Stuttgart. Gemeinschaftlich wohnen, die Mieten dauerhaft auf einem erträglichen Niveau halten, für die Nachbarn im Quartier ansprechbar sein – und das alles in fußläufiger Nähe zum linken Zentrum Lilo Herrmann in Heslach: Eine Gruppe politisch Engagierter, die kollektiv, generationenübergreifend und solidarisch wohnen wollen, hat im Frühjahr vergangenen Jahres in der Böblinger Straße 208 ein Haus gekauft und das Projekt „Bö 208″gegründet.
Die Zusammenarbeit mit dem Mietshäuser-Syndikat soll bei der Finanzierung helfen und garantieren, dass das um 1890 bebaute Grundstück mit einem Vorder- und einem Hinterhaus dauerhaft dem hochspekulativen Stuttgarter Immobilienmarkt entzogen wird.
Leben als Gemeinschaft
Die BewohnerInnen teilen „eine antikapitalistische Perspektive mit einem antifaschistischen und antisexistischen Grundverständnis, das die Basis für ein kollektives und solidarisches Miteinander bildet“, so ihr gemeinsames Selbstverständnis. Einige von ihnen studieren noch, der Großteil ist berufstätig. Das Projekt „Bö 208“ soll unter anderem Wohnraum für Familien bieten. Sie sollen ihre Privatsphäre haben, aber die BewohnerInnen wollen sich auch gegenseitig im Alltag entlasten und so einer Isolierung und „dem Rückzug von Familien in ein bürgerliches Leben entgegenwirken“ – gerade auch wegen der Kinder.
Geplant ist, Wohnraum für neun Erwachsene und zwei Kinder zu schaffen. Sie wollen im ersten Quartal dieses Jahres einziehen. Drei Mieter im Hinterhaus sind schon da. Sie sollen ebenso in der Böblinger Straße 208 bleiben wie das Friseurgeschäft im Erdgeschoss des Vorderhauses.
Einst geheime Munitionsfabrik der Nazis
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hinterhaus als geheime Munitionsfabrik der Nazis genutzt. Es wurde bombardiert, ist aber nicht komplett abgebrannt. Im Vorderhaus war nach dem Krieg eine Besoldungsstelle für französische Soldaten. Beide Häuser haben eine Grundfläche von jeweils etwa 70 Quadratmetern.
Bevor das gesamte Areal genutzt werden kann, muss es saniert und umgebaut werden. Das Vorderhaus hat neben dem Friseurgeschäft noch drei Stockwerke für Wohnungen, das Hinterhaus neben dem Erdgeschoss, das für einen Gemeinschaftsraum vorgesehen ist, zwei weitere Etagen. Die Kellerräume sollen als Werkstätten und Stauraum genutzt werden. Im Hof soll es Sitzecken und Fahrradabstellmöglichkeiten geben.
Hoher ökologischer Standard geplant
Das Dach ist einschließlich Dämmung bereits gerichtet. Auch die Fenster und die Heizung müssen erneuert werden, ebenso die elektrische Installation und die Sanitäranlagen. Zum Teil wird auch die Zimmereinteilung verändert, um die Wohnungen WG-tauglich zu machen. Überdies ist ein relativ hoher ökologischer Standard geplant.
Beim Umbau setzen die künftigen BewohnerInnen so weit wie möglich auf Eigenleistung und arbeiten mit befreundeten Handwerkern. Geld brauchen sie trotzdem. Um das Haus zu kaufen, haben sie eine GmbH und einen Verein gegründet und Direktkredite als Startkapital gesammelt, was ihnen ermöglichte, auch ein Bankdarlehen zu bekommen. Sie wollen sich dem bundesweit aktiven Mietshäusersyndikat anschließen – einer Art Dachverband, der bei der Planung und Finanzierung solcher Vorhaben hilft und in den zurückliegenden Jahrzehnten bereits über 100 Projekte gestemmt hat.
Finanzierung durch Direktkredite
„Lieber 1000 FreundInnen im Rücken als eine Bank im Nacken“: Unter diesem Motto suchen die Initiatoren des Hausprojekts Menschen, die sie mit praktischer Hilfe oder Krediten unterstützen. Das bedeutet, dass sie bei dem Projekt Geld anlegen können. Dabei handelt es sich weder um Schenkungen noch Spenden, und die Geldgeber werden auch nicht Anteilseigner.
Im Kreditvertrag wird klar geregelt, wie hoch das Darlehen (ab 500 Euro) ist, wie die Summe verzinst wird (von zinslos bis höchstens 2 Prozent) und welche Laufzeit der Kredit hat (ab drei Monaten bis „unendlich“ mit fester Kündigungsfrist). Dabei sind langfristige Kredite für das Projekt besonders hilfreich, weil sie eine hohe Planungssicherheit und niedrige Verwaltungskosten bedeuten. Die Zinsen werden durch die Mieten erwirtschaftet.
Guter Kontakt zu den Nachbarn
Die InitiatorInnen wollen mit ihrem Projekt auch in die Nachbarschaft hineinwirken. Sie denken an ein jährliches Fest, bei dem sich Interessierte das Haus anschauen und sich über das Projekt informieren können, eine Volxküche in regelmäßigen. Ein Sommerfest für Nachbarn und UnterstützterInnen gab es bereits. Auch ein „Foodsharing“-Verteilerpunkt ist im Gespräch, und es gibt die Idee, Literatur in den Gemeinschaftsräumlichen allgemein Nutzbar zu machen.
Wer Kontakt mit der Initiative „Bö 208“ aufnehmen möchte, kann auf die Baustelle kommen oder sich im Infoladen des Zentrums Lilo Herrmann in der Böblinger Straße 135 informieren, wo auch einen Flyer und Broschüren gibt.
Die Postadresse der GmbH: KolWo Heslach GmbH, Wilhelm-Raabe-Str. 4, 70199 Stuttgart, E-Mail boezweihundertacht@gmail.com
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