Von unseren ReporterInnen – Kandel. Die Rechte hat auch im Westen großes Mobilisierungs-Potenzial – und die AfD keine Berührungsängste mit Neonazis und extremen Gruppierungen. Das zeigte der rechte Aufmarsch am Samstag, 3. März, in Kandel. Aus der Demonstration des angeblichen Frauenbündnisses „Kandel ist überall“ mit 4000 Teilnehmern aus dem ganzen Bundesgebiet heraus wurde eine kleine Gruppe von GegendemonstrantInnen angegriffen. Die Polizei nahm mindestens zwei Teilnehmer der rechten Demonstration fest.
Nach Polizeiangaben wurde bei dem Zwischenfall ein Beamter von einem Teilnehmer der Demonstration „Kandel ist überall“ mit einem Fußtritt verletzt, blieb aber dienstfähig. Gegen den Tatverdächtigen sei Pfefferspray eingesetzt worden.
Die Organisatoren feierten den rechten Aufmarsch, gegen den in Kandel etwa 500 Nazi-GegnerInnen protestierten, als „Durchbruch im Westen“. Für April und Mai meldeten sie weitere rechte Aufmärsche im rheinland-pfälzischen Kandel an.
Mehrere zivilgesellschaftliche und antifaschistische Gruppen, Organisationen und Privatpersonen hatten zum Protest gegen die Vereinnahmung des Tods der 15-jährigen Mia aufgerufen. Die Schülerin wurde vermutlich von ihrem Ex-Freund, einem afghanischen Flüchtling, mit mehreren Messerstichen getötet. Die wirklichen Beweggründe der Demo-Organisatoren aus dem rechten Lager liegen jedoch offenkundig ganz woanders als darin, Trauer zu zeigen.
Luftballons gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit
Schon mehrfach hatten AfDler und Rassisten versucht, das Verbrechen an der jungen Frau in Kandel zu instrumentalisieren, um Hass gegen Migranten zu schüren – so zuletzt am 17. Februar in Berlin bei einem „Frauenmarsch zum Kanzleramt“ mit mehreren tausend Teilnehmern.
Den Menschen aus der Pfalz und Baden-Württemberg war es deshalb am Samstag in Kandel wichtig, gegen die rechte Hetze zu demonstrieren. Sie eröffneten ihren Protest mit einer stillen Aktion. Das Bürgerbündnis „Wir sind Kandel“ mit etwa 200 TeilnehmerInnen ließ am frühen Nachmittag weiße Luftballons in den Himmel steigen als Zeichen gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit.
Blockade am Rande der rechten Demonstration
Die Demonstrationen der Rechten und der NazigegnerInnen standen sich zeitweilig an zwei Seiten des Kreisels zwischen „Lidl“ und „SBK“ und einer Tankstelle gegenüber. AntifaschistInnen hatten versucht, noch vor der Demonstration der Rassisten auf deren Route zu gelangen.
Sie blockierten kurzfristig die Einmündung zwischen Markt- und Rheinstraße. Nach mehrfacher Aufforderung der Polizei, die Straße zu räumen, löste sich die Blockade mit etwa 80 Teilnehmern friedlich auf.
Widerstand gegen blau-braune Rassisten
Mit Trillerpfeifen, Plakaten und Bannern versuchten derweil 500 AntifaschistInnen, in dem fast hermetisch abgeschirmten Bereich hinter Polizeifahrzeugen ihren Protest hörbar und in Sichtweite zu der rechten Demonstration auf die Straße zu bringen. Die Kundgebung begann mit einer Schweigeminute. Mehrere RednerInnen bekundeten ihre Solidarität mit dem antifaschistischen Protest.
Die Bundestagsabgeordnete der Linken Kathrin Werner, ein Sprecher der Linksjugend Solid, Stefan Bernhard Eck, parteiloser Abgeordneter im EU-Parlament und Redner weiterer Organisationen bezeichneten die Vertreter der AfD als geistige Brandstifter, die Fremdenhass schürten. Die verstorbene Schülerin werde verunglimpft und instrumentalisiert, um Stimmung gegen Menschen auf der Flucht zu machen. Ein Liedermacher untermalte den Protest mit kritischen Songs.
- Stefan Bernhard Eck
- Katrin Werner
Rechter Irrläufer provoziert bei AntifaschistInnen
Der rechte Aktivist und Blogger Michael Stürzenberger, der auch Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Die Freiheit“ war, drang kurzzeitig unerkannt zur Versammlung der AntifaschistInnen durch und filmte TeilnehmerInnen. Als er entdeckt wurde, entfernten Polizisten den Mitinitiator des islamfeindlichen Blogs „Politically Incorrect“ aus dem Versammlungsbereich.
