft diskutiert.
Die kapitalistische Krise macht Rechte stark
Die AfD ist nicht die Partei der kleinen Leute. Besonders ihr neoliberaler westdeutscher Teil will Arbeitnehmer massiv schwächen. Es genüge also nicht, nur moralisch die Ausländerfeindlichkeit und Frauenfeindlichkeit der AfD zu kritisieren – so das Ergebnis des Workshops Analyse. Dort wurde der Zusammenhang des Aufstiegs der Rechten mit der kapitalistischen Krise herausgestellt, die in Deutschland später als anderswo und weniger massiv angelangt ist.
Doch jetzt tragen die Verunsicherung breiter Teile der Bevölkerung durch die Aushöhlung des Sozialstaats und die Ausweitung prekärer Verhältnisse zu diesem Aufstieg bei, aber auch die „sehr geschickten Kommunikationsstrategien“ der Rechten und die Enttabuisierung ihrer Positionen. Im Zug der sogenannten Flüchtlingskrise wurden die diffuse Scheu der Bevölkerung dann rassistisch aufgeladen und die Zugewanderten zu Sündenböcken gemacht.
Ein neues Gefühl der Solidarität
Es reiche nicht, die AfD nur moralisch zu kritisieren. Man müsse auch argumentativ auf ihr Wahlprogramm eingehen: Das war auch ein Ergebnis des Workshops Aktion. Dort gab es „unglaublich viele Ideen“, wurde anschließend im Plenum berichtet, aber zu wenig Leute, die sie umsetzen.
Um vor Ort, aber auch in den Medien, in Schulen und Kultur wieder in die Offensive zu kommen, brauche man „ein Gefühl der Solidarität“. Es gibt bereits Bündnisse, Zusammenschlüsse, Parteien und Netzwerke gegen Rechts, so das Ergebnis des Workshops Vernetzung. Sie wollen sich nun stärker austauschen und enger zusammenarbeiten.
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