Von Sandy Uhl – Ulm. Esther Bejarano, Holcaust-Überlebende und eine der letzten Zeitzeuginnen. Auch mit 93 Jahren ist sie nicht zu müde, um gegen den Rechtsruck in Deutschland und anderswo zu kämpfen. Die VVN-BdA Kreisvereinigung Ulm hatte „Bejarano & Microphone Mafia“ zu einem Konzert am 22. Februar ins Ulmer Stadthaus eingeladen. An dem Tag, an dem 1943 der in Ulm geborene NS-Widerstandskämpfer Hans Scholl und seine Schwester Sophie Scholl von Nationalsozialisten hingerichtet wurden. Das Stadthaus Ulm war am Donnerstag mit 260 KonzertbesucherInnen aller Altersgruppen komplett belegt.
Esther Bejarano verbindet vieles mit Ulm. 1936 zog sie mit ihrer Familie dorthin. Sie besuchte das jüdische Landschulheim Herrlingen. Ihr Vater Rudolf Loewy war der letzte jüdische Kantor in Ulm und gelernter Pianist. Auch das Mädchen Esther war musikalisch und begann schon früh mit Klavierunterricht.
Im April 1943 wurde sie ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie täglich schwere Steine aufs Feld schleppen musste. Als dort ein Mädchenorchester entstand, meldete sie sich als Akkordeonspielerin, ohne jemals ein solches Instrument in der Hand gehabt zu haben. Sie verglich die Tastatur mit der eines Klaviers und bestand die Aufnahmeprüfung.
In dem Orchester musste sie unter anderem zum täglichen Marsch der Arbeitskolonnen durch das Lagertor spielen. Im Herbst 1943 wurde Bejarano ins KZ Ravensbrück gebracht. Auf einem der Todesmärsche von KZ-Häftlingen konnte sie fliehen und überlebte so den Holocaust. Sie selbst sagt, dass ihr die Musik das Leben gerettet hat.
Nicht schweigen
Nicht nur in Schulen spricht Esther Bejarano als Holocaust-Überlebende und klärt auf. Vor zehn Jahren startete sie mit ihrem Sohn und dem Rapper und Musiker Kutlu das Projekt „Bejarano & Microphone Mafia“. In den Songs verarbeitet Bejarano das, was ihr während der nationalsozialistischen Herrschaft widerfahren ist. Sie hätte nie gedacht, dass junge Menschen einmal das musikalisch wiedergeben, was sie fühlt, sagte sie uns.
Aus dem Projekt ist inzwischen eine Familie geworden, erzählt Joram Bejarano. Mit ihm soll bewusst auch ein jüngeres Publikum angesprochen werden. Esther Bejarano werde immer wieder von jungen Menschen gefragt, was man gegen den Rechtsruck tun kann. „Auf jeden Fall nicht schweigen“, antwortet sie dann. Man habe viel zu lange geschwiegen und müsse nun gemeinsam aufstehen. Sie habe die Hoffnung nicht aufgegeben, zusammen mit antifaschistischen Organisationen sowie der VVN und dem Auschwitz Komitee gegen die menschenverachtende Ideologie der Nazis angehen zu können.
Momente der Erinnerung
260 KonzertbesucherInnen aller Altersgruppen füllten das Stadthaus Ulm bis auf den letzten Platz. Der Abend begann mit einer Lesung von Esther Bejarano, in der sie ihre Erinnerungen an die KZs, in denen sie gefangen war, mit dem Publikum teilte. Es war kaum ein Geräusch zu hören. Das Einzige, was in dem Moment zählte, war die Stimme der Holocaust-Überlebenden. Nach knapp 20 Minuten begann der musikalische Teil zusammen mit dem Rapper Kutlu und Bejaranos Sohn Joram.
Falsche Masken entlarven
Die Songs, die vereinzelt auch mit jüdischen Passagen gesungen werden, transportieren klare Botschaften – Ehrlichkeit, Frieden, Menschlichkeit, Antirassismus. Die Lieder werden von einer gewissen Traurigkeit und beinahe schon Schwermut getragen.
Wenn Kutlu dazu rappt, gewinnen sie an Dynamik und treffen den aktuellen Zeitgeist. Genau das sind die Momente, in denen Esther Bejarano und Microhone Mafia das junge Publikum erreichen.
Il popolo trionferá
Das Vergangene wird in das Hier und Jetzt transportiert. In einem der international bekanntesten Arbeiterlieder „Avanti Popolo“ rappt Kutlu darüber, dass wieder einmal ein rauer Wind durchs Land weht. Der Gesang von Esther Bejarano dazu bewegt. „Schaut in unsere Augen und seht die Entschlossenheit. Hört unseren Protest, unsere Gesänge, die Sehnsucht nach Menschlichkeit. Das wichtigste Kapital der Erde, die Menschheit. Es beginnt mit einem leisen Flüstern und endet in einem großen Aufschrei. Wir entlarven falsche Masken, die hinter dunklen Lügen die Zukunft belasten. Bei eurem Maskenball geben wir jetzt den Takt an. Il popolo trionferá. Mit Hand, Herz und Verstand.“
Die Anschläge von Rostock und Solingen werden thematisiert, ebenso die Ausbeutung der Menschen durch den Nestlé Konzern, die NSU-Morde oder der Fall Oury Jalloh. Und die Worte des darauffolgenden Songs gehen in die Tiefe „Menschen brennen, doch du bist still. Menschen leiden und du bist still.“ Nach knapp anderthalb Stunden endet ein bewegender Abend mit Standing Ovations und lang anhaltendem Applaus für eine bemerkenswerte Frau mit einer tollen „Familie“.
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