Ähnliche Provokationen Stürzenbergers sind öfter auf Demonstrationen zu beobachten – so etwa bei einem Protest gegen die Münchner Sicherheitskonferenz (siehe „Aufrüstung bringt keinen Frieden„).
- Michael Stürzenberger
Wir wollen in Frieden leben
BürgerInnen der Stadt Kandel im Landkreis Germersheim empfanden den Aufmarsch der Rassisten vor ihrer Haustür vor allem als eines: als Verleumdung von Menschen. Eine junge Migrantin sagte am Rand der linken Kundgebung: „Wir hatten eine Chance, aus dem Krieg zu fliehen und hier ein neues Leben in Frieden aufzubauen. Jetzt müssen wir erneut kämpfen, dass auch andere Flüchtlinge diese Chance noch bekommen. Die Rechten verbreiten einfach nur Hass und Intoleranz aufgrund einer Tat einer einzelnen Person.“
Pegida jetzt auch im Westen
Das angebliche Frauenbündnis „Kandel ist überall“ der AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum hatte bundesweit zu dem Aufmarsch mobilisiert. Rechte Gruppierungen wie „Der Dritte Weg“, die NPD, Anhänger Freier Kameradschaften, Hooligans, Identitäre und Pegida-Aktivisten beteiligten sich an der Auftaktkundgebung der stellvertretenden AfD-Vorsitzenden von Baden-Württemberg.
Die Reden der Rechten richteten sich gezielt gegen den islamischen Glauben und eine angebliche „Übervölkerung durch Flüchtlinge“. Unter Zwischenrufen wie „Widerstand jetzt“ und „wir sind das Volk“, den typischen Schlachtrufen von Pegida, steigerte sich die Stimmung bei den Rechten.
- Christina Baum, AfD-Landtagsabgeordnete
Schnaps für rechte Demonstranten
Abgeschirmt in einem Spalier von mehreren Polizei-Hundertschaften erreichten die Rechten um Christina Baum auf der vorgegebenen Demonstrationsroute den Ort ihrer Abschlusskundgebung. Anwohner der Rheinstraße begrüßten die TeilnehmerInnen der rechten Demonstration mit Schnaps, riefen „Wir sind das Volk“ und spielten deutsche Lieder aus einer Tonanlage ab.
Neonazis greifen AntifaschistInnen an
Vor einem Gebäude in der Rheinstraße versammelte sich – von der Polizei von der Demoroute der Rechten abgeschirmt – eine kleine Gruppe von Nazi-GegnerInnen. Sie blieben auch, als die Gegenseite übermächtig wurde, und wurden schließlich von Teilnehmern des rechten Aufmarschs tätlich angegriffen. Hierbei nahmen die Neonazis auch keine Rücksicht auf die Polizeibeamten und griffen sie mit Bierflaschen, Schlägen und Tritten an.
Einem Neonazi gelang es, die Polizeireihen zu durchbrechen, und eine Person aus der Gruppe der Nazi-GegnerInnen mit Faustschlägen und Tritten anzugreifen. Den herbeieilenden Beamten gelang es nur mit dem Einsatz des Schlagstocks, die Rechten zurückzudrängen.
Video vom Angriff der Neonazis
Rechte Demonstrationen vereinen sich
Eine weitere Demo hatte der Mannheimer Marco Kurz angemeldet, der als Teil der rechten Szene gilt. Er hatte bereits Ende Januar eine Kundgebung mit dem Titel „Kandel ist überall“ in der südpfälzischen Stadt veranstaltet. Jedoch mussten Kurz und seine Anhänger, unter denen sich auch Michael Stecher – „Kopf“ der rechtsradikalen Gruppierung „Fellbach wehrt sich“ – befand, den Vorbeizug der Großdemonstration abwarten, bevor sie sich diese Gruppierung anschließen konnten.
- Michael Stecher
Rechter Demo-Ausklang im Hotel
Als die rechte Demonstration und Kundgebung beendet war und die Teilnehmer schon die Rückreise angetreten hatten, versammelten sich die Organisatoren und ein Teil der engeren Unterstützer noch in einem Hotel in der Marktstraße. Unter den Gästen befanden sich auch Rednerinnen der rechten Veranstaltung, die Landtagsabgeordnete Christina Baum und der Mannheimer Marco Kurz.
Weitere Bilder des Tages:
Weitere Bilder von der rechten Demo:
- … Nazi-Hools in Kandel
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